von Andrea Sprecher

Aufrichtig

Ich war halt in so einer Stimmung. Larmoyant. Ich hatte Mitleid mit mir. Bald würde es wieder zurückgehen in die Schweiz. Es waren nur noch Wochen und dann wäre ich wieder in Zürich. Das würde natürlich Folgen haben.

Gut ist nicht genug

Birgit Schmid fragt in der letzten NZZ am Sonntag, ob man ein empfundenes Unrecht mit einem noch viel höheren Unrecht relativieren dürfe – konkret, ob man die Steinigung von Frauen bei Ehebruch in sagen wir Somalia dem gefühlten Leid der urbanen, modernen, freien Frauen gegenüberstellen dürfe, die an Lesungen von Feministinnen pilgern, die Männlichkeit als Krebs bezeichnen. Ja sagt sie, man kann. Ich glaube eher nicht, sage ich. 

Das Versprechen

Jemand schrieb: «Nachdem sich alle im Nu zu Epidemiologen und Militärstrateginnen weitergebildet haben, hat sich die halbe Schweiz nun in einem Wochenendworkshop auch profunde Kenntnisse in Wirtschaftsrecht und Banking angeeignet.» Während ich das bezüglich Corona-Pandemie und Krieg in der Ukraine durchaus genau so sehe und mich, wie ich finde, äusserst vornehm zurückhalte mit Meinung und Prognose, bin ich jetzt also doch eine davon. Eine von denen, die bei den Ereignissen rund ums letzte Wochenende mitredet, obwohl sie von Wirtschaftsrecht und Banking tatsächlich keine nennenswerte Ahnung hat.

Digital verloren

Wie immer eher knapp mit dieser Kolumne wollte ich mich, nachdem wir die Kinder in die Schule gefahren hatten (ja fahren, sorry, hier ist Amerika) sofort ans Werk machen, als ich feststellte, dass sich mein Computer nicht mehr laden lässt. Ich wollte noch das eine oder andere recherchieren und dann eben schreiben, aber wie sollte ich das tun, der Computer liess sich nicht mehr starten. Nach einigen Wutausbrüchen fuhr mich mein Mann in den Apple-Shop (ja fahren, sorry, hier ist Amerika).

Unbarmherzig

Im Speisewagen im Intercity von Zürich nach Bern kam ich mit einem Mann ins Gespräch. Wir sassen am gleichen Tisch, es war später Nachmittag und es war vor vielen Jahren. Der Mann war unterwegs an eine Preisverleihung, wie sich herausstellte, hatte er bei einem Schreibwettbewerb gewonnen. Das Buch schickte er mir später einmal zu, es hiess «Der unbarmherzige Samariter» und handelte von einem Ehemann, der aus purer Hilfsbereitschaft eine weitere Frau in sein Haus aufnahm, mit der er dann ebenfalls eine Beziehung anfing. Und beide Frauen brachten es fertig, das Verhältnis des Mannes mit der jeweils anderen nicht zu bemerken. Des Weiteren habe ich keine Ahnung mehr, wie die Geschichte ausging. 

An dieser Stelle #2: Landliebe

Man kann diesem Land leicht verfallen. Es fühlt sich dann so an, als würde man sich in den falschen Mann verlieben. Als Schweizerin ist die amerikanische Politik unerträglich, wieso also die plötzliche Liebe? Das heimische Umfeld reagiert auf diese denn auch so, wie es Eltern tun, wenn ein wesentlich älterer, vorbestrafter Mann aus einer wüsten Gang ihrem minderjährigen Kind die Sinne vernebelt. Mit vielen Argumenten, die eindeutig dagegensprechen. Nur, was vermögen Argumente gegen die Liebe auszurichten? 

Furcht

Ich habe eine grosse Furcht.

13 000 junge Menschen begaben sich letztes Jahr wegen psychischer Beschwerden insgesamt 20 000-mal in Spitalpflege. 17 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Es ist das erste Mal, dass damit mehr Spitaleinweisungen wegen psychischer Probleme als wegen Verletzungen zu zählen sind.

Heuchelei

Jürgen Klopp hat nicht nur ein bemerkenswertes Gebiss. Er ist auch ein Mann kerniger Schlagfertigkeit. Man soll jetzt nicht so tun, sagte der bekannte deutsche Fussballtrainer, die Spieler seien nicht in der Verantwortung, ein Zeichen gegen Katar zu setzen und überhaupt sei das jetzt zu spät, man hätte, wenn schon, damals bei der Vergabe des Austragungsortes etwas sagen müssen. 

Im Fall

Eine Freundin hat mir kürzlich ein Interview weitergeleitet, über das ich mich augenblicklich wahnsinnig aufgeregt habe. Es ging um einen einzigen Satz, eigentlich, und der lautete: «Ich hätte mir nicht vorstellen können, ein hilfloses Baby nach drei Monaten in fremde Hände geben zu müssen.»