Im Fall

Eine Freundin hat mir kürzlich ein Interview weitergeleitet, über das ich mich augenblicklich wahnsinnig aufgeregt habe. Es ging um einen einzigen Satz, eigentlich, und der lautete: «Ich hätte mir nicht vorstellen können, ein hilfloses Baby nach drei Monaten in fremde Hände geben zu müssen.»

 

Es ist, erstens, nicht so, dass es so wahnsinnig fremde Hände sind. Man stellt das Kind ja nicht irgendwo ab. Es ist eine Kindertagesstätte, die Menschen, die dort arbeiten, lernt man vorher kennen, es gibt eine Eingewöhnungszeit, während der man als Eltern dabei ist. Zweitens, natürlich, sind 14 Wochen Mutterschaftsurlaub viel zu kurz, aber nur wenige können es sich leisten, diesen auf eineinhalb Jahre auszuweiten, wie das Paar in diesem Interview. 

 

Ich kenne in meinem Umfeld niemanden, der/die so lange auf das Einkommen eines Elternteils hätte verzichten können. Und keinen Arbeitgeber und keine Arbeitgeberin, die das einfach so lockerflockig mitgemacht hätten. Darum, ich erinnere, braucht es eine Elternzeit. Was es hingegen nicht braucht, sind so Sätze wie den oben zitierten, der alle Menschen, die halt nicht mehr als diese 14 Wochen Urlaub kriegen und danach wieder arbeiten (müssen), dastehen lässt, als hätten sie ihr Baby ausgesetzt. Das hilflose. Womöglich noch nur in Windeln und im Körbli. 

 

Es hat mich so aufgeregt. Und dann stellte ich fest, dass es mir sehr oft so geht bei Texten zu diesem Thema. Dieser Satz war sicher gar nicht so gemeint und die interviewten Eltern sagen später wiederholt, dass sie sich andere Bedingungen für alle Eltern wünschen. Sie wissen, dass sie privilegiert sind. Aber ich kann das jeweils gar nicht mehr objektiv beurteilen, sondern komme in den Besserwisserstänkermodus. 

 

Ich rege mich dann zum Beispiel auf, weil es um ein Paar geht, das viel Geld hat (wen interessiert deren Geschichte, ist ja mega nicht typisch, im Fall), weil sie studiert haben (Akademiker und dann noch grännen wegen Kinderbetreuung), weil es ein Paar ist, das selbstständig arbeitet (kann nicht jedes, im Fall), weil sie eine klassische Aufteilung daheim haben (in welchem Jahrhundert sind wir?). Kurz: ich wüte gegen alles, was nicht so ist wie ich. 

 

Ja ich weiss, ich bin ein böser und undifferenzierter Mensch. Dabei könnten wir es jetzt bewenden lassen, wenn es anderen beim Lesen solcher Texte eben nicht genau gleich ginge, wie mir immer wieder berichtet (oder gebeichtet) wird. 

 

Und genau das dividiert uns auseinander. Uns, die Eltern. Mit je völlig unterschiedlichen Modellen, Wünschen, Ansprüchen, Fähigkeiten, Fehlern, Hoffnungen, Umständen. Diese Interviews sind Gift. Solche Fallbeispiele sind nicht hilfreich. Es ist egal, wer warum wann das mit dem Kind wie macht. Denn im Grunde genommen, und das ist exakt bei diesem Interview auch so, haben wir eine grosse Gemeinsamkeit: Wir wollen Zeit mit unseren Kindern und unseren Familien verbringen und wir meinen mit Zeit wesentlich mehr als die läppischen 14 Wochen. Und wir wollen das haben, ohne gleich den Job oder das Ersparte zu verlieren. Lasst uns also immer wieder, aber nur noch über das Eine schreiben, das uns eint. Im Fall.

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