An dieser Stelle #2: Landliebe

Man kann diesem Land leicht verfallen. Es fühlt sich dann so an, als würde man sich in den falschen Mann verlieben. Als Schweizerin ist die amerikanische Politik unerträglich, wieso also die plötzliche Liebe? Das heimische Umfeld reagiert auf diese denn auch so, wie es Eltern tun, wenn ein wesentlich älterer, vorbestrafter Mann aus einer wüsten Gang ihrem minderjährigen Kind die Sinne vernebelt. Mit vielen Argumenten, die eindeutig dagegensprechen. Nur, was vermögen Argumente gegen die Liebe auszurichten? 

 

Als es uns letzten Sommer hier in diese detailgetreue Kopie der Wysteria Lane aus der Serie Desperate Housewives geworfen hat, ein Quartier also, das aus typischen amerikanischen Einfamilienhäusern mit weissen Garagentoren und ebenso weissen Zäunen sowie akkurat gestutzten, immer gleich grünen Rasenflächen besteht, habe ich mir eine kleine front porch eingerichtet, eine der Haustür vorgelagerte Art Veranda, wie man sie aus amerikanischen Filmen kennt. Dort lässt sich, mit einer Zeitung getarnt, wunderbar das nachbarschaftliche Leben beobachten. Es hat meine Liebe zu diesem Land noch grösser gemacht. 

 

Wegen Menschen wie Sarah, die mir gegenüber wohnt. Sarah mit «h», das ist wichtig. Sie ist der witzigste Mensch, den ich je getroffen habe. Das bedeutet etwas in einem Land, in dem der Humor eines zufälligen Busfahrers locker den der drei oder vier letzten Salzburger-Stier-PreisträgerInnen überflügelt. Niemand ist ironischer als AmerikanerInnen und niemand ist ironischer als Sarah. Glücklicherweise trinkt sie auch gerne, was mich mit Claire zusammenbrachte, die Nachbarin von etwas weiter unten. Claire hat der jahrelange Verzicht auf Kohlenhy­drate einen Hauch von Hoffnungslosigkeit ins Gesicht geschrieben, was der übernatürlichen Perfektion ihrer Erscheinung guttut und sie tatsächlich noch schöner macht. Bevor ich diese grosse, schwankende Frau an meinem Arm einmal spätabends zurück in ihr Haus bringen musste, hatten wir uns weinselig über meinen anderen Nachbarn, den pensionierten Pfarrer unterhalten. Mike heisst er. Ein eleganter älterer Mann, der nur noch Beerdigungen macht. Mike hat ein BMW-Sport-Cabriolet, einen grossen Töff, kürzlich erst sein Flugzeug verkauft und er hat eine sehr wertvolle Münzsammlung. Die gut gebauten jungen Männer, die samstags gegen Abend vorfahren und zu ihm ins Haus gehen, tun das allerdings kaum wegen dieser Münzen. 

 

Ja, es ist furchtbar zu wissen, dass die trinkende, kühle Blondine, meine witzige, jüdische Nachbarin, der schwule Priester und auch ich in je anderen Teilen des Landes weniger froh zusammenleben könnten. Aber dann laufe ich durch irgendeine Strasse, auch weit entfernt vom linken Washington, und jemand ruft mir zu, dass er meine Haare liebt, und seit ich angefangen habe, das auch zu tun, also wildfremden Menschen Komplimente zu machen, bin ich irgendwie glücklicher. Diese schiere Freundlichkeit hat etwas so Verbindendes, dass tatsächlich die Schiessereien, die hier häufiger und näher stattfinden, als einem lieb ist, die Toten, die es mangels Geldes für Medikamente doch nicht schafften oder die gigantische Opioid-Krise und das Versagen der Regierung in den Hintergrund rückt. Man kann trotzdem grosse Gefühle haben für dieses Land. 

 

So habe ich denn in diesen letzten Monaten einiges über die Liebe gelernt. Politisch bin ich noch immer sehr ratlos.

 

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