Das Versprechen

Jemand schrieb: «Nachdem sich alle im Nu zu Epidemiologen und Militärstrateginnen weitergebildet haben, hat sich die halbe Schweiz nun in einem Wochenendworkshop auch profunde Kenntnisse in Wirtschaftsrecht und Banking angeeignet.» Während ich das bezüglich Corona-Pandemie und Krieg in der Ukraine durchaus genau so sehe und mich, wie ich finde, äusserst vornehm zurückhalte mit Meinung und Prognose, bin ich jetzt also doch eine davon. Eine von denen, die bei den Ereignissen rund ums letzte Wochenende mitredet, obwohl sie von Wirtschaftsrecht und Banking tatsächlich keine nennenswerte Ahnung hat.

Wie so viele andere konnte ich das Ende der Crédit Suisse live am Bildschirm mitverfolgen. Und hatte dabei ganz viele und ganz verschiedene Gefühle. Zum Beispiel war ich erstaunlicherweise erst einmal froh, sass dort Karin Keller-Sutter und nicht Ueli Maurer, alleine schon wegen der Sprachkenntnisse. Wenn man schon den Untergang einer schweizerischen Institution verkünden muss, hatte es sprachlich Stil und man konnte sich auf den Inhalt konzentrieren, anstatt sich für fehlende Fremdsprachen der Regierung zu schämen. Eine wohltuende Ausnahme bei der ganzen Veranstaltung, wie sich herausstellen sollte. Ich habe zwei Beispiele: Als Marlene Amstad, die Präsidentin der Finanzmarktaufsicht, wiederholt darauf hinwies, dass Tweets der Bank respektive dem Vertrauen in die Bank geschadet hätten und man den Eindruck gewinnen konnte, das Ganze sei einfach das Ergebnis eines sehr unglücklich verlaufenen Shitstorms, hatte ich Fragen und etwas Scham. Als ein Journalist ganz direkt die Frage aller Fragen stellte, die Schuldfrage nämlich, und wissen wollte, wer die Misère zu verantworten habe, und Axel Lehmann, Chef der gerade an die Wand gefahrenen Bank antwortete, man sollte jetzt nicht zurückschauen und Vergangenheitsbewältigung machen und Schuldige suchen, hatte ich hingegen keine Fragen mehr. Dafür sehr viel Scham.

Denn, wohin genau sonst sollten wir jetzt schauen, wenn nicht zurück? Wohin, wenn nicht dahin, wo die Fehler passiert sind und zu denen, die sie gemacht haben? Ungefähr da entschied ich mich vermutlich, dass ich sehr wohl mitreden werde, auch wenn ich, wie erwähnt, keine Ahnung von Wirtschaftsrecht und Banking habe. Das Problem ist, dass man in diesem spezifischen Fall mit Expert:innenwissen nicht zwingend weiterkommt. 

Es scheint mir relativ eindeutig, dass ein losgelöstes Management durch strategische Fehler eine Bank in den Abgrund riss. Ein Management, das nicht zu bremsen oder zu regulieren war. Dabei hat es Menschen mitgerissen. In erster Linie sind das die Mitarbeiter:innen der Crédit Suisse und der UBS, die wissen, dass nun Tausende Arbeitsplätze gefährdet sind, aber keine Ahnung haben, ob sie damit gemeint sind oder nicht. Hingegen haben sie die Gewissheit, dass sie die sind, die für die Vergehen der Manager bezahlen werden – als entlassene Angestellte und Steuerzahler:innen, als die sie, als die wir für die insgesamt 109 Milliarden bürgen, die der Bund eingeschossen und versprochen hat.

Die Forderung, dass statt dieser Menschen – Angestellten, Steuerzahler:innen, Kund:innen – die Manager für die Kata­strophe gerade stehen müssen, ist nicht einfach Volkszorn, wie verschiedentlich zu lesen war. Die Forderung ist eine Selbstverständlichkeit und man sollte das nicht als Impuls eines Wutbürgertums abtun. Es muss ein Gesetz, eine Handhabung dafür geben, dass Chefs solcher grossen Banken und Konzerne zur Rechenschaft gezogen werden können. Allerdings erachten das die Expert:innen – also die, die eine Ahnung haben von Wirtschaftsrecht und Banking – als nicht sinnvoll. Der Wirtschaftsrechtsprofessor Peter V. Kunz ist so einer. Er äussert sich im ‹Tages-Anzeiger› vom Mittwoch so: «(…) es ist absolut illusorisch, zu glauben, dass sich mit einem solchen Gesetz dann noch Manager für eine Grossbank finden lassen. Ein Gesetz zur persönlichen Haftbarkeit wür­de Bankmanager noch schneller vertrei­ben als ein Boni-Verbot». 

Ich nehme das als Versprechen. 

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