Populist:innen aller Länder, vereinigt euch!

Oder doch besser nicht? In einer Zeit, in der Krisen, Krieg und wachsende Ungleichheit den Boden für populistische Strömungen nähren und die Mileis und Wagenknechts wie Erstmaiglöckchen aus der Erde schiessen, lohnt es sich, die Ideologie des Populismus genauer zu betrachten. Was bietet sich dafür besser an als der Tag der Arbeit, an dem das arbeitende Volk auf die Strassen geht? 

Der Begriff Populismus hat einen schlechten Ruf, wird geläufig als Beleidigung aufgefasst. Dieser Deutung widerspricht die Politologin Chantal Mouffe. In ihrem erstmals auf Deutsch übersetzten Essay «La gauche face au nouveau régime climatique» plädiert die Grande Dame der Politischen Theorie für einen linken Populismus, der verschiedene soziale Kämpfe vereint, um ein «Volk» aufzubauen, das die neoliberale Oligarchie herausfordert. Mouffe betont die Rolle der Affekte, um einen kollektiven Willen zu schaffen, mit dem sich die Bürger:innen identifizieren können. Und sie spricht sich für ein Europa aus, das Einheit und Vielfalt verbindet und die verschiedenen kollektiven Identitäten anerkennt.

Ein «wir» gegen das elitäre «sie» zu formen, das fordert auch Nicola Siegrist. In seinem Beitrag erklärt er, wie die Linke in Zeiten globaler Krisen und eines aufkeimenden Faschismus nicht länger defensiv und saubermännisch bleiben dürfe. Der Populismus soll nicht nur den Rechten vorbehalten sein, sondern als wirksames Instrument progressiver Kräfte zur breiten gesellschaftlichen Mobilisierung genutzt werden, findet der Juso-Präsident. Sein (populistischer) Appell: Die da oben von ihrem hohen Ross holen! 

Demgegenüber plädierten Peter Schneider und Anna Papadopoulos im P.S.-Wochengespräch vom 28.03.24 für mehr linke «Snobbigkeit» und gegen linken Populismus. Diese Gedanken führen sie mit Blick auf den polnischen Populismus weiter aus. In ihrem Beitrag analysieren sie die ultrakonservativen Gegenbewegungen zur sogenannten Gender-Ideologie in Polen und argumentieren, dass der Widerstand gegen «Gender» zu einem Schlüsselelement des aufkommenden Rechtspopulismus wurde. Schneider und Papadopoulos Lösung: Dem rechten Hatespeech mit konkreter, analytischer Kritik entgegenzuwirken, statt mit linkem Populismus zu kontern.

Und selbstverständlich: Keine Themenbeilage zum Populismus wäre komplett ohne einen Blick auf die USA. Ein gutes halbes Jahr vor den US-Wahlen befasst sich Lotta Suter aber nicht nur mit dem den Diskurs dominierenden Donald, sondern beleuchtet die lange Tradition des Populismus in den USA. Sie zeigt auf, wie sich Ausnahmezustand und Populismus gegenseitig begünstigen und wie die Republikaner auf ihren Machtverlust mit Rechtspopulismus reagieren.

Wenig Bilder, viel Text, kritische Reflexionen und eine Fülle von Perspektiven: Das erwartet Sie in dieser Beilage, zusammen mit drei Seiten Cartoons von Roman Prelicz Wir wünschen eine erkenntnisreiche Lektüre – und dann aber: 

Avanti Popolo und raus zum 1. Mai!

Tim Haag 

P.S.: Und wenn Sie dann draussen sind: Besuchen Sie uns an unserem Stand am 1.-Mai-Fest im Kasernenareal! Was dort sonst diskutiert, debattiert und zelebriert wird, finden Sie auf dem 1.-Mai-Programm auf Seite 13.

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