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Des einen Leid, des andern Profit

Am 9. Juni stimmen wir über das Stromgesetz ab. Der ‹Tagi› thematisiert negative Strompreise und fragt einen Experten der Axpo unter anderem, ob negative Strompreise die Energiewende zu bremsen drohten. P.S. hat derweil nachgelesen, was derselbe Experte auf der Webseite der Axpo zum selben Themenkreis sagt.

Der Strompreis sei erstmals unter der Woche unter null gefallen, war im ‹Tages-Anzeiger› vom 16. April zu lesen: «Am letzten Freitag um die Mittagszeit ist der Strompreis am Schweizer Strommarkt unter null gefallen, auf minus 0,4 Rappen pro Kilowattstunde, wie der Verband unabhängiger Energieerzeuger mitteilte.» Das sei eine «Premiere» gewesen. «Was bedeutet das für Konsumierende, was für die Energiewende?» Dazu interviewt der ‹Tagi› den Experten Thomas Weber, Energieökonom Axpo.

Nun sind allerdings tiefe oder gar negative Preise am Strommarkt kein neues Phänomen: Ist das Angebot grösser als die Nachfrage, sinken die Preise, das nennt sich «Markt». P.S. hat beim Verband unabhängiger Energieerzeuger nachgefragt: Sank der Preis wirklich erstmals überhaupt an einem Wochentag unter null? Der Mediensprecher des Verbands, Walter Sachs, präzisiert, es sei «in den letzten zwei Jahren das erste Mal an einem Werktag» passiert, dass der Preis unter null gefallen sei.

Wind und Fotovoltaik «nicht steuerbar»?

Und was ist daran interessant? Im Tagi› vom 16. April findet sich nebst dem erwähnten Interview auch eine Übersicht über «Das Wichtigste zum Stromgesetz», über das wir am 9. Juni abstimmen. Dort folgt auf die Frage, was daran umstritten sei, unter anderem der Hinweis auf alpine Solarparks und Windkraftanlagen und darauf, dass die Gegner:innen fänden, «das Fotovoltaik-Potenzial auf Gebäuden und Infrastrukturen sei ausreichend». Nach Ansicht der Befürworter:innen hingegen brauche es «ergänzend dazu grosse Anlagen, die speziell viel Winterstrom liefern».

Damit zurück zum ‹Tagi›-Interview und der darin gestellten Frage, wie es zu Negativpreisen kommen könne: Der Experte Thomas Weber antwortet auf die Frage, ob das sonnige Wetter schuld gewesen sei, das erhöhte Angebot komme von Fotovoltaik, aber auch von Wind: «Die Betreiber von vielen dieser Anlagen produzieren ungeachtet der Nachfrage und des Preises stur durch.» Der Interviewer Stefan Häne hakt nach: Ob konventionelle Kraftwerke wie AKW schuld seien, weil sie ihre Produktion nicht schnell genug drosseln könnten? Thomas Weber antwortet, diese liessen sich «in der Tat nur langsam steuern. Aber immerhin sind sie überhaupt steuerbar. Ein System nur mit konventionellen Kraftwerken produziert daher praktisch keine negativen Preise. Wind und Fotovoltaik dagegen sind nicht steuerbar».

Man könne Wind- und Solaranlagen doch abstellen, fragt der Interviewer. Ja, «bei guter Regulierung» passiere das auch, doch es gebe etwa in Deutschland zu viele Betreiber, die einen fixen Einspeisetarif erhielten. Das führe zu einem «produce and forget»-Verhalten. Dieses entsteht typischerweise, wenn die Einspeisevergütung höher ist als der Preis für Strom aus dem Netz – es lohnt sich folglich nicht, ihn selber zu verbrauchen, sondern er wird eingespiesen und die Vergütung kassiert.

Im Interview erhalten wir weitere Informationen, etwa, dass bei einem Ja zum Stromgesetz am 9. Juni mit mehr Stromüberschuss an sonnigen und windigen Tagen zu rechnen sei, wobei das nicht so viel ausmachen werde. Oder dass «ohne geschickte Regulierung» negative Strompreise die Energiewende zu bremsen drohten: «In Deutschland etwa hat an windigen Tagen der Windparkbetreiber einen hohen Stromertrag, erhält aber nur wenig für seinen Strom – eine ‹Kannibalisierung›. Wenn jedoch der Staat wie in Deutschland willens ist, diesem Phänomen mit immer mehr Subventionen zu begegnen, bremst es den Ausbau nicht.»

«Vorteilhafte Situation für Pumpspeicher»

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Artikel, der bereits am 17. Juli 2023 auf der Webseite der Axpo publiziert wurde. Er trägt den Titel «Negativer Strompreis: Absehbarer Trend?». Dort beantwortet derselbe Axpo-Energieökonom Thomas Weber vergleichbare Fragen wie jene im Interview im ‹Tagi›, zum Beispiel jene, warum man nicht einfach die Produktion stoppt, wenn zu viel Strom produziert wird: «Wir versuchen nicht zu produzieren, wo es möglich ist, aber auch Strom einzusetzen, um Wasser hochzupumpen, zum Beispiel beim Pumpspeicherwerk Limmern. Wo möglich versuchen wir Speicherseen zu füllen für eine Zeit, wenn die Strompreise wieder positiv sind. Für Pumpspeicher ist es also eine vorteilhafte Situation – die Nachfrage der Pumpspeicher hilft aber auch, die Negativpreise zu dämpfen oder zu vermeiden.»

Und weiter: «Ob man produziert oder nicht, ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig. Da gibt es zum Beispiel die Kraftwerke, bei denen es zu teuer ist, ab- und wieder einzuschalten. Oder die, die gar nicht können – zum Beispiel ein Laufwasserkraftwerk. Wir haben zum Beispiel Laufwasserkraftwerke, die man aus Konzessionsgründen nicht abschalten kann, und für diese sind negative Preise nicht positiv.» Die angeblich «unsteuerbaren» Wind- und Solaranlagen spricht er hier nicht an.

Offensichtlich kann man zwar auch heute noch mit günstigem Strom Speicherseen füllen und das Wasser dann turbinieren, wenn die Preise wieder hoch sind, wie man es in der Schweiz seit eh und je macht. Aber zum Pumpen scheint nur Strom vom Laufwasserkraftwerk oder vom Kernkraftwerk genehm zu sein – jedenfalls bleibt offen, weshalb das nicht genauso gut mit günstigem Solar- oder Windstrom möglich wäre. Oder anders gesagt: Dass es auch Profiteure der Negativpreise gibt, wollte die Axpo anscheinend im ‹Tagi› nicht an die grosse Glocke hängen. Dass es nur logisch ist, dass alle Kraftwerksbetreiber am liebsten «durchproduzieren», nicht nur jene von Solar- und Windanlagen, sondern auch jene von Kernkraftwerken oder Wasserkraftwerken, ist auch kein Thema … Darauf angesprochen, erklärt Mediensprecher Stephan Weber: «Dass es auch Profiteure gibt bei den negativen Strompreisen, ist kein Geheimnis. Bei dem erwähnten Beitrag auf der Axpo-Website haben wir beispielsweise ein Interview mit unserem Chefökonomen Martin Koller, der dies vor einiger Zeit bei Radio SRF erklärte, verlinkt. Beim sogenannten Magazin-Artikel auf der Axpo-Website haben wir vor gut einem Jahr die wichtigsten Fragen rund um das stets wiederkehrende Phänomen der negativen Strompreise beantwortet. Beim ‹Tages-Anzeiger› haben wir die vom Journalisten gestellten Fragen beantwortet.»

«Wir sehen da keinen Widerspruch»

Zur Frage, weshalb es zu Produktionsspitzen komme, erklärt Energieökonom Thomas Weber auf der Axpo-Webseite, in der ursprünglichen Förderung von Wind- und Solaranlagen sei stets der gleiche Einspeisetarif bezahlt worden, egal, wann eingespeist wurde: «Ab 2017 wurde die Förderung in Deutschland aber ‹intelligenter› gemacht, vor allem für Grossanlagen. Für sie lohnt es sich jetzt, bei negativen Preisen die Produktion zu stoppen. Auch bei neuen Kleinanlagen wurde die Regulierung verbessert, sie erhöhen aber immer noch etwas die Tendenz zu negativen Preisen.» Wenn nach und nach alte Grossanlagen aus der Förderung fielen, verbessere sich die Lage – und in der Schweiz sei das Problem «weit geringer» als in Deutschland. Denn hier gebe es viel weniger Anlagen mit fixem Einspeisetarif, und der Zubau von Photovoltaik und Wind sei bisher «deutlich geringer» gewesen als in Deutschland: «Die Preistäler sind ja gerade dann, wenn die Erneuerbaren viel produzieren. Ausserdem kann im Verhältnis zum Verbrauch in der Schweiz viel mehr gespeichert werden wegen den Pumpspeichermöglichkeiten.»

Immerhin: Das tönt doch etwas anders als der Hinweis auf das angebliche «produce and forget»-Verhalten der Betreiber von Solar- und Windanlagen im ‹Tagi›-Interview. Mediensprecher Weber führt dazu aus: «Wir sehen da keinen Widerspruch. Bereits im Magazin-Artikel vom letzten Sommer machte Axpo-Ökonom Thomas Weber klar: ‹In der ursprünglichen Förderung von Wind- und Solaranlagen wurde stets der gleiche Einspeisetarif bezahlt, egal wann eingespeist wird.› Das ist nichts anderes als das ‹produce and forget›-Verhalten. Ausserdem: Wie in beiden Artikeln ausgeführt, haben wir in der Schweiz weniger ein Thema von ‹produce and forget›, weil wir in der Schweiz eine andere Förderung haben. Auch das hat Thomas Weber im Magazin-Artikel wie auch im ‹Tagi›-Interview erwähnt: Es gibt in der Schweiz weniger Anlagen mit fixem Einspeisetarif. Wir haben ausserdem mehr Flexibilität, gerade mit Pumpspeicherwerken.»

Böse Subventionen, gute Subventionen?

Auf die Frage, ob der negative Strompreis den Ausbau der Erneuerbaren bremst, lautet Thomas Webers Antwort auf der Axpo-Webseite: «Es werden nicht alle Erneuerbaren gefördert, bzw. die Förderung ist zeitlich begrenzt. Dann müssen die Einnahmen vom Markt kommen, und negative Preise schmerzen natürlich. Diese Gefahr wird bei Investitionsentscheiden berücksichtigt, was den Ausbau bremsen kann. Bei Axpo ist das Ziel, einen ausgewogenen Technologie- und Ländermix zu haben.» Hier gibt es keinen Hinweis auf den Staat, der «wie in Deutschland» willens sei, dem Phänomen der negativen Energiepreise «mit immer mehr Subventionen» zu begegnen.

Das ist insofern interessant, als es bekanntlich auch «Schweizer Ökostrom, made in Europa» gibt, wie Hanspeter Guggenbühl im gleichnamigen Artikel festhielt, der vor bald neun Jahren, im P.S. vom 9. Oktober 2015, erschienen ist: «Für den Strom, den die Axpo im Windpark ‹Global Tech 1› (in der Nordsee / nic.) produziert, erhält sie in den ersten acht Betriebsjahren eine Einspeisevergütung von 19,4 Euro-Cent pro kWh (umgerechnet über 20 Rappen). Diese Vergütung liegt um mehr als 15 Rappen über dem aktuellen Marktpreis. Das heisst: Allein für die 350 Millionen kWh Strom, welche die Axpo in diesem Windpark jährlich erzeugt, erhält sie von Deutschland eine Subvention im Umfang von 50 Millionen Franken pro Jahr oder 450 Millionen Franken in neun Jahren.» Dies bringe Schweizer Stromunternehmen in Erklärungsnot, hielt Guggenbühl fest: «Einerseits klagen diese, der subventionierte Ökostrom aus dem Ausland verfälsche den Strommarkt und mache die einheimische Wasserkraft unrentabel. (…) Andererseits kassieren sie mit ihren Investitionen im Ausland selber einen Teil der verpönten Subventionen.»

Yves Schönenberger, Ökonom bei der Axpo, nimmt dazu wie folgt Stellung: «Offshore-Windanlagen wie jene von Global Tech 1 waren zum Zeitpunkt der Investition und des Baus noch eine junge Technologie für die Erzeugung von nachhaltigem Strom. Entsprechend waren die Kosten für den Bau der Anlage sowie den Anschluss an das Stromnetz über den damaligen Marktpreisen und zudem auch mit Risiken und Unsicherheiten behaftet. Da Offshore-Windanlagen jedoch eine essenzielle Rolle für die Umsetzung der Energiewende zugeschrieben werden, hat Deutschland ein Förderinstrument bereitgestellt, welches bewusst und gezielt höhere Einnahmen als am Markt ermöglichte, mit dem Ziel, Investitionen und Projekte in dieser frühen Phase der technologischen Entwicklung zu unterstützen. Axpo hat sich mit seinem Investment an der Entwicklung dieser wichtigen Technologie beteiligt. Aktuelle Förderinstrumente sind stärker marktorientiert, da Wind Offshore als Erzeugungstechnologie mittlerweile einen höheren Reifegrad erreicht hat.»