Linker Populismus im neuen Klimaregime

Trotz der anhaltenden klimaskeptischen Strömung herrscht heute weitgehend Einigkeit über die Notwendigkeit einer ökologischen Energiewende, um unsere Volkswirtschaften zu dekarbonisieren. Uneinigkeit herrscht darüber, wie dieser Übergang aussehen soll und welcher Weg dafür einzuschlagen ist.

Diese Frage ist nicht nur technischer Natur, sondern hat auch eine wichtige politische Dimension, die weitreichende Folgen für die Zukunft der Demokratie haben wird. Es ist zum Beispiel klar, dass der von neoliberalen Kräften geförderte grüne Kapitalismus eindeutig autoritäre Implikationen hat, obwohl der Übergang zu erneuerbaren Energien die Voraussetzungen für ein Entwicklungsmodell schaffen könnte, das demokratische Freiheiten und soziale Gerechtigkeit garantiert. Ich möchte einige Überlegungen dazu anstellen, wie eine linke Politik den ökologischen Übergang unter den spezifischen Bedingungen, die heute in den europäischen Ländern herrschen, angehen sollte.  Lassen Sie uns zunächst klären, was ich unter «linker Politik» verstehe. Aus meiner theoretischen Perspektive, die auf einem «dissoziativen» Verständnis von Politik beruht, hat Politik immer etwas mit Konflikt und Antagonismus zu tun. Wie uns Macchiavelli gelehrt hat, ist die Gesellschaft gespalten und die Politik hat einen «parteiischen» Charakter in Form eines Gegensatzes, der sich in den Kategorien «wir» und «die anderen» zeigt. Das gilt auch für die pluralistische Demokratie, deren Besonderheit nicht darin besteht, diese Spaltung zu leugnen, sondern darin, den Konflikt anzuerkennen, zu legitimieren und sich zu weigern, eine autoritäre Ordnung durchzusetzen. Dies erfordert, dass Gegner nicht als Feinde betrachtet werden, die es zu vernichten gilt, sondern als Kontrahenten, deren Positionen bekämpft werden, ohne dass jedoch ihr Recht, diese zu verteidigen, infrage gestellt wird. Diese Konfrontation zwischen Gegnern entspricht einem «agonistischen Kampf», der die eigentliche Voraussetzung für eine pluralistische Demokratie ist. Sie ist es, die es, wie Marcel Mauss es ausdrückt, ermöglicht, «sich zu widersetzen, ohne sich abzuschlachten». Wenn diese Konfrontation ausbleibt, können Leidenschaften keinen politischen Ausdruck mehr finden, was zu einem Prozess der Abwendung von den demokratischen Institutionen oder zur Entstehung von Formen der Polarisierung aufgrund ethnischer oder religiöser Themen führt. 

Eine lebendige Demokratie kann ohne die Existenz von Debatten über politische Alternativen nicht überleben. Sie muss Formen der Identifikation anbieten, die auf deutlich differenzierten demokratischen Positionen beruhen. Dies ist die Rolle des Rechts-Links-Gegensatzes, der in der pluralistischen Demokratie dazu beiträgt, den Konflikt zu inszenieren, indem er Themen vorschlägt, die in der Lage sind, politische Leidenschaften zu mobilisieren. Der Kampf zwischen rechts und links sollte nicht in essenzialistischer Manier als ein Konflikt zwischen unveränderlichen Identitäten oder bestimmten soziologischen Kategorien verstanden werden, sondern als eine Konfrontation zwischen axiologischen Positionen. Norberto Bobbio hat gezeigt, dass die Inhalte dieser Begriffe zwar je nach Zeit und Umständen variieren, sie aber immer die Frage der Gleichheit als Bezugspunkt haben, die für die Linke ein zentrales Ziel ist, während die Rechte sich mit Ungleichheiten abfindet und sie rechtfertigt. Wenn ich von linker Politik spreche, will ich damit also eine Strategie bezeichnen, deren Ziel die Konsolidierung und Ausweitung der Kämpfe für Gleichheit und soziale Gerechtigkeit ist.

Ich werde meine Überlegungen in die aktuelle Konjunktur einbetten, mit den Kräfteverhältnissen und Affekten, die sie bestimmen. Zunächst werde ich die Auswirkungen der politischen und wirtschaftlichen Veränderungen, die der Neoliberalismus in den letzten vierzig Jahren bewirkt hat, auf die demokratische Politik hin untersuchen. Was Europa betrifft, haben diese Transformationen zur Erosion von zwei der Säulen des demokratischen Ideals geführt: Gleichheit und Volkssouveränität, was eine Situation geschaffen hat, die oft als «Postdemokratie» bezeichnet wird. Die Postdemokratie kennzeichnet in der politischen Arena eine Entwicklung, die ich als «Postpolitik» bezeichne: Sie verwischt die traditionellen politischen Grenzen und stellt den Konsens zwischen Mitte-rechts und Mitte-links als demokratischen Fortschritt dar.  Mit der Behauptung, dass es keine Alternative zur neoliberalen Globalisierung gibt, reduziert die post-politische Perspektive politische Entscheidungen auf technische Fragen, die von Experten behandelt werden müssen. In der Überzeugung, dass die Globalisierung eine «Modernisierung» erfordere, haben die sozialdemokratischen Parteien das Diktat des Finanzkapitalismus und die Beschränkungen akzeptiert, die den Staaten in ihrer Umverteilungspolitik auferlegt wurden. Den Bürgern wird die Möglichkeit genommen, zwischen substanziell unterschiedlichen politischen Projekten zu entscheiden, und die Wahlen laufen auf eine blosse Alternierung zwischen den sogenannten «Regierungsparteien» hinaus. Die Post-Politik erklärt das adversative Modell der Politik mit seiner Links-Rechts-Spaltung für überholt und befürwortet eine «Politik ohne Gegner», die ihren parteipolitischen Charakter überwindet. 

Eine solche post-politische Situation herrschte in Europa ab den 1980er-Jahren während der Zeit der unangefochtenen Hegemonie des Neoliberalismus. Mit dem Finanzcrash von 2008 geriet diese Hegemonie jedoch in die Krise. Als die Austeritätspolitik begann, die Lebensbedingungen eines Grossteils der Bevölkerung zu beeinträchtigen, ging eine Welle des Protests durch viele Länder. Es kam zum Aufstieg «populistischer» Bewegungen, die den Konsens der politischen Mitte verwarfen und die Konflikthaftigkeit wieder bekräftigten, indem sie eine politische Grenze zwischen dem «Volk» und den Kräften des Establishments errichteten.  Was ich als «populistischen Moment» bezeichnet habe, deutet auf eine «Rückkehr des Politischen» nach Jahren der Postpolitik hin. 

Diese Rückkehr des Politischen ist keine Garantie für einen demokratischen Fortschritt und kann auf autoritäre Weise stattfinden. Alles hängt davon ab, wie das «Volk» konstruiert wird. So konstruiert der Rechtspopulismus ein Volk, indem er sich eines ethno-nationalistischen Diskurses bedient, der Migrant:innen ausschliesst, die als Bedrohung für die nationale Identität und den Wohlstand angesehen werden. Er propagiert eine Demokratie, die sich ausschliesslich auf die Verteidigung der Interessen der «echten» Staatsangehörigen des Landes konzentriert. Im Namen der Rückeroberung der Demokratie schlägt er in Wirklichkeit deren Einschränkung und die Einführung eines autoritären Modells vor.

Die Rückeroberung der Demokratie kann jedoch auch die Gelegenheit zu ihrer Ausweitung bieten. In diesem Sinne habe ich die These vertreten, dass ein «linker Populismus» gefördert werden muss, der eine Vielfalt von ökologischen, sozialen und gesellschaftlichen Kämpfen vereint, um ein «Volk» aufzubauen, dessen gemeinsamer Gegner die neoliberale Oligarchie und die mit ihr verbundenen Kräfte sind.  Die Besonderheit einer linkspopulistischen Strategie besteht darin, eine Äquivalenzkette zwischen demokratischen Kämpfen, die von Ausbeutung, Herrschaft und Diskriminierung geprägt sind, herzustellen, um einen Prozess der «Radikalisierung der Demokratie» anzustossen.

Es ist wichtig zu unterstreichen, dass eine Äquivalenzkette nicht einfach eine Koalition aus bereits bestehenden politischen Subjekten ist. Das Volk und die politische Grenze, die seinen Gegner definiert, werden durch den politischen Kampf konstruiert und können nach hegemonialen Interventionen immer wieder neu definiert werden. Der Prozess der Artikulation ist von entscheidender Bedeutung, da einzelne Forderungen erst durch ihre Einbettung in eine Äquivalenzkette ihre politische Bedeutung erlangen. Es gibt keinen intrinsisch emanzipatorischen Kampf, der nicht auch auf entgegengesetzte Ziele ausgerichtet werden könnte. Ob es sich um Ökologie, Feminismus oder andere Bereiche handelt, die Frage der Artikulation ist entscheidend.  

Ich möchte auch klarstellen, dass eine populistische Strategie zur Radikalisierung der Demokratie keinen völligen Bruch mit den Institutionen der pluralistischen Demokratie bedeutet. Sie zielt darauf ab, diese Institutionen so umzugestalten und zu bereichern, dass ihre ethisch-politischen Prinzipien der «Freiheit und Gleichheit für alle» in einer wachsenden Zahl von sozialen Beziehungen in Kraft treten. Sie versucht, dies durch demokratische Verfahren zu erreichen, z.B. durch das, was André Gorz als «nicht-reformistische Reformen» bezeichnet. Das Ziel ist nicht die Schaffung einer Avantgarde, sondern die Bildung eines Volkes, dessen Projekt die Verteidigung und Vertiefung der Demokratie ist. Man kann von «radikalem Reformismus» sprechen, um diese Strategie von der Politik revolutionärer Prägung, aber auch vom sterilen Reformismus der Sozialliberalen abzugrenzen. Ein solches Projekt ist zwar insofern radikal, als es auf die Schaffung eines neuen Kräfteverhältnisses und die Installation einer neuen Hegemonie abzielt, aber ohne mit den Grundsätzen der pluralistischen Demokratie zu brechen. 

Eine linkspopulistische Strategie ist nicht starr und entwickelt sich je nach Konjunkturlage weiter. Vor der Pandemie ging es vor allem darum, das postpolitische Modell infrage zu stellen und den agonistischen Kampf im Kampf gegen den Neoliberalismus wiederzubeleben. Jetzt müssen auch die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Covid-Pandemie und die Klimakrise bewältigt werden – und das in einem geopolitischen Kontext, der durch den Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten erschüttert wird. Das Ziel einer linken Politik ist weiterhin die Ausweitung der demokratischen Prinzipien der Gleichheit und sozialen Gerechtigkeit, aber es sind neue Herausforderungen zu den bisherigen hinzugekommen. Heute muss das demokratische Projekt im Licht des ökologischen Anspruchs neu formuliert werden, befreit von seinen rationalistischen Einseitigkeiten und dem prometheischen Ehrgeiz, die Natur zu beherrschen.  Es muss die Lehren aus dem Anthropozän einbeziehen und die Trennung zwischen Natur und Kultur sowie den Gegensatz zwischen Menschen und Nicht-Menschen ablehnen. 

Damit stehen wir an der Schwelle zu einer neuen Phase der demokratischen Revolution. Im 19. Jahrhundert wurde unter dem Einfluss von Arbeiterkämpfen und sozialistischem Denken das liberale, auf politische Rechte ausgerichtete Verständnis von Demokratie durch die Einbeziehung sozialer Forderungen verändert. Während des gesamten 20. Jahrhunderts wurde der Kampf gegen Ungleichheit und für soziale Gerechtigkeit vor allem im Hinblick auf die gleichmässige Verteilung der Früchte des Wachstums konzipiert. Der Kampf der neuen sozialen Bewegungen hat neue Perspektiven für die Frage der sozialen Gerechtigkeit eröffnet, die sich jedoch auf Autonomie und Freiheit konzentrieren und – mit Ausnahme einiger Umweltbewegungen – nicht auf die Art des Wachstums abzielen.

 Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem der Kampf für soziale Gerechtigkeit gebietet, die produktivistischen und ausbeuterischen Modelle infrage zu stellen. Man hat aufgehört, Wachstum als eine Form des Schutzes zu betrachten, es ist zu einer Gefahr für die Bewohnbarkeit des Planeten geworden. Daher ist es nicht mehr möglich, den Kampf für soziale Gerechtigkeit zu führen, ohne die Beendigung eines Wachstumsmodells anzustreben, das die Existenz der Gesellschaft bedroht und dessen Auswirkungen besonders zerstörerisch für die vulnerabelsten Länder und sozialen Gruppen sind. Dies bedeutet, dass sowohl auf der Ebene der Produktion als auch auf der Ebene der Reproduktion gekämpft werden muss – wobei letztere im weitesten Sinne als das gesamte Leben auf dem Planeten verstanden werden und nicht auf die menschliche Reproduktion reduziert werden soll. 

Mit dem neuen Klimaregime ist die Bewohnbarkeit des Planeten zur entscheidenden Frage geworden. Wir müssen den ökologischen Übergang in den Mittelpunkt des Projekts zur Radikalisierung der Demokratie stellen und die ökologischen Kämpfe mit den sozialen Kämpfen verknüpfen. Dies erfordert eine echte ökologische «Gabelung», die die Abhängigkeit unserer Gesellschaften vom Wirtschaftssystem des Finanzmarktkapitalismus durchbricht, das für die Beschleunigung der ökologischen Katastrophen verantwortlich ist. Eine solche Gabelung kann nicht ohne Konfrontation mit dem Finanzkapital stattfinden, und es ist eine Illusion zu glauben, dass sie allein von sozialen Bewegungen vollzogen werden kann. Umweltaktivist:innen spielen zwar eine wichtige Rolle, aber sie werden keine entscheidenden Fortschritte erzielen können, wenn sie sich weigern, sich politisch zu organisieren. Andererseits ist ein erfolgreicher Übergang zu erneuerbaren Energien nicht möglich, ohne auf eine ökologische Planung zurückzugreifen, und der Staat wird in diesem Prozess eine bedeutende Rolle spielen müssen. Um die Voraussetzungen für eine siegreiche Konfrontation mit den fossilen Industrien zu schaffen, muss man Wahlen gewinnen und an die Macht kommen.

Einen Punkt möchte ich besonders hervorheben: Um den ökologischen Kampf mit anderen demokratischen Kämpfen zu verknüpfen, ist es entscheidend, ein «Wir» zu schaffen, das die treibende Kraft des politischen Handelns sein wird. Um diesen kollektiven Willen entstehen zu lassen, reicht es nicht aus, ein gutes Programm auszuarbeiten, sondern es ist unerlässlich, gemeinsame Affekte ökologischer und politischer Natur zu mobilisieren.  Diese affektive Dimension wird auf der Linken aufgrund des rationalistischen Theorierahmens, der allzu oft ihre Vorstellung von Politik prägt, häufig vernachlässigt. Die Linke ist reich an Ideen über das Wesen einer emanzipierten Gesellschaft, und ihre Exponent:innen wenden viel Energie auf, um ehrgeizige Programme zu entwickeln. Dabei vergessen sie jedoch meist, dass es in der Politik nicht ausreicht, ein gutes Programm zu haben, sondern dass sich die Bürger:innen auch mit dem ihnen vorgeschlagenen Projekt identifizieren müssen. Korrekte Ideen reichen nicht aus, denn wie uns Spinoza erinnerte, haben Ideen nur dann Kraft, wenn sie auf Affekte stossen. Um Zustimmung zu wecken und Menschen zum Handeln zu bewegen, müssen diese Ideen mit den Affekten, Wünschen und Lebenserfahrungen der Menschen, die mobilisiert werden sollen, resonieren. 

Die Pandemie und die zunehmende Unsicherheit haben in weiten Teilen der Bevölkerung ein Gefühl der Verwundbarkeit hervorgerufen, das zu Affekten geführt hat, die sich in einem starken Sicherheitsbedürfnis und dem Wunsch nach Schutz ausdrücken. Es ist von entscheidender Bedeutung, diese Affekte zu berücksichtigen, da sie in sehr unterschiedliche Richtungen gehen können. Unsere Situation ist in gewisser Weise analog zu der, die Karl Polanyi in «La Grande Transformation» analysiert, wo er zeigt, dass das Bedürfnis nach Schutz zur vorrangigen Forderung wird, wenn Gesellschaften schwere Störungen in ihrer Lebensweise erfahren, und dass dieses Bedürfnis auf progressive oder regressive Weise befriedigt werden kann. Und er nennt als Beispiel die Krise der 1930er-Jahre, die zum Faschismus in Europa und zum New Deal in den USA führte.

In der aktuellen Situation kann die Forderung nach Schutz leicht von der nationalpopulistischen Rechten ausgenutzt werden, die versucht, die Menschen davon zu überzeugen, dass Sicherheit nur durch ein Souveränitätskonzept erreicht werden kann, das auf einem exklusiven Nationalismus beruht. Und es ist klar, dass sie in vielen Ländern bereits Erfolge erzielt hat. Dennoch wäre es ein Fehler zu glauben, dass das der einzige Gegner ist, und zu übersehen, dass auch neoliberale Regierungen dieses Gefühl der Verwundbarkeit ausnutzen. Ihr Ziel ist es, das zu fördern, was Gramsci als «passive Revolution» bezeichnet, eine Strategie, die in diesem Fall darin besteht, die ökologische Krise zu nutzen, um die Entwicklung einer neuen Form des Neoliberalismus, des «autoritären Technosolutionismus», durchzusetzen. So stellen die neoliberalen Kräfte die Entwicklung eines «grünen Kapitalismus» und des Geoengineerings nicht nur als Lösung für das Problem der globalen Erwärmung dar, sondern auch als den besten Weg, den Bürger:innen Sicherheit und Schutz zu bieten. Dies ermöglicht es ihnen, das Bedürfnis nach Schutz umzudeuten, um eine Reihe autoritärer Massnahmen zu legitimieren. 

Für die Linke ist es von entscheidender Bedeutung, die Forderung nach Sicherheit und Schutz in einer inklusiven und egalitären Weise zu adressieren, anstatt ihr nicht zu trauen und sie als konservativ abzuschreiben. Um stärkere Affekte als die ihrer Gegner zu wecken, muss sie eine Zukunftsvision anbieten, die Hoffnung weckt. Auch hier sollten wir auf Spinoza hören, der uns sagt, dass die einzige Möglichkeit, einen Affekt zu verdrängen, darin besteht, einen anderen, stärkeren Affekt zu erzeugen. 

Um gemeinsame Affekte zu schaffen, deren Kristallisation zum Aufbau eines «Volkes» führen kann, schlage ich vor, die Ressourcen der demokratischen Tradition zu mobilisieren, indem wir den Kampf um die Bewohnbarkeit des Planeten als eine «grüne demokratische Revolution» begreifen, die die ökologische Gabelung als neue Front der Radikalisierung der Demokratie sieht. Es ist die affektive Kraft der demokratischen Vision, die die Ideale, die den wichtigsten sozialen Errungenschaften zugrunde lagen, in den Mittelpunkt der Politik gerückt hat. Und wie die jüngsten Volksmobilisierungen zeigen, prägen die demokratischen Werte noch immer viele soziale und politische Kämpfe in unseren Gesellschaften. 

Ich bin überzeugt, dass angesichts der ökologischen Krise ein Projekt einer grünen demokratischen Revolution mit der Forderung nach Sicherheit und Schutz in Resonanz treten kann, die sich, wenn auch auf unterschiedliche Weise, in einer Vielzahl von sozialen Kämpfen ausdrückt. Es hat das Potenzial, die demokratische Vorstellungswelt zu reaktivieren und zu bereichern, Begeisterung zu wecken und könnte als Artikulationsprinzip fungieren, um heterogene Forderungen zu vereinen. Das Überleben des Planeten und die Erhaltung der Lebensbedingungen, die ihn bewohnbar machen, können eine grosse Anzahl von Menschen und eine Vielzahl von sozialen Bewegungen mobilisieren. Neben Gewerkschaften und Gruppen, die sich um sozioökonomische Interessen organisieren, brauchen wir Menschen, die sich an verschiedenen feministischen, antirassistischen, antikolonialen und LGBTQIA+-Kämpfen beteiligen. Obwohl diese Forderungen aus spezifischen Kämpfen hervorgehen, sind sie Ausdruck demokratischer Forderungen. Angesichts der Schwere der ökologischen Krise könnten sie sich mit einem Projekt identifizieren, das darauf abzielt, einen bewohnbaren Planeten zu erhalten und die Zukunft einer demokratischen Gesellschaft zu sichern, und so den notwendigen Impuls für die Konstituierung einer sozialen Mehrheit liefern. 

Paradoxerweise könnte die Klimakrise der Linken eine Gelegenheit bieten, ein Projekt zu entwickeln, das hegemonial werden kann. Denn das Gefühl der Verwundbarkeit, das von der Klimakrise auslöst wird, ist nicht auf gesellschaftliche Sektoren beschränkt. Sein transversaler Charakter sollte es ermöglichen, eine politische Grenze zwischen links und rechts auf einer anderen als der traditionellen Grundlage zu errichten. Was im politischen Kampf auf dem Spiel steht, ist die Art und Weise, wie man den Antagonismus aufbaut und den Gegner definiert. Die radikale Rechte konstruiert ihn mit Sozialhilfeempfänger:innen und Migrant:innen, die postpolitischen neoliberalen Kräfte leugnen zwar die Existenz des Anta­gonismus, konstruieren ihn aber, indem sie die «Extremen» disqualifizieren, diejenigen, die sie ausserhalb des «republikanischen Bogens» verorten, weil sie ihre Macht angreifen.  

Der Kampf zur Verteidigung der Bewohnbarkeit der Erde betrifft sehr unterschiedliche soziale Gruppen. Indem die Linke den Neoliberalismus als Hauptverantwortlichen für die Zerstörung der Lebensbedingungen auf dem Planeten als Gegner benennt, kann sie ein «Wir» aufbauen, das breiter ist als das, das auf den Produktionsverhältnissen oder dem Gegensatz zwischen Verlierer:innen und Nutzniesser:innen der Globalisierung beruht. 

Ein Projekt für eine «grüne demokratische Revolution» muss selbstverständlich konkrete Massnahmen vorschlagen, die detailliert in einem Programm aufgeführt sind, in dem die umzusetzende demokratische, wirtschaftliche und soziale Politik spezifiziert wird. Diese werden von der jeweiligen Situation abhängen, und es ist nicht meine Aufgabe, sie hier zu erörtern. Was ich jedoch betonen möchte, ist die Rolle der Affekte. Um einen kollektiven Willen zu schaffen, müssen sich die Bürger:innen mit einem Projekt identifizieren, das von ihnen bestrebt wird, sonst fehlt ihnen die Kraft, die sie zum Handeln bewegt. Aus diesem Grund muss der Aufbau des «Wir» zunächst auf der Ebene des Nationalstaats erfolgen, der nach wie vor ein entscheidender Ort für die Ausübung der Demokratie und den Ausdruck der Volkssouveränität bleibt. Die emotionalen Affekte zu ignorieren, die in nationalen Formen der Identifikation am Werk ist, war oft ein Hindernis für den Erfolg progressiver Bewegungen.

Zwar ist es notwendig, dass ein solches Projekt eine europäische Dimension erlangt, aber das bedeutet nicht, dass ein homogenes, postnationales europäisches «Wir» geschaffen werden muss, das die Vielfalt der nationalen «Wirs» ersetzt. Die Leugnung des nationalen «Wir» oder die Angst davor sind der Grund für viele Widerstände gegen jede Form der europäischen Integration und für die Entstehung von Formen des Antagonismus zwischen den verschiedenen Nationen. Wünschenswert ist die Schaffung eines agonistischen Europas, das Einheit und Vielfalt miteinander verbindet und die Vielzahl und Vielfalt der in ihm existierenden kollektiven Identitäten sowie deren affektive Dimension anerkennt.

Auf konstitutioneller Ebene könnte man sich von der Arbeit von Kalypso Nicolaïdis inspirieren lassen, der vorschlägt, die Europäische Union im Modus einer «Demoi-Kratie» zu betrachten, also einer Union der Staaten und Völker, die die Pluralität und Dauerhaftigkeit der verschiedenen Demoi, die ihre Teile bilden, anerkennt. Diese Union würde die nationale Identität ihrer Mitglieder respektieren, wie sie in ihren politischen und verfassungsrechtlichen Strukturen zum Ausdruck kommt. Die Ausübung der Demokratie auf der Ebene der verschiedenen Nationalstaaten würde nicht zugunsten einer Reihe von Institutionen geopfert werden, die einem homogenen europäischen Demos entsprechen.

Wir befinden uns an einem entscheidenden Punkt für die Demokratie, deren Zukunft davon abhängt, welchen Weg wir einschlagen, um auf die Herausforderung der ökologischen Krise zu reagieren. Zwei Auswege sind möglich. Einerseits ein autoritärer Ausweg, sei es durch das Aufkommen nationalistischer Regime der «illiberalen Demokratie» oder durch die Entwicklung hin zu einer neuen Art digitaler Postpolitik des «grünen Kapitalismus». Andererseits eine ökologische Gabelung, die zu einer grünen demokratischen Revolution führt, einer linkspopulistischen Strategie, die von der Suche nach Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit geleitet wird. Sicherlich kann man die Aussicht auf einen katastrophalen Ausgang nicht ausschliessen. Aber es gibt noch Möglichkeiten, dem zu entgehen, und diese Krise kann auch eine Chance sein, eine egalitärere Produktionsweise und eine Gesellschaft zu schaffen, in der die Werte der Gerechtigkeit und Solidarität vorherrschen.

Was wir aufgeben müssen, ist die post-politische Perspektive, die die Existenz von Antagonismen leugnet, sowie die messianische Vision einer endgültigen Konfliktlösung und einer vollkommen harmonischen Gesellschaft. Es wird nie einen Endkampf geben und die Demokratie wird immer «kommen», um Derridas Ausdruck zu verwenden. Die Aufgabe der Linken besteht heute darin, die durch die aktuelle Konjunktur hervorgerufenen Affekte auf soziale Gerechtigkeit zu lenken und sie zu artikulieren, um ein «Volk» aufzubauen, das für die Verteidigung der Demokratie und die Schaffung von Bedingungen, die eine Vertiefung der Demokratie ermöglichen, kämpft.

 

Zur Person

Chantal Mouffe ist eine belgische Politikwissenschaftlerin und Professorin für Politische Theorie an der University of Westminster in London. Mouffe hat an verschiedenen renommierten Universitäten gelehrt und wurde mit dem Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken ausgezeichnet. Dieser Essay erschien im November 2023 in französischer Originalsprache in ‹Le Grand Continent›. Überarbeitet von Sergio Scagliola nach maschineller Übersetzung.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.