Anti-Gender-Politik im populistischen Zeitgeist

Die Amerikanistin Agnieszka Graff und die Soziologin Elżbieta Korolczuk analysieren in ihrem Buch «Anti-Gender Politics in the Populist Moment» die ultrakonservativen Gegenbewegungen zur sogenannten Gender-Ideologie in Polen. Sie argumentieren, dass die Anti-Gender-Ideologie, die ungefähr um 2010 entstanden ist, nicht einfach eine Fortsetzung der Gegenreaktionen auf den Feminismus ist, sondern dass es sich dabei um eine neue politische Strömung handelt. Der Widerstand gegen «Gender» wurde zu einem Schlüsselelement des aufkommenden Rechtspopulismus, der sich erfolgreich die durch den Umbau der Wirtschaft in Osteuropa verursachte Angst, Scham und Wut zunutze macht.

Die Autorinnen liefern in diesem Buch einen überaus nützlichen Begriff für die Analyse gegenwärtiger rechtspopulistischer Allianzen, nämlich den der «opportunistischen Synergien». Damit meinen sie eine Art von Bündnisbildung, die nicht auf inhaltliche Konvergenz und Konsistenz angewiesen ist, sondern die Möglichkeit bietet, dem Gehalt nach disparate, zuweilen sogar eigentlich widersprüchliche Kampftopoi miteinander zu verbinden und zu einem zähen und argumentativ nicht mehr zu durchdringenden Brei zu amalgamieren. Ob es nun gegen «Gendergaga», «Identitätspolitik» oder «Woke-Wahn», gegen postkoloniale Studien, gegen «Cancel Culture» oder um die Auswüchse des Kampfes gegen Cultural Appropriation geht – im Grunde ist der Tenor immer ein und derselbe: Intellektuelle Eliten versuchen, den gesunden Menschenverstand des einfachen Volkes, der mit ganz anderen (realen!) Problemen zu tun hat, zu infiltrieren, zu lenken und zu erziehen, mit anderen Worten, dem Volk Denk- und Sprechverbote aufzuerlegen.

Wie dieses Buch auch zeigt, unterscheiden sich die rechtspopulistischen Diskurse in den populistischen Diskursen in verschiedenen Ländern erheblich. In Polen ist der Kampf gegen die Zumutungen eines rein marktlogisch funktionierenden Neoliberalismus keineswegs linkspopulistisch inspiriert. Er wird vielmehr durch einen vor allem katholisch-konservativen, antikommunistischen Gestus bestimmt, der gegen die Kolonialisierung fremder Mächte gerichtet ist, welche die klassischen Werte der Familie zu zerstören drohen. Mit Kaczyński 2015 wurde ein Staatspräsident demokratisch legitimiert, der aber die Bevölkerung in der Ausübung von Grundrechten einschränkte. Diese Form der illiberalen Demokratie mobilisiert wiederum opportunistische Synergien mit Orbans Ungarn und Putins Russland, beides Staaten, zu denen Polen historisch in einem problematischen Verhältnis steht. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Restitution reaktionärer gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen richtet sich der Abwehrkampf nun vor allen Dingen wieder gegen den «dekadenten Westen». Die polnischen Verhältnisse sind also andere als jene, die den rechten Populismus in den USA, in anderen Ländern Europas, in Russland, in Brasilien oder sonst wo stützen, und trotzdem machen sie sich gleichermassen opportunistische Synergien zunutze. Diese wirken dann als eine Art internationaler Meta-Kitt, der einerseits lokale Besonderheiten verschleiert und andererseits (eben deshalb) den Eindruck eines gleichförmigen globalen Rechtrutsches erzeugt. Die Slavistin Silvia Sasse beschreibt in einem Beitrag zum Blog «Geschichte der Gegenwart» über diese wahrhaft wundersamen Allianzen: 

«Die Verknüpfungen ideologischer und ökonomischer Player sind oft multidirektional: Antiamerikanismus funktioniert über linke und rechte politische Richtungen hinweg, von Sahra Wagenknecht bis Daniele Ganser, und auch bei Rechtspopulisten, wenn er gegen Biden und nicht gegen Trump gerichtet ist. Die Verknüpfungen sind stets um neue Knoten erweiterbar: Anti-Klima kann mit Pro-Putin und zusätzlich mit Migration verknüpft werden, so kann man dann z.B. behaupten, dass es ukrainische Geflüchtete und nicht etwa ein mafiöser imperialer Staat seien, die die Heizkosten hochtreiben, und dafür kann man die grüne Politik verantwortlich machen. In Verknüpfungen kann man stets neue Ereignisse einbinden: Der Terrorakt der Hamas wurde in der russischen Propaganda mit der Ukraine verknüpft, z.B. verbreiteten pro-russische Kanäle ein Video, dass behauptete, der britische Nachrichtensender BBC und das internationale Recherchenetzwerk Bellingcat hätten herausgefunden, dass die Ukraine westliche Waffen an die Hamas geliefert habe.»

Die erstaunliche Klebrigkeit dieses Kitts zeigt sich darin, dass man einerseits den Postcolonial Studies und der Critical Race Theorie aus einer rechtspopulistischen Perspektive jenen Antisemitismus vorwerfen kann, dessen man sich selber im struktural klassisch antisemitischen Topos der Weltbeherrschung durch eine kleine, aber einflussreiche Elite bedient. Damit ist nun keineswegs gesagt, dass es solche antisemitischen Tendenzen in der Critical Race Theorie und den Colonial Studies nicht gibt. Die Vorstellung zum Beispiel, es könne Rassismus nur gegen People of Color geben, ist absurd. Der nationalsozialistische Rassismus gegen jüdische und slavische «Untermenschen» ist das offensichtliche Gegenbeispiel. Doch wird in der Kritik zum Beispiel an der Critical Race Theorie nicht vor allem auf diese Beispiele eines anti-weissen Rassismus hingewiesen, sondern wird mit Vorliebe der «alte weisse Mann» zum Opfer der «Wokeness» deklariert. Darum müssten Themen und Felder, auf denen der Rechspopulismus sich mithilfe von Ressentiments profiliert, nicht grundsächlich von Kritik ausgenommen; sondern allfällige Kritik konkret, genau und analytisch geleistet werden, um damit den opportunistischen Synergien entgegenzuwirken, mit deren Hilfe alles mit allem synthetisiert wird.

Zu meinen, man könne rechten mit linkem Populismus kontern, indem man zum Beispiel Begriffe wie Heimat neu besetzt, beruht auf einem grundsätzlichen Irrtum bezüglich des Wesens des Populismus selbst. Im besten Fall mag dieser aussehen wie übertriebene und darum etwas peinliche Volkstümlichkeit, seiner Struktur nach ist jede Form des Populismus nichts weniger als faschistisch, und zwar im Sinne dessen, was Umberto Eco «Ur-Faschismus» genannt hat: «Der Ur-Faschismus beruht auf einem selektiven oder qualitativen Populismus. In Demokratien haben die Bürger individuelle Rechte, aber politischen Einfluss können sie nur gemeinsam unter einem quantitativen Gesichtspunkt ausüben – die Mehrheit entscheidet. Für den Ur-Faschismus dagegen haben Individuen als Individuen keinerlei Rechte, während das Volksganze» als eine Qualität begriffen wird, eine monolithische Entität, die den gemeinsamen Willen aller zum Ausdruck bringt. […] Das Volk ist also nur eine Theaterfiktion.»

Mit dem Begriff des Ur-Faschismus meint Eco die Familienähnlichkeit (Wittgenstein) zwischen realen und potenziellen Faschismen, Züge, die selbst den Mitgliedern einer Familie gemeinsam sind, die sich vom Aussehen her stark unterscheiden. Ein wichtiger dieser Züge ist der Populismus. 

«Die Ablehnung der angeblichen Gender-Ideologie – gleichgesetzt mit Abtreibung, Homosexualität, Trans-Rechten, Sexualerziehung und Gender Studies – ist in den letzten Jahren zu eben dieser opportunistischen Synergie geworden, der ultrakonservative Organisationen (oftmals mit religiösen Wurzeln) mit rechtsradikalen und populistischen Bewegungen in ganz Europa verbindet.» Ein wichtiger dieser Züge ist der Populismus: DAS Volk gegen die Eliten, die Woken, die Akademiker, die Perversen, die Juden, die Ausländer. Wenn man vom einer (schweigenden) Mehrheit als Volk spricht, ist damit nicht mehr nur etwas Quantitatives, sondern vor allem eine Qualität gemeint, der – populistisch – eine (einzige) Stimme verliehen wird. «We are the 99 percent» war der Slogan der Occupy-Wall-Street-Bewegung von 2011. Mit dem einen Prozent waren die Reichsten gemeint, die 40 Prozent des Vermögens besitzen, das in den Vereinigten Staaten existiert. In der Schweiz hat es diese oberflächlich korrekte Quantifizierung 2021 in den Titel einer Volksinitiative geschafft: die «99%-Initiative», die eigentlich «Löhne entlasten, Kapital gerecht besteuern» hiess. Ihrem Inhalt nach war Initiative begrüssenswert, der Titel aber war populistisch, gefährlich und ressentimentgeladen  (eine ungute Mischung). Weil man mit der Rhetorik von 99 gegen 1 einen klassischen antisemitischen Topos bedient, zu dem auch die Gegenüberstellung von «ehrlicher Arbeit» (von der sprach man damals, als sei das eine unbelastete Wortwahl) und dem Kapital gehört. Man kann in die 1%-Blackbox aber auch nach Belieben andere Minoritäten einfüllen, die man drangsalieren will. 

Das Schlagwort von einer winzigen, aber einflussreichen «Trans-Lobby» hat es geschafft, zu einem besonders bizarren Exempel und Kulminationspunkt opportunistischer Synergien zu werden, das Feminismus, Antisemitismus, Antikapitalismus und Medizinkritik vereint, wie das jüngste Buch von Janice Raymond: «Doublethink: A Feminist Challenge to Transgenderism» zeigt. Die Widmung lautet: «Für alle, die es wagen zu sagen, dass Frauen existieren, für all diejenigen, die sich mutig gegen die ständigen Angriffe auf Frauen und Frauenrechte gewehrt haben […] in der Hoffnung, dass andere sich diesem rasanten Vormarsch des Transgenderismus entgegenstellen, der seine Tentakel in Recht, Regierung, Bildung und Sport ausgebreitet hat.» Im Vorwort schreibt sie von einem «industriellen Komplex der Geschlechtsidentität […], der sich auf die Big-Medizin, Big-Pharma, die grossen Banken, die grossen Stiftungen und die grossen Forschungszentren stützt, von denen einige an grosse Universitäten angeschlossen sind. Geldgeber wie George Soros und Jennifer Pritzker versorgen die Transgender-Bewegung mit enormen Mitteln und tragen dazu bei, ein riesiges Unternehmen zu subventionieren, das dem Transgenderismus rechtlichen und politischen Einfluss verleiht.

Obwohl die Trans-Population klein ist, handelt es sich nicht um eine Randbewegung, der es an finanziellen Mitteln mangelt, sondern vielmehr um eine gut finanzierte globale Kampagne, die dazu beigetragen hat, Gesetze zu erlassen, die die Ideologie und die Praktiken von Transsexuellen in vielen Ländern ermöglichen.»

Dass diese Position nicht allein eine rechtspopulistische ist, sondern eine Querfrontklammer zu Teilen der (diesem Fall deutschen) Linken bildet, zeigt der Auftritt Sahra Wagenknechts im deutschen Bundestag anlässlich der Verabschiedung des sogenannten Selbstbestimmungsgesetzes im April 2024. «Einmal im Jahr sein Geschlecht frei wählen zu können, diesen grandiosen Freiheitsgewinn haben Millionen Bürgerinnen und Bürger sicher seit Jahren sehnlichst erwartet.» 

Man kann davon ausgehen, dass Sahra Wagenknecht hier nicht im Sinne einer parlamentarischen Minderheit, sondern im Namen einer schweigenden Mehrheit zu sprechen meint.

 

Dieser Text erscheint im Sommer 2024 als Nachwort des Buchs «Anti-Gender-Politik im populistischen Zeitgeist» von Agnieszka Graff und Elzbieta Korolczuk, herausgegeben von Peter Schneider, Alexandra Papadopoulos und Dana Mahr, mit Vorwort von Dana Mahr

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