Die Linke darf dreckig werden

Die Zeit der netten Worte ist vorbei. Krieg und Zerstörung sind an der Tagesordnung, der fast schon vergessen geglaubte Faschismus frisst sich erneut tief in die Gesellschaft, Kapital und Macht häufen sich in nie dagewesenen Ausmass an und nicht zuletzt schwebt über allem das Damoklesschwert der bedrohlichen Klimakrise. Vorbei sind die Geschichten des ewigen Fortschritts und damit auch vorbei mit dem friedlichen politischen Konsens. Wir sind am Scheideweg: Zurück in dunkle Zeiten auf einem zerstörten Planeten oder endlich hin zur verheissungsvollen Befreiung der Menschheit?

In diesen Zeiten stellt sich die Linke zu Recht die Frage, wie sie es schaffen kann, in die Offensive zu gehen und gesellschaftliche Mehrheiten zu organisieren. Dies braucht es nämlich – und zwar schnell – um alles zu ändern und so die Gefahren abzuwenden.

Wenn in diesen Debatten der Begriff des Populismus fällt, dann hängt ihm häufig etwas Schlechtes an. Populistisch, das sind doch die anderen. Das sind jene, die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Populistisch sind die SVP und ihre ideologischen Geschwister im Umland! 

Hier eine vereinfachte Definition, um den Populismus zu verstehen: Populismus schafft ein «Wir» gegen «die Anderen». Rechtspopulist:innen machen daraus ein «Wir, das einheimische, (scheinbar) homogene Volk» gegen «die Anderen, die fremd sind und für das Volk eine Bedrohung darstellen». Verwerflich ist daran nicht, dass ein Gegensatz geschaffen wird. Falsch ist, dass bei rechtspopulistischen Parteien das «Andere» meistens marginalisierte Gruppen sind: Ausländer:innen, Queers, Muslim:innen, sozial ausgegrenzte Menschen. Dies bekämpfen wir. Im populistischen Schaffen eines Gegensatzes hingegen liegt ein grosses Potenzial. Die Linke – davon bin ich überzeugt – muss sich trauen, populistischer zu sein. 

Auch im 21. Jahrhundert sind es nämlich die Massen, die Veränderung erwirken. Aktuelle Beispiele sind die Klimabewegung und der feministische Streik. Um diese Massen überall zu organisieren, braucht es einen gemeinsamen Nenner. Der populistische Gegensatz von «Wir» gegen «Sie» ist der Schlüssel dafür. Die Linke muss es schaffen, die breite Bevölkerung in einem inklusiven «Wir» zu vereinen. So kann sie die Menschen auch nach jahrzehntelanger neoliberaler Vereinzelung hinter ein gemeinsames Projekt bringen. Dieses «Wir» kann auch die Linke an sich vereinen, die sich sonst in 1000 einzelnen Kämpfen zu verlieren weiss. 

Im Gegensatz zu Rechtspopulist:innen tritt die Linke jedoch nicht nach unten, sondern gegen oben. Der gesellschaftlich prägendste Unterschied ist nämlich weiterhin «Unten» gegen «Oben», also «Wir, die Monat für Monat von Lohn und Rente leben», gegen sie da oben mit der Macht, ganze Staaten in Geiselhaft zu nehmen. Die da oben gilt es zu stürzen.

Deshalb ist die Juso populistisch. Die Juso hat in den letzten 15 Jahren diverse Projekte ins Zentrum ihrer politischen Arbeit gestellt, die den klaren Gegensatz zwischen «uns» und «den Anderen» schafften. Bekannt sind die heftigen Diskussionen zur 1:12-Initiative gegen überhöhte Managerlöhne. Ein populistisches Projekt, oder? «Wir Normalverdiener:innen» gegen die Abzocker. Aktuell liegt beim Bundesrat unsere «Initiative für eine Zukunft». Sie fordert eine Erbschaftssteuer von 50 Prozent auf Erbschaften ab 50 Millionen Franken. Damit soll eine sozial gerechte Klimapolitik finanziert werden. Zerstörerische Superreiche an die Kasse fürs Klima! Das ist populistisch, natürlich. Es ermöglicht aber auch, die ökologische und die soziale Frage zu verbinden. Schliesslich waren wir Jusos kürzlich an der Generalversammlung der UBS. Wir sind vor den versammelten Aktionär:innen über die exorbitanten Boni von «denen da oben», also Sergio Ermotti und Co, hergezogen. Das waren engagierte, aber nicht sonderlich differenzierte Voten. Zum Schluss der GV sind diverse ältere Kleinaktionär:innen auf uns zugekommen – ganz sicherlich nicht «links» im klassischen Sinne – und haben sich bei uns bedankt. Populismus, der ankommt. 

Linker Populismus heisst für mich, dass sich die Linke mehr trauen muss. Populismus ist dreckig. Linke haben häufig das Gefühl, sie müssten die Sauberen, die Netten und die Korrekten sein. Das lässt der Zustand unserer Welt aber nicht mehr zu. Es ist Zeit, die da oben von ihrem hohen Ross zu holen.