Wohnraum und Entschädigungen

Das kommt nicht alle Tage vor: Eine Vorlage, zu der eigentlich nur noch die Schlussabstimmung hätte stattfinden müssen, hat der Zürcher Gemeinderat zurück- und einer neuen Kommission zugewiesen.

An der Sitzung des Zürcher Gemeinderats vom Mittwochabend befasste sich der Gemeinderat erneut mit dem Neuerlass der Verordnung über die Umsetzung von §49b des kantonalen Planungs- und Baugesetzes. Bei der inhaltlichen Behandlung an der Sitzung vom 10. Januar hatte der Rat lang und kontrovers debattiert (siehe P.S. vom 12. Januar). Hintergrund der Verordnung ist die kantonale Abstimmung vom 28. September 2014, an der 58,4 Prozent der Stimmenden den §49b annahmen: Er ermöglicht den Gemeinden, einen Mindestanteil an preisgünstigem Wohnraum festzulegen, wenn Zonenänderungen, Sonderbauvorschriften oder Gestaltungspläne zu erhöhten Ausnützungsmöglichkeiten führen. Dazu müssen die Gemeinden Belegungsvorschriften erlassen. Die Frage, über die der Rat im Januar hauptsächlich stritt, lautete: Sollen zusätzlich Einkommenslimiten analog zu jenen in der städtischen Vermietungsverordnung gelten? Die Vorlage ging schliesslich mit den Stimmen von SP, Grünen und AL ohne solche Limiten an die Redaktionskommission. Doch eine Woche später verlangte die AL in einer Fraktionserklärung einen «Reset»und gab bekannt, der Vorlage «die Zustimmung zu verweigern» (siehe P.S. vom 19. Januar). SP und Grüne haben ohne AL keine Mehrheit im Rat.

Rückweisung – an welche Kommission?

Hier knüpfte Kommissionssprecher Moritz Bögli (AL) am Mittwoch bei der Vorstellung des Geschäfts an: Die Redaktionskommission über eine nicht mehr mehrheitsfähige Vorlage brüten zu lassen, ergebe keinen Sinn. Die Mehrheit verlange deshalb die Rückweisung an die Spezialkommission Finanzdepartement. Diese Kommission hätte die Vorlage gemäss ursprünglichem Antrag von Anfang an behandeln sollen, fügte Bögli an. Doch der Rat hatte seinerzeit entschieden, sie an die Spezialkommission Hochbaudepartement/Stadtentwicklung zu überweisen. Dies, weil sie ursprünglich mit einer zweiten Vorlage verknüpft war, die eine Revision der Bau- und Zonenordnung (BZO) betraf und deshalb in die Zuständigkeit der Hochbaukommisson fiel. Weil der Stadtrat diese BZO-Vorlage jedoch unterdessen zurückgezogen hat, sei auch die Verbindung zwischen den beiden Vorlagen nicht mehr gegeben, erklärte Moritz Bögli. Deshalb sollte die Vorlage nun an die Finanzkommission überwiesen werden. Dies auch deshalb, weil diese Kommission bereits das neue städtische Mietreglement beraten habe, mitsamt den darin enthaltenen Einkommenslimiten. Für die Minderheit 1 erklärte Martina Novak (GLP), ihre Fraktion spreche sich für die Rückweisung der Vorlage an die Hochbaukommission aus. Diese habe sich bereits «eingehend» damit befasst, während sich die Mitglieder einer neuen Kommission erst einarbeiten müssten. Die Minderheit 2 lehne die Rückweisung der Vorlage ab, führte Isabel Garcia (FDP) aus. Stattdessen sollten, wie üblich, die Redaktionslesung und die Schlussabstimmung folgen. Zur Begründung führte sie erstens aus, die Vorlage sei bereits über ein Jahr lang in der Kommission behandelt worden, man habe also genug Zeit gehabt: «Es gibt nichts mehr zu beraten.» Als zweiten Grund nannte sie die «technische Pirouette der AL», die sich mit der Rückweisung «ein gesichtswahrendes Mänteli» anziehen wolle.

Die Mitte unterstütze die Rückweisung an die Finanzkommission, sagte Karin Weyermann und begründete dies ebenfalls damit, dass diese Kommission bereits das Mietreglement behandelt hatte. Schliesslich seien im Januar die Einkommenslimiten «Stein des Anstosses» gewesen. Reto Brüesch (SVP) sagte, die linken Parteien hätten damals «nicht brilliert». Doch die Rückweisung an die Finanzkommission wäre ein «Schildbürgerstreich», die Hochbaukommission befasse sich schon lange mit der Vorlage und verfüge auch über die nötigen Kompetenzen. Florian Utz (SP) erklärte, seine Fraktion unterstütze den Antrag der AL, und zwar aus «pragmatisch-arithmetischen Überlegungen». Denn wenn es darum gehe, eine Vorlage nochmals anzuschauen, die keine Mehrheit mehr habe, sei es «nicht matchentscheidend, in welcher Kommission sie nochmals angeschaut wird». Beziehungsweise, und noch einen Zacken konkreter: «Wir sind schlicht und ergreifend für den AL-Antrag, weil wir auf 63 zählen können.» Brigitte Fürer gab bekannt, ihre Grünen seinen «natürlich» auch für die Rückweisung an die Finanzkommission. In der Abstimmung setze sich diese Variante mit 64 Stimmen durch.

Keine Rückweisung

Dass sich anschliessend gleich nochmals dieselbe Übung ergeben würde, also die Rückweisung einer fertigen Vorlage an die Kommission, hatte sich der Fraktionspräsident der SVP, Samuel Balsiger, erhofft. Es ging um die «Teilrevision der Verordnung über Abgangsleistungen für Behördenmitglieder» sowie des «Personalrechts betreffend Abgangsleistungen an Behördenmitglieder». Hier hatte die Redaktionskommission jedoch bereits ihres Amtes gewaltet. Balsiger argumentierte, anlässlich der Abstimmung vom 3. März über die Volksinitiative zu den «goldenen Fallschirmen» sowie über den dazu gehörigen Gegenvorschlag habe man den «Volksauftrag» gefasst, gar keine Abgangsentschädigungen an Behördenmitglieder mehr zu zahlen. Doch genau dies sei mit dieser Vorlage vorgesehen. Werde sie nicht zurückgewiesen, sei das eine «grobe Missachtung des Volkswillens». Hans Dellenbach (FDP) erinnerte ihn daran, die Mehrheit habe nicht der Volksinitiative, sondern dem Gegenvorschlag den Vorzug gegeben: «Wenn wir das umsetzen, machen wir nichts falsch.» Balsiger liess sich nicht beeindrucken und kündigte an, die SVP überlege sich, das Referendum zu ergreifen. Dann gebe es eine neue Volksabstimmung, und «dann müssen Sie der Bevölkerung erklären, weshalb Sie nur fünf Wochen nach einem derart klaren Volksentscheid das Gegenteil machen …»

Serap Kahriman (GLP) las aus dem Abstimmungsbüchlein vor: Dort steht unter anderem, dass es auch beim Gegenvorschlag nur um die Mitglieder des Stadtrats ging – «Entschädigungen für weitere Behördenmitglieder sollen künftig vom Gemeinderat in der Verordnung über das Arbeitsverhältnis des städtischen Personals geregelt werden, soweit dies der Gemeinderat als nötig erachtet». Also genau das, was der Rat bereits an der Sitzung vom 28. Februar  inhaltlich beraten hatte und wozu es nun nur noch die Redaktionslesung sowie die Schlussabstimmung zu bewältigen galt. Gegen die Stimmen von SVP, FDP und Mitte-EVP lehnte der Rat die Rückweisung an die Kommission ab. In der Schlussabstimmung kam die Vorlage mit 103 gegen 13 Stimmen (der SVP) durch.

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