Gemeindeparlament: bestreikt!

Der Gemeinderat beschäftigte sich diese Woche eine halbe Stunde lang mit zwei Ordnungs­anträgen, bis die Sitzung bestreikt respektive nach Abstimmung abgebrochen wurde. Die Bürgerlichen waren sich derweil nicht ganz einig, wie sie damit umgehen wollen. 

Die Randnotiz von Ratspräsidentin Sofia Karakostas, man solle sich unabhängig von der Sitzungsdauer in die Präsenzliste eintragen, weil sonst im Protokoll als abwesend erscheinend, gab einen Vorgeschmack auf die Länge der Sitzung – und obwohl offensichtlich alle wussten, wie es weitergeht, war die Empörung über den darauffolgenden Ordnungsantrag von Tanja Maag Sturzenegger (AL), die Sitzung abzubrechen, enorm. Ausgeteilt wurde an dieser kurzen Gemeinderatssitzung also dennoch – doch nur von der Ratsrechten. Ein Kollektivmonolog, der aber wenig bewirkte oder bewegte. Ausser in den eigenen Reihen.

Aber zunächst zum Sitzungsabbruch, respektive zum dazugehörigen Antrag darauf. Tanja Maag erinnerte in der gemeinsamen Erklärung von SP, AL und Grünen daran, wie hart ihre Vorreiterinnen für die Posten der anwesenden Gemeinderätinnen kämpfen mussten. Ihnen sei sie zutiefst dankbar, «dass wir abstimmen, mitentscheiden und regieren können». Vieles sei aber auch nicht erreicht – deshalb solidarisiere sie sich mit allen, die sich auf der Strasse einsetzen. Auch die parlamentarische Arbeit sei an diesem Tag niederzulegen, um auf noch immer bestehende Ungleichheiten und Probleme hinzuweisen: Kein gleicher Lohn für gleiche Arbeit, tiefere Renten im Alter, Femizide. Im Parlament sei der Wille durchaus vorhanden, solche Ungerechtigkeiten zu bekämpfen. «Heute aber nicht.» Weniger privilegierte Frauen kämpften am feministischen Streik für ihre Anliegen. «Heute wollen wir lernen und hören, wie ihre Probleme und Lösungen aussehen.» Der Ordnungsantrag sollte daraufhin sofort behandelt werden – und ein Ratsmitglied pro Fraktion dazu Stellung nehmen. 

Ein Mitglied pro Fraktion?

Den Anfang machte Martina Zürcher (FDP). Mitglied eines Parlaments zu sein, sei ein Privileg. Man solle an andere Frauen denken, zum Beispiel an die Frauen in Afghanistan: «Was würden die davon halten, dass Sie ein demokratisches Parlament bestreiken wollen?» Sie warf der Ratslinken zudem vor, die Männer hätten über die Frauen wegentschieden, weil sich die IG Frauen vorläufig gegen den Antrag zum Abbruch der Sitzung ausgesprochen hätte. Sie stellte zum Schluss einen weiteren Ordnungsantrag: Dass pro Fraktion mehr als eine Person sprechen könne. 

Obschon die Abstimmung darüber noch nicht erfolgen sollte, meldete sich Catherine Pauli (FDP), die gestern Donnerstag in der NZZ verkündete, aus dem Rat zurückzutreten. Sie kündete ihr Votum mit der Notiz an, dass es ein feministisches sei. Sie sei eine Feministin, aber eine selbstbestimmte. Sie möchte nicht bevormundet werden von linken Parteien, sondern selbst entscheiden, ob sie an eine Demonstration gehe oder nicht. Einen Vorstoss so durchzubringen, geschehe in einem patriarchalen Muster. Parteikollege Michael Schmid mahnte weiter: Was der Ratslinken zu denken geben sollte, sei das höhnische Gelächter seitens der linken Männer im Ratssaal. Dann ging es schliesslich zur Abstimmung – nicht, ob die Sitzung abgebrochen werden soll, sondern lediglich, ob mehr als eine Person pro Fraktion reden sollte. Mit 44:76 Stimmen wurde der Antrag von Martina Zürcher zwar abgelehnt, schien aber von der FDP zuvor schon intern angenomnen worden zu sein, es hatten schliesslich bereits drei ihrer Vertreter:innen gesprochen. 

Dann ging es weiter mit der ursprünglichen Runde. Zuerst meldete sich Karin Weyermann (Mitte) als Vertreterin der Mitte-/EVP-Fraktion. Sie stellte das Demokratieverständnis des Rates infrage, wenn man den Leuten das Wort verbietet. Den feministischen Streik finde sie zwar unterstützungswürdig, dennoch sei die Fraktion gegen den Antrag – sie stelle das Wahrnehmen der politischen Rechte, hier drin für die Frauen zu kämpfen, höher. Dass man sich im Umgang mit Frauenanliegen nicht immer einig sei, sei zwar zu akzeptieren, es ändere aber nichts daran, dass es politisch viel zu tun gebe. 

Darauf folgte die Erklärung von Samuel Balsiger für die SVP-Fraktion: Es könne heute nicht von einem Streik die Rede sein – und es gehe gar nicht um dessen Inhalte. «Der sogenannte feministische Frauenstreiktag ist ein Produkt der Gewerkschaften», die auch die offizielle Website des Streiks und somit hier eine Kampagne betrieben. «Ihr Frauenstreiktag» sei eigentlich eine Party, «der normale Bürger» habe nichts damit zu tun – er sei heute schliesslich beim Mittagessen von einer Frau bedient worden und habe sich von einer Frau die Haare schneiden lassen. Weiter sei die «ewige Opferrolle, die Sie der Frau zuschreiben, unanständig». Dann stellte er einen Antrag auf eine geheime Abstimmung, weil in der Ratslinken sicher auch Leute mit Vernunft sitzen würden. 

Bei der FDP war aber noch immer nicht alles gesagt: Andreas Egli befand, die Geheimhaltung sei nicht richtig – sondern das Gegenteil wäre angebracht: Dass mit Namensnennung darüber abgestimmt wird, dass klar werde, wer das Parlament für politische Aktionen missbraucht. Samuel Balsiger war wohl derart von diesem Votum überzeugt, dass er seine Aufforderung komplett umkehrte: Die Leute draussen sollen wissen, wer die Demokratie beschmutzt hat, deshalb werde der Antrag zurückgezogen und derjenige der FDP unterstützt. Darauf wurde nicht eingegangen, weil nach der Ratspräsidentin die Abstimmung mit Namensnennung nur durchgeführt wird, wenn die Abstimmungsanlage ausfällt. 

Die GLP hatte zuvor auch noch ihre Erklärung abgegeben. Martina Novak bedauerte den traurigen Start in die Sitzung: «Wir geben uns eins aufs Dach und verkennen den Kern der Sache.» Auch die GLP sei enttäuscht von Linksgrün – die GLP habe die Pistole auf die Brust gesetzt bekommen. Das Vorgehen spalte auch innerhalb der Fraktion. Die Anliegen seien wichtig, aber die Art und Weise, wie sie angegangen werden, sei unterirdisch. So gespalten war die Fraktion übrigens nicht – alle lehnten ab oder enthielten sich. 

Denn nach knapp 35 Minuten kam es zur Abstimmung: Mit 62:55 Stimmen bei 6 Enthaltungen wurde die Sitzung geschlossen. Die Ratspräsidentin hatte eigentlich noch etwas zu sagen, aber die Ratsrechte war derart uninteressiert, packte schon zusammen oder stand schon mit einem Fuss in der Tür, dass man die Streikenden hätte verwechseln können: Sofia Karakostas erklärte über das Geläuf und Gemurmel der Bürgerlichen hinweg, sie habe den Antrag abgelehnt, obwohl sie den Antrag in der Geschäftsleitung, die Sitzung nicht durchzuführen, unterstützt hatte. Als Präsidentin habe sie eingeladen, es sei also auch folgerichtig, dass sie ablehne. 

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