Betreuen statt bewachen

An der Jahresmedienkonferenz von Justizvollzug und Wiedereingliederung (JuWe) stehen die Aufseherinnen und Betreuer im Mittelpunkt. 

Es gibt wenige Orte, wo sich staatliche Macht radikaler manifestiert als im Justizvollzug. Er schliesst Menschen ein, nimmt ihnen die Freiheit. Und die Reife einer Gesellschaft, konstatiert Jacqueline Fehr, Vorsteherin der Direktion der Justiz und des Innern, erkenne man am Umgang mit ihren Machtmitteln. Wie in der Schweiz mit Straffälligen umgegangen wird, hat sich in den letzten 200 Jahren grundlegend verändert. Die Aufklärung brachte den Besserungsgedanken in den Strafvollzug, aus dem Kerker wurde die Strafanstalt und später das Wiedereingliederungszentrum, und aus Vergeltung und Bestrafung der Inhaftierten wurde Betreuung und Befähigung.

Gute Nachbar:innen hervorbringen

Heute ist, wie Fehr an der Jahresmedienkonferenz von Justizvollzug und Wiedereingliederung (JuWe) Kanton Zürich sagt, die erfolgreiche Wiedereingliederung oberstes Vollzugsziel. Straffällige sollen nach ihrem Gefängnisaufenthalt «gute Nachbar:innen» sein können, so das Bestreben. Symbolisch für diese Anstrengungen sind beispielsweise die Reform der Untersuchungshaft aus dem Jahr 2017, dank der Inhaftierte mehr Bewegungsfreiheit (bis zu neun Stunden pro Tag ausserhalb der Zelle) geniessen. Um gute Nachbar:innen hervorbringen zu können, braucht es in den Strafvollzugsanstalten entsprechend ausgebildetes Personal. Keine Wärter:innen mehr – Amtsleiterin Mirjam Schlup mahnt die Medienschaffenden am Ende der Konferenz, diese Bezeichnung zu vermeiden – sondern Aufseher und Betreuerinnen.

Mit Pascal Ernst ist einer von ihnen an der Medienkonferenz im Walcheturm vertreten. Er ist Quereinsteiger, wie alle seine Kolleg:innen, 35 Jahre alt und hat vor seiner Anstellung in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies Elektromonteur gelernt. Die Ausbildung zur Fachperson Justizvollzug, die Ernst vor drei Jahren abgeschlossen hat, findet ‹on the Job› und in Weiterbildungskursen statt. Die Kompetenzen, die gemäss JuWe in der Ausbildung gefördert und gefordert werden, passen wenig ins traditionelle Bild eines Gefängniswärters: Empathie, ethisches Handeln, Inklusions- und Reflexionsfähigkeit.

Das Ziel: Auf die besonderen Bedürfnisse der einzelnen inhaftierten Personen, ihren psychischen Zustand und ihre Vorgeschichte eingehen und eine positive Beziehung aufbauen können. Waffen tragen die Aufseher:innen keine. Sollte gewaltfreie Deeskalation nicht möglich sein, wird die Polizei gerufen. 

Tischtennis und Monopoly

Auch der typische Arbeitstag der Betreuer:innen, wie ihn Ernst an der Medienkonferenz vorstellt,  gleicht eher demjenigen eines Sozialpädagogen – mal davon abgesehen, dass Sozialpädagogen normalerweise keine Gefängniszellen nach verbotenen Gegenständen durchsuchen müssen. Um 7 Uhr werden die Zellen geleert, dann frühstücken die Fachpersonen Justizvollzug gemeinsam mit den Inhaftierten. Um 8 Uhr gehen die Inhaftierten zur Arbeit, als Werkmeister betreut sie Ernst dabei. Die Inhaftierten basteln Windlichter aus alten Aludosen und Postkarten, betätigen sich in der Ton-, Holz- oder Glaswerkstatt, verarbeiten Tannenzapfen oder Schwemmholz. Besonders stolz ist Ernst auf ein Modell-Formel-1-Auto aus Holz, dass ein Inhaftierter kürzlich gebaut hat. Nach der Arbeit und dem ‹Abendessen› um 16.30 Uhr haben die Inhaftierten Zeit, zusammen mit den Betreuer:innen verschiedenen Aktivitäten nachzugehen: Es finden Malkurse statt, die Schachgruppe trifft sich oder man spielt eine Runde Tischtennis oder Monopoly. Die Abendaktivitäten mit den Inhaftierten sind für Ernst ein Highlight der Arbeit: «Hier habe ich immer wieder spannende Gespräche und erfahre vieles, das mir später im Umgang mit den einzelnen Inhaftierten hilft.» Um 19.30 Uhr ist jeweils Zapfenstreich: Die Häftlinge werden zurück in die Zellen gebracht und die Türen verriegelt, und Ernst und Co machen sich daran, die Geschehnisse des Tages im Journal festzuhalten. 

Jacqueline Fehr weiss: «Es gibt keine Alternative zum Miteinander und zur Teilhabe aller – auch mit Straffälligen.» Es scheint also eine gute Idee zu sein, auch ein Miteinander zwischen Justizvollzugspersonal und Inhaftierten zu pflegen. 

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