Baustellen und Bauernhöfe

Am Dienstag war der Auftakt zu einer Serie kostenloser Veranstaltungen der Stadt Zürich. Die zweistündigen Quartierrundgänge befassen sich mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Stadtentwicklung. Der erste Termin in Zürich-Affoltern bewies, dass hier nicht nur das eigene Quartier für Besucher:innen spannend sein kann. 

Die Fahrt mit dem Fahrrad zum Katzensee ist eine kuriose. Kurvt das Zweirad noch auf Höhe Neuaffoltern an den Reihenhaus-Studiwohnungen mit Minigartensitzplatz, an Genossenschaftsblöcken und ihren teureren, privaten Äquivalenten vorbei, erscheint das Quartier als Inbegriff eines eher neueren Wohnquartiers am Stadtrand. Und plötzlich: Land. Urchige Holzverkleidungen. Bauernhöfe mit Hofladen und bellenden Hunden, während in der Ferne die Autobahn rumort. Die neuere Geschichte Affolterns ist die des Wachstums. Und der Baustellen. Und des Strassenlärms. 

Dorf und Quartier zugleich

Die Führung durch das Quartier hatte eine kleine Schar von Interessierten angelockt. Geleitet wurde sie von Simon Diggelmann, dem Gebietsmanager für Zürich-Affoltern vom Amt für Städtebau, der zudem auch Gemeinderat für die SP ist. Nach der Besammlung vom Bahnhof ging die Tour zunächst in den historischen Teil des ehemaligen Dorfes – und thematisch in die Vergangenheit. Damals noch ein eigenständiges Dorf, war Affoltern quasi ein Weiler, wo Arbeiter:innen wohnten, die zu Fuss über den Hönggerberg zur Arbeit nach Zürich gehen mussten. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs folgte eine Bevölkerungsexplosion in den Städten – parallel dazu hatte Affoltern trotz hohem Steuerfuss aber zu wenig Geld, um öffentliche Bauten zu finanzieren. So bat man die Stadt um Eingemeindung. Und die geschah. In den Folgejahrzehnten bis 1970 entstanden 60 Prozent der sich heute in Affoltern befindlichen Bauten. Und der geschaffene Wohnungsraum war günstig – bis heute finden sich hier viele Genossenschaftswohnungen. Und obwohl nun Teil der Stadt, sind Quartiere wie Affoltern nicht nur Stadt. Zürich sei noch immer die grösste bäuerliche Gemeinde des Kantons mit rund 30 aktiven Bauernhöfen, erklärte Simon Diggelmann. Dieses ländliche Erbe wird in Affoltern nicht vergessen, die alten Gebäude stehen in einzelnen Ortsteilen noch heute wie in einem Weiler beieinander, als wären sie vom Bauboom unbeeindruckt geblieben.

Bauboom und Freiräume 

Auf dem Weg zurück in den Ortskern erklärte Simon Diggelmann schliesslich auch die Herausforderung, die sich aus dem Bauboom entwickelt hat: der Platz. Als Affoltern noch grösstenteils grüne Wiese war und in allen Richtungen bebaut wurde, war es verhältnismässig ein Leichtes, Platz für zum Beispiel öffentliche Bauten wie Schulen zu finden. Heute braucht es ebenso mehr Schulen, aber auch, dass die öffentlichen Freiräume beibehalten werden. Wo bauen, wenn schon fast alles verbaut ist und das, was noch frei ist, nicht grau verbaut werden soll?

Die letzte Etappe des Rundgangs war das Zehntenhaus im Ortskern, der Standort des Quartiervereins. Nach einem quartierwürdigen Zentrum sehnt man sich in Affoltern schon lange und innig, so Simon Diggelmann. Nur ist in den letzten 120 Jahren diesbezüglich nicht viel passiert – bis jetzt. Beispielsweise dank der Konkretisierung der Pläne um ein Tram in Affoltern. Wenn es die Volksabstimmung und die Einsprachen der Grundbesitzer:innen übersteht, könnte es schon in rund sechs Jahren fahren. Generell scheint es mit der Quartierentwicklung voranzugehen. Ein entwickeltes Leitbild, das sich insbesondere für Qualität in Bezug auf die Benützung des öffentlichen Raums und der Begegnungen einsetzt, wurde vom Stadtrat verabschiedet. Im Vordergrund soll das Bauliche stehen, das schliesslich das sehnlichst erwünschte Zentrum formen soll. So konnte die Stadt auch einige Deals mit Grundeigentümer:innen abschliessen, woraus beispielsweise ein Park hervorging, wo vorher eine unbebaute Grünfläche war, die allerdings nicht von der Bevölkerung genutzt werden konnte – die Stadt hat sie von der Erbengemeinschaft gekauft. Auch einen Platz zwischen Bahnhof, Einkaufszentrum und Hauptstrasse soll es geben, der durch eine neue Wohnhauszeile vom Strassenlärm geschützt sein soll. Aber nicht alles ist rosig – denn an dieser Stelle wurde das Murmeln im Zehntenhaus lauter und ebenso die Beschwerden über die höheren Mieten. Dass ein Prunkstück der neuen Wohnbauten an der Hauptstrasse von der Migros-Pensionskasse gebaut werden soll, darüber gab es wenig Begeisterung – eine Anwohnerin merkte an, deren andere Wohnungen weiter weg vom Quartierzentrum seien schliesslich nicht bezahlbar: «3000 Stutz für eine 3.5 Zimmer-Wohnung» sei schlicht zu viel. Die Frust über die Situation auf dem Wohnungsmarkt und die hohen Mietzinse war stark spürbar. Nichtsdestotrotz freut man sich in Affoltern über die anstehende Quartierentwicklung, die sorgfältige Konzeption der Stadt im Austausch mit den Privaten wurde positiv entgegengenommen und auch für den informativen Quartierrundgang gab es viel Lob. Ein gelungener Auftakt in eine Veranstaltungsreihe, die gestern Donnerstag mit Albisrieden/Altstetten ihre zweite Etappe abgeschlossen hat und nächsten Dienstag in Oerlikon die dritte absolviert respektive abspaziert.

Weitere Infos zu den Quartierrundgängen auf: stadt-zuerich.ch/fuehrungen-stadtgebiete

 

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