Energie, Netto-Null, Parkplätze

Der Zürcher Gemeinderat beschäftigte sich mit der Energiezentrale Selnau – und mit der Unmöglichkeit, private Parkplätze zu zählen.

Yasmine Bourgeois verlas an der Sitzung des Zürcher Gemeinderats vom Mittwochabend die Fraktionserklärung ihrer FDP: Mit «grossem Bedauern» habe die FDP-Fraktion Kenntnis genommen vom Ende des Züri-Fäschts. «Wenn die Stadtpräsidentin und der Stadtrat nicht mehr den Mut und die Führungsstärke aufbringen, in dieser Stadt auch Raum zu lassen für Dinge, welche nicht vollkommen ins Schema rotgrüner Dogmatiker passen, dann bedroht das die erfolgreiche Entwicklung unserer Stadt im Kern», sagte Yasmine Bourgeois. Dabei stammten die Vorstösse gegen Feuerwerk und Flugshow doch vom Gemeinderat… Doch weiter in der Fraktionserklärung: «Mut und Führungsstärke hätte hier bedeutet, dass die Stadtpräsidentin den Forderungen nach einem Verzicht auf die grandiosen, von Hunderttausenden bewunderten Feuerwerke eine unmissverständliche Absage erteilt.» «Stadtpräsidentin sagt Parlament, was es zu tun hat» – ja, das wäre in der Tat eine hübsche Schlagzeile. In der NZZ vom 17. November ist übrigens zu lesen, dass vor der Ausgabe 2023 des Züri-Fäschts Sponsoren abgesprungen seien und dass die Angst vor einer Massenpanik «ein wichtiger Beweggrund für die Organisatoren» gewesen sein dürfte. Klammer auf: Die Organisatoren, das ist der Verein Zürcher Volksfeste. Dessen Präsident heisst Albert Leiser. Er ist auch Gemeinderat der FDP. Klammer zu.

Die Fraktionserklärung der Grünen verlas Dominik Waser, Thema hier war der Netto-Null-Zwischenbericht 2022 und der Klimaschutzplan (siehe auch Seite 14 dieser Ausgabe). Er sagte, es werde «konkreter mit Zwischenzielen», das sei gut, doch aus Sicht der Grünen «wird noch nicht genug gemacht». So zeige der Bericht «leider» auf, «dass der lineare Absenkpfad zum Netto-Null-Ziel bis 2040 voraussichtlich nicht eingehalten wird». Das sei «stossend», denn zu diesem Absenkpfad habe sich nicht nur die Mehrheit des Gemeinderats «mit grossen Teilen der Bürgerlichen» bekannt, sondern auch die Stimmbevölkerung habe zugestimmt, mit 75 Prozent Ja-Stimmen. Weiter vermissen die Grünen unter anderem «ambitioniertere Ziele im Bereich Verkehr» und stören sich daran, dass die Verwaltung «so grosszügig mit negativen Emissionen» rechne.

«Bagger ante portas»

Auf diese Fraktionserklärung wurden die Grünen im weiteren Verlauf der Sitzung angesprochen, konkret bei der Behandlung eines dringlichen Postulats der SP-, Grüne- und GLP-Fraktion: Sie forderten einen «Bericht über mögliche Standorte für die Energiezentrale zur Erschliessung des Gebiets ‹Cool City› im Untergrund der Stadt Zürich». Zur Begründung sagte Islam Alijaj (SP), ein Jahr lang sei behauptet worden, der geplante Standort der neuen Energiezentrale im ehemaligen Unterwerk Selnau sei «alternativlos». In den Antworten auf frühere Vorstösse habe es ebenfalls stets geheissen, alles sei untersucht. Doch die IG Selnau habe selbst eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, und die komme zu einem anderen Schluss. Der Stadtrat sollte sich «frischen Ideen öffnen». Der zuständige Stadtrat Michael Baumer fasste zusammen, es werde ein Bericht verlangt mit möglichen neuen Standorten, vor allem im Untergrund. Doch dieser Bericht werde keine neuen Erkenntnisse bringen. An die Adresse der Grünen sagte er, sie hätten in ihrer Fraktionserklärung den Klimaschutzplan kritisiert, und jetzt stellten sie sich ausgerechnet gegen das Wärmenetz, das «mit grossem Tempo vorangetrieben» werde, «damit wir die Klimaziele rasch erreichen können». Wenn man jetzt «wieder von vorn anfangen» müsse, dann müsse man das Netto-Null-Ziel für 2040 «halt verschieben». Zur Studie hielt Michael Baumer fest, sie liege ihm «bis jetzt» nicht vor, deshalb könne er dazu auch nichts sagen. Und die Nutzung des ehemaligen Unterwerks Selnau sei stets als Zwischennutzung deklariert gewesen: Die Verträge mit dem Haus Konstruktiv und dem Impact Hub liefen 2025 sowieso aus.

Beat Oberholzer (GLP) merkte an, ursprünglich sei die Rede von «mehreren Energiezentralen» gewesen, erst kurz vor der Volksabstimmung sei bekannt geworden, dass es nur eine im Unterwerk Selnau geben werde. Er gab auch zu bedenken, die «alternative» Studie sei noch nicht veröffentlich, und das «Preisschild» fehle. Dennoch sollte der Stadtrat sie sich «genau anschauen». Andreas Kirstein (AL) erklärte, ihn mache dieser Vorstoss «fassungslos»: Inhaltlich sei hier «mustergültig» ausgeführt worden, was für den Standort Selnau spreche, und dennoch kämen ausgerechnet jetzt, «mit dem Bagger ante portas», solche Forderungen. Er könne sich das nur mit dem typischen «Zürcher Klientelismus» erklären. Die AL stimme Nein. Dominik Waser (Grüne) entgegnete, «überprüfen» bedeute nicht, «alles verhindern und blockieren». Benedikt Gerth (Mitte) fand, es sei richtig, dass man dem Stadtrat auf die Finger schaue, doch wenn die Arbeiten schon begonnen hätten und man gleichzeitig von «Klimanotstand» rede, bringe ein erneuter Vorstoss nichts. Mit 65:48 Stimmen überwies der Rat das Postulat.

Nicht umsetzbar

Dass sich manchmal auch Ideen, die auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, nicht umsetzen lassen, zeigte sich bei der Behandlung eines Postulats der AL-Fraktion: Sie wollte die «Erstellung und Bewirtschaftung eines Verzeichnisses der privaten Autoabstellplätze». Michael Schmid (AL) führte dazu aus, der Bestand an Motorfahrzeugen in Zürich nehme ab, und es gebe viele Tiefgaragenplätze, deren Bau viel  gekostet habe und die sich nicht vermieten liessen. Gleichzeitig sei es für Bauwillige weiterhin Pflicht, eine bestimmte Anzahl Parkplätze zu erstellen. Würden die Autos in bestehenden privaten Tiefgaragen abgestellt, hätte es im öffentlichen Raum mehr Platz für Begegnung, hitzemindernde Massnahmen und Velos. Davon profitierten auch die Mieter:innen, die keine unvermietbaren Parkplätze mehr mitfinanzieren müssten.

Stadtrat André Odermatt erklärte, ein Verzeichnis der genutzten und der ungenutzen privaten Parkplätze gebe es nicht. Es wäre auch sehr aufwendig, ein solches zu erstellen, denn «wir können die Privaten zwar anfragen, aber wir können von ihnen nicht verlangen, dass sie uns Auskunft geben». Zudem müsste das Verzeichnis ständig aktualisiert werden, wenn jemand zu- oder wegzieht. Und wenn Parkplätze an Mieter:innen eines Neubaus vermietet würden, der deshalb ohne Tiefgarage erstellt werden könnte, bräuchte es einen entsprechenden Grundbucheintrag. Natürlich könnten Bauherren selber in der Nachbarschaft herumfragen, und wenn sie fündig und einig würden, umso besser. Doch der Stadtrat sehe nicht ein, weshalb ihnen die Stadt diese Arbeit mit Riesenaufwand und für viel Geld abnehmen sollte. Nach lebhafter Debatte lehnte es der Rat gegen die Stimmen von AL, SP und einem Teil der Mitte-/EVP-Frakton ab, das Postulat an den Stadtrat zu überweisen.

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