Wachstumszwänge überwinden

Könnte der «grüne Kapitalismus» die Kompromissformel für neue Koalitionen sein? Für ein gutes, besseres Leben braucht es weiter reichende sozial-ökologische Transformationen. Die fundierte Systemkritik deutscher Linker überzeugt.

 

von Hans Steiger

 

Nach dem Ja oder Nein vom 25. September werden die Diskussionen um Ökonomie und Ökologie, grüne Wirtschaft, Wachstum und Kapitalismus weitergehen, so oder so. Zwang gegen Freiheit, Anreize oder Regeln, Verzicht oder nicht … Dabei kommen wir nicht um grundsätzliche Fragestellungen herum. Aber auch Kompromisse werden unumgänglich sein, wenn die Klimakrise und vielfach mit ihr verknüpfte Bedrohungen zu konstruktiven Lösungen führen sollen. In den vier vor vierzehn Tagen vorgestellten Büchern ging es um das nicht zuletzt moralische Gebot globaler Gerechtigkeit und um Subsistenz als Teil des Nachhaltigkeitskonzeptes. Hier steht die Systemfrage im Zentrum. Wie halten wir es mit dem «grünen Kapitalismus»? Ist das ein mögliches Zukunftsprojekt? Oder müssen, wollen, können wir diese weiterhin auf Wachstum setzende Wirtschafts- und Gesellschaftsform überwinden? Ein neu erschienener Reader leuchtet die Vision der «sozial-ökologischen Transformation» aus.

 

Wende oder Enden des Kapitalismus

Trotz des Untertitels und obwohl die Frage immer wieder auftaucht: Über «das Ende des Kapitalismus» ist den acht durchwegs spannenden Essays nichts Präzises zu entnehmen. Wenn, dann dürften es mehrere «Enden» oder Wenden sein. Transformationen eben. Läuft alles gut, resultiert daraus eine tiefgreifende sozial-ökologische Neuordnung, welche durch Wachstumsdruck produzierte Katastrophen abwenden kann. Um nichts weniger geht es in einer Welt, die geprägt ist von zunehmender Verarmung und wachsender Ungleichheit, sich intensivierenden Verteilungskämpfen um Ressourcen, neo-imperialen Landnahmen, von nicht zuletzt durch Klimawandel ausgelösten Kriegen und Migration. Hinzu kommt ein politisches Desaster, so der Herausgeber des Sammelbandes, Aaron Tauss, und Tamara Ehs in ihrem Beitrag, eine Krise des Vertrauens in die bürgerliche Demokratie. Macht ist bei einer diffusen, immer weniger greifbaren Minderheit konzentriert, und die etablierten Parteien pflegen anstelle von gesellschaftlichen Utopien eine entpolitisierende Rhetorik der «Alternativlosigkeit». Seit rund drei Jahrzehnten erleben wir «den Kapitalismus als Neoliberalismus», ohne dass der «diskreditierte Sozialismus» eine Gegenkraft wäre. Zwar gibt es neue «anti-systemische Bewegungen», doch denen gelingt nebst radikaler Kritik höchstens das «Aufzeigen respektive praktische Vorleben konkreter Alternativen im kleinen Rahmen». Vorboten von Zukünftigem, immerhin.

Ulrich Brand, Alex Demirovic und Klaus Dörre umreissen das Spektrum, in dem sich linke Debatten über den Kapitalismus und dessen Überwindung heute bewegen. Mit knappen Darstellungen verschiedener Einschätzungen und Positionen ersparen sie Interessierten das Lesen vieler Bücher, die in jüngster Zeit mit anklagenden Analysen für Kontroversen sorgten. Doch der Schlussabschnitt von Dörre stellt auch klar, dass trotz der gegenwärtig permanenten Krisen «die Aussichten auf eine neosozialistische Gesellschaft jenseits von Wachstumszwängen und Wettbewerbsdiktat» nicht berauschend sind. Zwar gäbe es viele Projekte, auch Spielräume für demokratisches Experimentieren. Aber wenn die genutzt werden sollen, wäre bei der zersplitterten Linken «vor allem eines nötig: Der Hang zum Sektierertum und zur Verkündigung ewiger Wahrheiten muss beendet werden.» Überall könnten wir alternativ wirken: mit der Kritik an zerstörerischen Lebensweisen etwa, durch gewerkschaftliche Lohnkämpfe oder solidarische Hilfe für Flüchtlinge aus dem globalen Süden. Eine sozialistische Politik wäre «aus der Oppositionsrolle ebenso möglich wie in Regierungsverantwortung. Entscheidend ist, dass sie als transformative, als weiter treibende Politik gestaltet wird.»

Im zweiten Teil suchen die Autorinnen und Autoren weiter nach Brücken zwischen Theorie und Praxis, Leben, Alltag. Dabei greifen sie bei den Linken nach wie vor vernachlässigte feministische Ansätze auf, weisen auf Entwicklungen in Lateinamerika hin. Wir könnten «von den Lebensweisheiten indigener Völker lernen, die noch nicht vollständig von der Un-Zivilisation des Kapitals zerstört sind», merkt Horacio Machado Aráoz an. Er befasst sich in Argentinien mit Humanwissenschaften und propagiert politisch einen «Öko-Marxismus». Im marxistischen Denken blieben ökologische Fragen marginal, obwohl Marx diese «weder ignoriert noch unterschätzt» habe. Er erkannte «die (unlösbaren) Widersprüche, die dem Kapitalismus innewohnen.» Aber mit viel «historischem Optimismus» wurde angenommen, dass sich «das auf Technik und Wissenschaft basierende Produktionsmodell» einfach mit veränderter Verteilung der Güter weiterführen lasse. Linke gaben und geben meist dem Erhalt von Arbeitsplätzen sowie der Sozialpolitik den Vorrang, ohne sich um die Folgen des Wirtschaftswachstums zu kümmern. Was auch die Politik sogenannt progressiver Regierungen zeigt.

Friederike Habermann skizziert als Ziel wirklicher Transformation eine Care-Ökonomie. Diese könne nicht nach Mustern eines fortschrittlichen Machbarkeitswahns geplant und «gesteuert» werden. Dazu seien die realen Verhältnisse sowie unsere Verstrickungen in Herrschaftsverhältnisse zu komplex. Jenes eine Prozent «böser Kapitalisten», denen die Macht zu entreissen wäre, gibt’s nicht. Auch kein heiles Leben in der Subsistenz-Oase. «Doch wenn wir (an)erkennen, dass auch der Kapitalismus von uns täglich wieder aufs Neue hervorgebracht wird», muss es ebenso möglich sein, sich ihm in verschiedensten Sphären entgegenzustellen und mit dem anderen Leben und Wirtschaften zu beginnen. Schön zeigt ein Zwischentitel, was gemeint ist: «Wir verändern die Welt, die veränderte Welt verändert uns.» Es gilt, Besitzverhältnisse und Nutzungsrechte in Richtung neuer, zeitgemässer Allmenden zu entwickeln, zu teilen, was wir können, dabei lieber «beitragen statt tauschen». Entsprechend wichtig ist es, wie Christa Wichterich betont, ein weiteres Vordringen der Profitwirtschaft in klassische Sorgebereiche zu verhindern. Eine sozial-ökologisch ausgerichtete Politik muss umgekehrt «Räume für solidarische Austausch- und Wirtschaftsformen» öffnen, vorab lokal oder regional, ohne Ausschliessungen, kooperativ organisiert, bedürfnisorientiert. Kann sein, dass der «Charme des Selbermachens» im Titel dieses Beitrages etwas niedlich klingt, und die vorgeführten «Bausteine von Zukunft» sind nicht neu. Aber hier werden die Ansätze in umfassende Überlegungen eingebunden. Es wird deutlich, was noch fehlt, um sie für mehr Menschen zu einer plausiblen Alternative werden zu lassen. Mir war die Lektüre eine Ermutigung: So könnte es zu schaffen sein! Jüngere dürften sich wundern, wie präsent Karl Marx in fast allen Beiträgen ist. Ältere könnte befremden, dass nicht irgendwelche Parteitage, sondern die schon seit Jahren in Leipzig durchgeführten Degrowth-Konferenzen sowie wissenschaftliche Erwägungen über die «Postwachstumsgesellschaft» zentrale Bezugspunkte sind. Beidseits wäre zu lernen.

 

Chance für neue historische Deals?

Wer das rotgrüne Projekt in den Essays zu wolkig, als Wagnis heikel oder mit Blick auf die politischen und ökonomischen Machtverhältnisse schlicht unrealistisch findet, sieht solche Bedenken in einer gründlicheren, zuweilen allerdings ausufernden Studie von Dieter Klein gespiegelt. Der schon zu DDR-Zeiten reichlich mit Schwierigkeiten von Reformprozessen konfrontierte Ökonom nahm im Auftrag der nahe bei der Linkspartei angesiedelten Rosa-Luxemburg-Stiftung die «Transformationsfähigkeit» des heutigen Deutschland unter die Lupe. Speziell die Frage, ob und wie ökosoziale Bewegungen oder Parteien allenfalls zu neuen Koalitionen mit den Teilen der Machteliten kommen könnten, welche die aktuelle Lage ähnlich besorgt einschätzen. Die «globalen Grossgefahren» bedrohten ja auch «den erreichten Stand der Zivilisation, der inzwischen zu den Bedingungen des modernen Kapitalismus gehört». Wären nicht Weichenstellungen denkbar, wie der in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts unter Roosevelt in den USA vollzogene ‹New Deal›? Der enorme politische Kraftakt hatte tiefgreifende Wandelungen der Gesellschaft zur Folge. Auch die auf eine wachsende Atomkriegsgefahr reagierenden internationalen Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle werden als Beispiel analysiert. Was für Koalitionen konnten damals nicht nur für ein Land zerstörerische Prozesse stoppen? Welches waren die Resultate? Wie lässt sich das «Selbstermächtigungspotenzial» der «Reformen von unten» bewahren? Wo liegen zum Beispiel die Tücken technokratischer Konzepte und Vorstellungen eines «grünen Kapitalismus»? Manchmal wirkt der Ton des Autors fast verzweifelt, wenn er im eigenen Umfeld, das er heute als «Defensivlinke» erlebt, neues Hoffnungspotenzial zu mobilisieren versucht. Er will sie «zur Transformationslinken» werden lassen. Nur dann wären die Chancen für einen «demokratischen grünen Sozialismus» zu nutzen.

 

Aaron Tauss (Hrsg.): Sozial-ökologische Transformationen. Das Ende des Kapitalismus denken. VSA, Hamburg 2016, 206 Seiten, 20 Euro.

 

Dieter Klein: Gespaltene Machteliten. Verlorene Transformationsfähigkeit oder Renaissance eines New Deal? VSA, Hamburg 2016, 285 Seiten, 16.80 Euro.

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