Zu jung zum Mitreden, zu alt für Unterstützung

Anahí Frank

 

Careleaver werden junge Erwachsene genannt, die ein Heim oder eine Pflegefamilie verlassen – und dabei von einem Tag auf den nächsten ihren ganzen Lebensunterhalt bestreiten müssen. Ein Verein setzt sich für sie ein.

 

Wer diese Zeitung nicht im Kinderzimmer liest und dabei farbige Cornflakes in sich löffelt, wird wissen: Erwachsenwerden ist hart. Geld verdienen und Steuern zahlen, Neues lernen und im Beruf überall einsetzbar sein, Kleider für die Arbeitswoche waschen und am Sonntag keinen Waschlärm verursachen; alles Fähigkeiten, die erlernt werden müssen. Während einige junge Erwachsene sich für diesen Prozess Jahre Zeit lassen dürfen und von ihren Familien unterstützt werden, fordert der Staat von Pflege- oder Heimkindern, dass sie mit 18 alles von allein können: Kaum volljährig oder mit Schule oder Lehre fertig, müssen Jugendliche das Heim verlassen und sich um ihren eigenen Lebensunterhalt kümmern. Oft stehen sie ohne Möbel in der eigenen Wohnung und müssen gleichzeitig die Eltern auf Unterhalt verklagen, Stipendien beantragen, die Ausbildung fortsetzen und eigenes Geld verdienen. «Viele brechen den Bildungsweg ab, weil die Geldbeschaffung so aufwendig ist», berichtet Rose Burri, Präsidentin und Mitgründerin des Verein Careleaver Schweiz. Die Situation von Careleaver kennt sie nicht nur aus der Weiterbildung und der ehrenamtlichen Arbeit, sondern auch aus eigener Erfahrung. 

 

«Wenn man als Pflege- oder Heimkind aufgewachsen ist, möchte man sich zunächst mal «normal» fühlen und auf eigenen Beinen stehen», erzählt Burri. Viele Careleaver seien deshalb eher auf der Suche nach konkreter Hilfe für konkrete Probleme. Darum kann man beim Careleaver-Verein auch anrufen, wenn man mit der Steuererklärung nicht klarkommt oder Krankenkasse-Beratung braucht. Um dieses Angebot auszubauen, arbeitet Burri an sogenannten «Starter Pakets»: Schmale Kartonschachteln, in dem sich alle Flyer finden, die einer oder einem Careleaver das Leben erleichtern könnten. Neben den Adressen von Therapieangeboten oder Hilfeorganisationen sollen auch Gutscheine hinein, die das Zusammenkaufen des eigenen Haushalts günstiger machen. Und besonders wichtig: Die Namen von Firmen, die die Schwierigkeiten von Careleavern beim Berufseinstieg anerkennen. Und deshalb dazu bereit sind, sie am Anfang zu fördern oder beispielsweise niederschwellige Schnuppertage anbieten. 

 

Die Schwierigkeiten von Careleaver fangen nicht mit der Volljährigkeit an. «Careleaver trauen sich oft zu wenig zu, weil ihnen seit der Kindheit ein Gefühl von Ohnmacht vermittelt wurde», so Burri. Dieses Gefühl entsteht, wenn Kinder nicht mitbestimmen dürfen, in welches Heim sie platziert werden oder ob sie wieder bei der leiblichen Familie leben möchten. Und im Heim stossen sie dann nicht auf offene Ohren, sondern auf einen strengen Stundenplan. «Viele Angestellte im Heim sind eher daran interessiert, Regeln durchzusetzen, als auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen einzugehen», meint Burri. 

 

Kinder kennen ihre Rechte nicht

Diesen Strukturen stehen viele Kinder und Jugendliche fast hilflos gegenüber. Denn für ihre Rechte einsetzen können sie sich nur, wenn sie diese überhaupt kennen. «Kinder und Jugendliche sollen wissen, dass was sich falsch anfühlt, auch falsch ist und nicht ihre Schuld oder Einbildung ist», erklärt Burri. Zudem bräuchte es Vertrauenspersonen, die die Kinder bei der Mitsprache unterstützen würden. Diese würden jedoch oft fehlen. Dabei hat die UNO-Kinderrechtskonvention Mitsprache und altersgerechte Information als Rechte anerkannt. Auf die UNO-Konvention stützt sich auch die Broschüre «Quality4Children», die sich an Kinder richtet und ihnen ihre Rechte erklärt. Doch wie oft sie Kinder tatsächlich in die Hände bekommen, ist fraglich. 

 

Auch die Rechte beim Verlassen der Fürsorge werden in der Broschüre thematisiert: Careleaver hätten das Recht, vorbereitet und informiert das Heim oder die Pflegefamilie zu verlassen und diesen Auszug aktiv mitzugestalten. Zudem sollen sie nach dem Auszug immer noch Unterstützung von Heim oder Pflegefamilie erhalten. Burri zufolge geschieht das jedoch eher selten: «Die Betreuerinnen und Betreuer haben kaum Zeit für die Ausgezogenen, an ihrer Stelle ist schon jemand Neues eingezogen.» So fehlt vielen Careleaver nach dem Auszug nicht nur das Geld und die Informationen, sondern auch das unterstützende Netzwerk. Auch hier setzt sich der Verein Careleaver ein: Regelmässig organisiert der Verein Treffen, an denen Careleaver sich kennenlernen, austauschen und unterstützen können – sei es mit einem freundschaftlichen Gespräch oder mit praktischer Hilfe bei der Steuererklärung. 

 

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