- Gartenliteratur
Zeit auch zum Pflanzen
Der süddeutsche Ulmer-Verlag ist ein traditionsreicher Lieferant von Gartenliteratur. Ich erinnere mich, dass schon mein Vater vor einem halben Jahrhundert von dort Anregungen für unsere Pflanzplätze bezog. Seine rundum bewunderten Kohlköpfe dürften aber auch dank gewaltigen Mengen von Kunstdünger so riesig geworden sein. Vielleicht im Kombi mit dem Rossmist, den ich mit wenig Begeisterung von Dorfstrassen kratzte.
Mit keckem Akzent aus Paris
Ulmer habe sich als Verlag «über fünf Generationen um Gartenbau und Landwirtschaft verdient gemacht», steht auf der Website. «Wir haben AutorInnen, die seit 45 Jahren für uns schreiben, Bücher, die nach 150 Jahren ihre 23. Neuauflage erleben und Abos, die seit 1948 ungekündigt laufen.» Auch das sei Nachhaltigkeit. Doch dazu gehöre Wandel. «#machsnachhaltig» heisst eine neue Serie und unter den Zeitschriften findet sich jetzt eine «für angewandte Ökologie». Von den drei Titeln, die mich im Frühjahrsprogramm reizten, stammen zwei aus der 1993 in Paris gegründeten Edition Ulmer, die einen spürbaren Akzent setzt.
Kommt auch die Neigung zur Übertreibung von dort? «Lerne spielerisch 460 Bäume, Sträucher und Blumen kennen, denen du im Garten oder überall unterwegs begegnest», lockt keck das «entzückend gestaltete Mini-Bestimmungsbuch» von Marine Cressy. 460 Arten auf 146 Seiten? Da wird einfach mal zum Loslegen animiert. Als die Autorin an der Fachhochschule zu studieren begann, sei ihr eine Flora gereicht worden – «dick wie ein Telefonbuch», mit einem Bestimmungsschlüssel, der «theoretisch» zur Abbildung der gesuchten Pflanze geführt hätte, alles «in Schwarz/Weiss, wohlgemerkt». Fachbegriffe sagten ihr gar nichts. Sie möchte Neulingen den Weg ins botanische Labyrinth leichter machen: 175 Gramm zum In-die-Tasche-stecken, «garantiert ohne Fach-Chinesisch». Zumindest eine Ahnung von der Vielfalt lässt sich so vermitteln. Jüngeren könnten ihre teils frechen Vignetten gefallen. Mir sagen die von der heutigen Landschaftsarchitektin eingeschobenen politischen Prioritäten zu. Die erste wäre «Autos umsiedeln: Platz für Bäume!» Sie will die Jahreszeiten wieder in die Stadt holen und Lust auf Bewegung im Freien machen. Wenn es Frühling wird – raus! «Knöpf dir Pflanzenfamilien vor», vorab vielleicht jene gelben «Löwenzähne», die keine sind, Königinnen des Verwirrspiels. Et cetera.
Ein jungstolzer Kleingärtner …
310 Gramm bringt das zweite Bändchen auf die Waage, in dem ein Zwanzigjähriger erste Erfahrungen als Gärtner zum Besten gibt. Arthur Motté wurde im Alter von sieben Jahren von Alphonse (78) angefixt, der in der Nähe grosse Gemüsebeete hegte. «Gemeinsam haben wir Tomaten verkostet und ich buddelte mit den Händen in der Erde.» Später trotzte er den Eltern eigene 15 Quadratmeter ab, eine Ecke des gepflegten Rasens. Was er dort schuf, präsentierte er stolz auf einer Website. 2020 folgte ein Buch, das – anders als bei der nun deutsch vorliegenden Ausgabe – einen «petit potager bio» propagierte. Wurde er weniger streng? Nach einem Jahr hatte er ja bereits das Mulchen aufgegeben, weil sein üppiges Angebot «ganze Sippen von Nachtschnecken» anlockte. Ökologisch vertretbare Schneckenkörner seien teuer. Also andere? «Haben Sie Lust, in einer giftigen Umgebung zu gärtnern?» Nein. Lauter eher «eklige» Lösungen stehen zur Wahl. Für andere Probleme hat er einfachere, oft pfiffige Tipps. Zu wenig Platz? Ab in die Höhe! Dazu am Zaun noch Kapuzinerkresse für Schönheit und Küche. Hinten einige passende Rezepte. Zucchini-Chips zum Beispiel sehen sehr lecker aus.
… und Weltenwande vor Ort
Mit immerhin 860 Gramm und nochmals fast doppeltem Seitenformat – die alle gleich klein wiedergegebenen Covers trügen –, kommt «Lass wachsen!» daher. Gewichtiger wirkt auch der Inhalt dieses von Elke Schwarzer als Diplom-Biologin und Hausautorin des Verlages beigesteuerten Bandes, der «für dich, deine tierischen Garten-Mitbewohner und die Welt» von Nutzen sein will. Klima und Artenschutz sind bei ihr zentrale Themen und Pflanzen «die mächtigste Waffe», um etwas zu verändern. «Gärtnern Sie sich aus der Ohnmacht und retten Sie mit Ihrem Garten die Welt vor Ihrer Haustür!» Das klinge «zugegeben» etwas übertrieben, aber ein bisschen werde eben wirklich zum Teil der Lösung, wer sich «nicht unterkriegen» lasse. Der wärmste Winter, der früheste Frühling, der heisseste Sommer, Biodiversitätskrise, Krisen rundum … Auszeiten im Grünen können gegen Resignation helfen. Gärtnern «macht auch Spass und sogar satt». Runter mit den Temperaturen! Rauf mit der Artenvielfalt! Der eingängige Spruch wird durch bunt bebilderte Anleitungen für die Praxis geerdet. Was ich bei den im letzten P.S vorgestellten Büchern von ‹Haupt Natur› hervorhob, findet sich wieder – etwa in der «Not-to-do-Liste» oder in Tipps, zur Gestaltung eines wilderen Gartens mehr «lebendiges Totholz» zuzulassen, Beete für vielerlei neue Gäste zu schaffen. Unter urbanen Bedingungen könnten wir auch beim Gärtnern ohne Garten gemeinsam «bodenlos glücklich» werden.
Nachdem vor einer Woche der Hinweis auf eine lokale Pflanzentauschbörse wetterbedingt wenig attraktiv war, sei noch einer nachgeschoben: Heute und morgen feiert Grün Stadt Zürich das 20-Jahr-Jubiläum des Tomatensetzlingsmarktes in der Stadtgärtnerei. Danach geht dort am 29./30. April sowie vom 2. bis 4. und 6. bis 8. Mai der Verkauf – ergänzt mit diversen Kräutern – weiter. Obwohl noch kühl soll dieses Wochenende sonnig und ein weiterer Frühling im Anflug sein.
Marine Cressy: Ich sehe was, was ich nicht kenn’. Pflanzen unterwegs entdecken und bestimmen. Eugen Ulmer Verlag, Stuttgart 2024, 144 Seiten, 718 farbige Zeichnungen, ca. 17.50 Franken.
Arthur Motté: Rasen raus. Gemüse rein. Ordentlich was ernten auf 15m². Ulmer 2024, 142 Seiten, 88 Farbfotos, 68 farbige Zeichnungen, ca. 22.50 Franken. Siehe auch www.lepotagerarthur.com
Elke Schwarzer: Lass wachsen! Nachhaltig gärtnern, Artenvielfalt fördern, Ressourcen schonen. Ulmer 2024, 192 Seiten, 200 Farbfotos, 13 farbige Zeichnungen, ca. 34.50 Franken.