Besinnung

Verständigung über die Grenzen von gegnerischen Positionen ist möglich, wie Luciano Simioni eindrücklich zeigt.

Ein Stück Mauerwerk und ein Vorhang aus Draht genügen, um die Spannweite der Thematik zu benennen. Es sind schon die Ruinen der beiden Leben, die Luciano Simioni in zwei aufeinander folgenden Monologen der Annäherung in «R&B – Vom Feind zum Freund» nach realem Vorbild thematisiert. Bassam Aramin, Muslim, Palästinenser und Rami Elhanan, Jude, Israeli. Beide sind sie Väter. Beide haben je eine Tochter verloren. Von einem Soldaten erschossen. Von Selbstmordattentätern in die Luft gesprengt. Als Kinder. Die Väter durchlaufen einen vergleichbaren Weg der Trauerverarbeitung. Auf den Schock folgt die Wut folgt die Rachlust folgt die Besinnung folgt das Lebensbegehren folgt die Chance der Aussöhnung durch die Teilhabe im «Parents Circle». Die Originalberichte zeugen von einer umfassenden Separiertheit des Alltags und der Lebensrealitäten von Israeli und Palästinensern. Die Unkenntnis des anderen vereinfacht anscheinend dessen Stilisierung zum Feind. Im Blick zurück zeigen sich beide Perspektiven selbstkritisch gegenüber einer jahrelangen Selbstgenügsamkeit im jeweiligen Trott. Beide bereuen, den realen zwischenmenschlichen Kontakt nicht schon sehr viel früher gesucht zu haben. Matthias Gubler mit So­pransaxophon und Lisette Stoffel mit einer transportablen Blasbalgorgel verleihen den Erzählungen musikalisch eine andächtig würdevolle Stimmung. Die Berichte sind intensiv und lassen die Zeit im Nu hinter sich.

Trotz aller Unterschiede ähnelten sich die beiden Leben von Bassam Aramin und Rami Elhanan darin, dass sie ihr Gegenüber nicht nur nie trafen oder sich für dessen Leben interessierten, sondern insbesondere darin, den anderen überhaupt nicht als Menschen wahrgenommen zu haben. Als ebenfalls Vater, als ebenfalls Liebender, als ebenfalls Teil einer sozialen Struktur, als ebenfalls – wenn auch verschieden – unter den grösseren politischen Umständen leidend. Beide kamen nicht ganz allein von sich aus auf die Idee, einen Erstkontakt via «Parents Circle» mit dem sogenannten Feind zu suchen. Sie sind also weder moralisch noch sonstwie klügere, weisere oder bessere Menschen als der jeweils andere, geschweige denn alle anderen. Aber ihre Erfahrung mit dem Direktkontakt in einer Gruppe mit der Gemeinsamkeit der Trauererfahrung um ein verschiedenes Kind hat ihre Wahrnehmung und Einstellung gegenüber dem jeweils anderen fundamental verändert. Sie nennen es offen eine Bereicherung, weshalb sie seither als Tandem mit der Geschichte ihrer Entwicklung aufeinander zu öffentlich für Besinnung und Versöhnung werben. Als lebende Beweise, dass es machbar ist.

«R&B – Vom Feind zum Freund», 18.4., Keller62, Zürich.

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