Zäsur

Die letzten Tage im Steinkohleuntertagebau und die ersten Schritte in ein neues Leben zeigt «Wir waren Kumpel».

Christian Johannes Koch («Spagat») und Jonas Matuschek begleiten fünf Personen auffallend lange und ebenso vertraut regelrecht intim während ihrer jahrzehntelangen Routine, bis diese absehbar aber letztlich halt doch sehr abrupt irgend etwas Neuem weichen muss, womit sich alle Protagonist:innen sehr verschieden leicht arrangieren. In der ersten Filmhälfte von «Wir waren Kumpel» wird ungeheuer bildgewaltig erahnbar, welch unglaublich riesigen Industriekomplexe solche Zechen waren, die in einer mehrhundertjährigen Tradition einen Stolz verkörperten und jetzt Geschichte sind. 

Im zweiten Teil ringen die fünf Personen sehr unterschiedlich um einen neuen Lebenssinn, ums mal pathetisch zu formulieren. Thomas Hagedorn war 42 Jahre lang verantwortlich für die Wäsche und die Reinigung der Sanitäranlagen in einem 7/24-Schichtbetrieb mit Tausenden von Arbeitern. Jetzt befindet er sich in der typischen Rollenfindungsdiskussion zu Hause wieder, allerdings im Disput mit der Mutter statt wie im Pensionärsklischee mit der Gattin. Ein Arbeiter war auch Martina Klimetzki bis zu ihrem Coming-Out als trans Person, was bei ihren Kumpeln der Erzählung gemäss ausser einem zur Kenntnis nehmenden Schulterzucken kaum nennenswert Reaktionen, schon gar keine negativen zeitigte. Diese doch sehr körperliche Männerwelt – Gemeinschaftsduschen für 400 Personen – war dennoch zu sehr Sinnbild für das endlich überwundene, alte Leben. Jetzt fährt sie riesige Camions durchs Salzbergwerk. 

«Langer» alias Marco Edelmann und «Locke» alias Wolfang Herrmann waren 32 Jahre lang ein eingespieltes Tandem unter Tage, das mehr Zeit miteinander verbrachte als je mit der eigenen Frau und Familie. Langer mag nicht zurückblicken und fand als Schulbuschauffeur eine neue, für ihn sinnstiftende Aufgabe, während Locke sehr viel deutlicher mit dem Fehlen einer konkreten Aufgabe hadert. Er findet zwar, er habe den Ruhestand verdient und wolle sicher keinen x-beliebigen Minijob annehmen, aber Hausmann alleine ist ihm auf Dauer offenbar auch nicht genug. Kirishanthan Nadarajah sass über die Hälfte seines Lebens auf dem Bock einer Rangierlok und sagt, er verdanke den Kumpeln die Sprachkenntnisse wiewohl die kulturelle Integration in Deutschland überhaupt. Dies in einer Intensität, dass er seine eigentlichen Wurzeln und die damit einhergehenden Konflikte eher verdrängte als aufarbeitete, was für ihn jetzt mit einer endlosen Fülle an Zeit plötzlich als zentral zu lösende nächste Aufgabe erscheint. froh.

«Wir waren Kumpel» spielt in der Sonntagsmatinée im Kino RiffRaff.

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