«Wir müssen die Steuern senken»

Avenir-Suisse-Direktor Peter Grünenfelder will den zweiten Sitz im Regierungsrat zurückerobern, den die FDP vor vier Jahren an die Grünen verloren hat.

 

Die klassische politische Ochsentour hat er ausgelassen: Peter Grünenfelder (FDP) möchte gleich an der Spitze einsteigen, von Null auf Regierungsrat, sozusagen. Er habe während seines ganzen Berufslebens «stets Schnittstellenfunktionen zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Staat innegehabt», sagt er. Was motiviert den Direktor des Think-Tanks Avenir Suisse dazu, mit 55 Jahren in die Politik einzusteigen, beziehungsweise: Was könnte ihn allenfalls abschrecken? «Ich stehe ein für einen liberalen Aufbruch und habe kein Problem damit, im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen. Auch Kritik schreckt mich nicht ab. Ich bin grundsätzlich gern unter Leuten, was mir im Wahlkampf zugute kommt.» Ein Auftritt in fabrikneu aussehenden Gummistiefeln in Mettmenstetten im Stall des Präsidenten des kantonalen Bauernverbands, Martin Haab (SVP)? Kein Pro­blem für Peter Grünenfelder, aufgewachsen an der Zürcher Goldküste, Dr. oec. HSG, verheiratet mit Nationalrätin Christa Markwalder und stolzer Vater eines Sohnes.

 

Weniger Regulierung…

In seiner Wahlbroschüre ist zu lesen, der Kanton Zürich sei heute «Schweizer Meister im Verwaltungswachstum, bei Bürokratie und Regulierung, bei der Besteuerung der Leistungsträgerinnen und Leistungsträger in Gesellschaft und Wirtschaft». Diesen maroden Kanton Zürich will der ehemalige Staatsschreiber des Kantons Aargau mitregieren? Die aktuelle Regierung blende Fehlentwicklungen mit erstaunlicher Nonchalance aus, der Kanton verliere an Standortattraktivität, und zwar nicht nur verglichen mit dem Wirtschaftsmekka Zug, sondern auch mit Kantonen wie Schwyz oder Thurgau, sagt Peter Grünenfelder, «und zwar bei weitem nicht nur wegen den Steuern». In Zürich dauere es viel länger, bis man eine Baubewilligung bekomme, Bürokratie behindere auch die Gastroszene. Und Firmen, die nach Zürich ziehen wollten und sich beim Steueramt erkundigten, was für Konditionen möglich sind, erhielten «bestenfalls nach zwei Wochen eine Eingangsbestätigung ihrer Anfrage». Der Kanton Zürich verliere Firmen, sei bei der Innovationskraft im europäischen Vergleich «dramatisch zurückgefallen» und bei den Firmengründungen schweizweit «nur noch Mittelmass». Als gesellschaftspolitisches Hauptproblem nennt Peter Grünenfelder den Zustand der Volksschulen. Schlimm sei  die «mangelnde Autonomie» der Schulgemeinden: «Der Kanton schreibt den Schulen einerseits alles bis ins Detail vor, und andererseits negiert die Regierung offensichtliche Probleme vor Ort oder sitzt sie aus, anstatt sie zu lösen.»

 

…und tiefere Steuern

Mit seinen Aussagen zur Schule hat Peter Grünenfelder es schon mal geschafft, Kritik aus den eigenen Reihen zu ernten: Die amtierende Bildungsdirektorin ist bekanntlich keine Linke… Doch wie genau stellt er sich den «liberalen Aufbruch» vor, den es braucht, damit der Kanton Zürich «wieder zur schweizweiten Lokomotive» wird, wie er auf seiner Webseite schreibt? Zürich habe «so viel Potenzial», schwärmt er, doch der Kanton könne dieses Potenzial nicht voll entfalten. In der Volksschule beurteilt er die heutige Ausgestaltung der integrativen Schule äusserst kritisch, ebenso wie die administrative Belastung der Lehrkräfte. Nicht nur die Lehrkräfte, wir alle, «sogar die Bauern», litten unter zu viel Bürokratie. Zur progressiven Gesellschaft gehört für ihn auch ein AusländerInnenstimmrecht auf kommunaler Ebene. Die wachsende Zahl an Staatsangestellten bekämpft er vorab wegen dem Fachkräftemangel bei Gewerbe und Industrie.

 

Vor allem aber sei es dringend nötig, die Steuern zu senken, findet Peter Grünenfelder, und zwar um zehn Prozentpunkte. Er rechnet vor: «In den vergangenen fünf Jahren hat der Kanton fast drei Milliarden Franken zuviel eingenommen, Überschüsse von 500 bis 700 Millionen Franken pro Jahr. Das entspricht acht bis zehn Steuer-Prozentpunkten bzw. Tausenden von Franken, die wir ZürcherInnen zu viel bezahlen.» Tatsächlich? Der amtierende Finanzdirektor Ernst Stocker (SVP) erklärte kürzlich gegenüber P.S., er wisse nicht, auf welche Eckwerte sich die VerfechterInnen einer solchen Steuersenkung stützten (siehe P.S. vom 23. 12. 2022). Peter Grünenfelder lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und präzisiert, dieses Geld könnten die Zürcher­Innen angesichts steigender Mieten, Krankenkassenprämien und der Inflation nicht nur dringend gebrauchen, sondern es stehe ihnen auch zu. «Damit lassen wir lediglich die Luft ab, die im System drin ist.»

 

«Sehr nachhaltig»

Er und seine Familie lebten «sehr nachhaltig», betont er: Die Familie besitze kein eigenes Auto, konsumiert würden lokale Produkte. Die Jungen Grünliberalen sahen das kürzlich anders, als sie ihn unter «Peter #NotGruen|enfelder gibt sich grün» mit einem Twitter-Sturm eindeckten. Sie hätten sich wohl an seinem Smartvote-Profil orientiert, das kein umfassendes Bild abgebe, erklärt Peter Grünenfelder und kritisiert – nicht etwa die Jungen Grünliberalen, sondern die amtierende Zürcher Regierung und deren Weigerung, die Smartvote-Fragen (erneut) zu beantworten: «Sie verweigern sich einem inhaltlichen Diskurs! So geht das nicht, die WählerInnen müssen sich doch ein Urteil bilden können!», ruft er aus. Doch zurück zur Nachhaltigkeit: «Nach Fukushima war es verständlich, dass die Mehrheit die Atomkraft zurückstellen wollte. Diese CO2-neutrale Technologie zu verbieten, ist heute jedoch der falsche Weg. Ein Stromabkommen mit der EU hingegen ist absolut essenziell.»

 

Angenommen, er wird gewählt: Wo mischt er sich im Regierungsrat zuerst ein – bei den Steuern, den Baubewilligungen, in die Schulpolitik? Und wen aus seinem neuen Stab entlässt er wohl zuerst? Schliesslich ruft sein Führungsstil einige KritikerInnen auf den Plan (siehe P.S. vom 14. April 2022). Peter Grünenfelder schmunzelt: Natürlich seien nie alle zufrieden, aber der Erfolg von Avenir Suisse sei dem Team-Engagement geschuldet. Aber in seinem jetzigen Job wie auch in der Zürcher Regierung gehe es vor allem darum, die Probleme gemeinsam anzugehen, statt nur im eigenen Gärtli zu jäten: «Der Regierungsrat muss direktions- und parteiübergreifend mehr als Team zusammenarbeiten. Der Austausch mit dem Kantonsrat könnte viel besser funktionieren, und die dringend nötigen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Reformen sind gemeinsam anzupacken. Dafür würde ich mich in der Regierung einsetzen.»

 

Regierungsratswahlen 2023

Mit dieser Porträtreihe stellen wir bis Anfang Februar die bisherigen und die neuantretenden RegierungsratskandidatInnen vor: diese Woche Peter Grünenfelder (FDP, neu). Erschienen im P.S. vom 27. 01.2023.

 

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