«Wir dürfen den Bürgerlichen nicht alles durchgehen lassen»

Seit 2013 ist Kathy Steiner Kantonsrätin, und bereits seit 2004 ist ihr Fraktionskollege Robert Brunner im Amt. An der Kantonsratssitzung vom Montag haben die beiden Grünen nun ihren letzten Auftritt. Darüber, was sie im Rat erreicht haben und gern noch erreicht hätten, geben die beiden im Gespräch mit Nicole Soland Auskunft.

 

Mit welchen Erwartungen und Hoffnungen haben Sie seinerzeit im Rathaus Platz genommen?

Robert Brunner: Nach etlichen Jahren als Bezirksparteipräsident sowie mehreren Wahlkämpfen, die ich organisiert hatte, wusste ich, was auf mich zukommen würde. Inhaltlich liegt mir hauptsächlich der Naturschutz am Herzen, weiter alles, was mit Landwirtschaft zu tun hat, sowie das Thema Energie. Als ich im Kantonsrat startete, stand das Sparprogramm San04 an, mit dem im Naturschutz ein gröberes Streichkonzert veranstaltet werden sollte. Dabei war damals eigentlich schon allen klar, dass wir, wenn schon, mehr Geld in den Naturschutz investieren müssten und sicher nicht weniger. Als Unterländer kümmerte ich mich selbstverständlich auch um die Flughafen-Politik.

 

Kathy Steiner: Bevor ich im Kantonsrat anfing, war ich drei Jahre lang Gemeinderätin in der Stadt Zürich. In diesem Parlament brachten wir Grünen viel durch, aber leider geschah es auch immer wieder, dass wir vom Kanton zurückgepfiffen wurden. Wie zum Beispiel beim Baumschutz: Der Kanton wollte davon nichts hören, obwohl in der Stadt Zürich seinerzeit eine entsprechende Volksinitiative angenommen wurde. Es nützte damals aber nichts, denn der Kanton hat sie anschliessend kassiert. Solche Vorkommnisse motivierten mich dazu, mich im kantonalen Parlament zu engagieren. Denn wenn es kantonale Gesetze sind, die uns daran hindern, das umzusetzen, was unsere Stimmberechtigten wünschen, dann müssen wir eben diese Gesetze ändern.

 

Das ist leichter gesagt als getan: Wie sehr hat es Sie frustriert, Montag für Montag von der bürgerlichen Mehrheit eins aufs Dach zu bekommen?

K.S.: Im Gemeinderat war ich Teil der Mehrheit, im Kantonsrat gehörte ich zur Minderheit – natürlich kann letzteres frustrierend sein, doch das ist nicht das Thema: Mir ging es im Kantonsrat darum, dass auch unsere Stimme, jene der Minderheit, gehört wird.

 

R.B.: Ich habe stets versucht, mich zu vernetzen, denn wenn man in der Minderheit ist, muss man gute Kompromisse finden und eingehen können, um Erfolg zu haben. Meine Vision eines Neeracher Rieds ohne Durchgangsstrasse wurde auch deshalb Wirklichkeit, weil ich mit Ursi Moor von der SVP und Gabriela Winkler von der FDP gewagte Kompromisse eingegangen bin. Ein zweiter wichtiger Faktor sind die KollegInnen in der Fraktion: Wenn man einander mag, dann ist mehr möglich und macht das Politisieren mehr Spass, selbst wenn man ständig aufs Dach bekommt.

 

Gab es diesbezüglich denn Probleme bei den Grünen?

R.B.: Als ich 2004 im Rat anfingt, war Thomas Weibel unser Fraktionspräsident – und gerade dabei, zu den Grünliberalen abzuspringen. Diesen ‹Chlapf› erlebte ich in einer der ersten Fraktionssitzungen. Das hat mich erschüttert: Im Rat aufs Dach zu bekommen und sich gleichzeitig untereinander die Birne einzuschlagen – nein, das war kein guter Start. Unterdessen hat es in unserer Fraktion viele gute Leute, die ich gern habe. Für mich war und ist das wichtig: Wenn man gemeinsam kämpft, fühlt sich das Verlieren weniger schlimm an.

 

Seit den letzten Wahlen ist die bürgerliche Mehrheit nicht mehr übermächtig. Eigentlich ein Grund, noch ein wenig weiterzumachen…

K.S.: Das könnte man so sehen, doch andererseits ist jetzt – gerade auch angesichts der geänderten Mehrheitsverhältnisse – ein guter Moment, um das Mandat weiterzugeben.

 

R.B.: Ich habe den Entscheid bereits vor einem Jahr gefällt und bleibe dabei. Ich habe zwar nach wie vor viele Ideen, doch nach 16 Jahren fehlt es mir an der nötigen Energie für die Arbeit im Parlament. Und nur um weiterhin meine Ideen einbringen zu können, muss ich nicht jeden Montag im Rathaus sitzen…

 

Was ist Ihnen besonders gut gelungen, worauf sind Sie stolz?

R.B. Falls die parlamentarische Initiative zu § 30 Strassengesetz aus dem Jahr 2013, die ich mit Sabine Sieber von der SP einreichte, tatsächlich durchkommt, ist das mein grösster Erfolg. Es geht darum, dass der Kanton einen Beitrag an die Ausgaben für den Unterhalt der Gemeindestrassen leisten soll. Der Rat hat den abgeänderten Vorstoss am 18. November 2019 gutgeheissen: Wir hatten ihn in der letzten Legislatur bewusst verschleppt, denn an der alten bürgerlichen Mehrheit wäre er gescheitert. Allerdings untersteht er dem fakultativen Referendum, sprich, es wird noch eine Volksabstimmung geben.

 

Dass ein Grüner einen Vorstoss zum Strassengesetz macht, ist wohl eher selten?

R.B.: Vieles ist auch Auftragsarbeit, zum Beispiel meine Anfrage zu den Strassenabwasserbehandlungsanlagen (SABA) entlang von Autobahnen: 2014 wurde ich gebeten, mir eine Bach-Revitalisierung im Weinland anzuschauen, bei der alles schief gelaufen war. Man hatte dort eine riesige SABA gebaut, um das schmutzige Wasser zu reinigen, das von der Autobahn N4 runterfloss. Ich fand heraus, dass niemals auch nur ein einziger Tropfen dieses Wassers seinen Weg in die neue, teure Anlage gefunden hatte. Zugegeben, das war ein Zufallsfund. Doch wenn ich den Ball mal am Fuss habe, dann schiesse ich auch. In diesem Fall hiess das, die ‹Strassenfritzen›, die diese Anlage verbrochen hatten, tüchtig auszulachen…

 

K.S.: Aber unterdessen funktioniert die Anlage hoffentlich?

 

R.B.: Nein, es ist eine totale Fehlkonstruktion.

 

Sie, Frau Steiner, haben im Rat vor allem zu sozialen Themen Stellung genommen, während Sie, Herr Brunner, im P.S. schon mal als «Allzweckwaffe» der Grünen bezeichnet wurden…

K.S.: Ich war viele Jahre lang Parteisekretärin der Grünen Stadt Zürich und habe durchaus Stellung genommen zu Themen aus der Stadt Zürich, zum Beispiel zum Rosengartentunnel oder zur Entwicklung des Hochschulquartiers. Noch hängig ist meine Motion für gemeinnützigen Wohn- und Gewerberaum auf dem heutigen Kinderspital-Areal. 

 

R.B.: Wenn jemand auf der anderen Ratsseite Blödsinn redet, dann nehme ich Stellung; das ist eine Art Reflex. Immerhin sind wir die Opposition: Wir dürfen den Bürgerlichen nicht alles durchgehen lassen. Dafür habe ich nie zum Thema Bildung gesprochen – ausser wenn jemand meine Getränketechnologen an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Wädenswil blöd angemacht hat. Das hat Hans-Peter Amrein von der SVP mal versucht – mit dem Resultat, dass er bös unter die Räder gekommen ist.

 

K.S.: Ich habe mich immer dann zu Wort gemeldet, wenn ich wirklich etwas zu sagen hatte. Zudem war die Grüne Fraktion auch nicht immer so gross wie jetzt, und deshalb war ich eine ganze Legislatur lang als Grüne alleine in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit. So bin ich ganz automatisch die Grüne Stimme bei den Gesundheits- und Sozialgeschäften geworden.

 

Ihre grössten Erfolge sind demnach solche auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und Gesundheit?

K.S.: Die Revision der Spitalplanung ist zurzeit zwar sistiert. Doch ich habe mich mit einer parlamentarischen Initiative dafür eingesetzt, dass die Listenspitäler einen Mindestanteil von Menschen aufnehmen müssen, die nur die obligatorische Krankenpflege-Grundversicherung haben. Bald wird diese Initiative behandelt, und sie ist mir sehr wichtig: Es darf nicht sein, dass jetzt besonders die kleinen Spitäler unter Druck kommen. Viel eher müssten wir dafür schauen, dass Kliniken wie die Hirslanden mehr ‹Normalsterbliche› aufnehmen statt vor allem lukrative Privatversicherte. Der frühere Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger hatte meinen Vorschlag in seinen Vernehmlassungsentwurf aufgenommen, und er ist noch nicht vom Tisch.

 

Sie beide haben sicher auch noch ‹grünere› Erfolge vorzuweisen?

R.B.: Bei der Naturinitiative bin ich Mitglied des Initiativkomitees, kann nun aber ‹nur› noch den Abstimmungskampf aus der Nähe miterleben. Doch ich habe seit 2004 gelernt, zu Themen, die mir wichtig sind, entweder eine Volksinitiative zu machen – oder es ganz bleiben zu lassen. Alles andere, seien es Vorstösse zum Budget oder parlamentarische Initiativen, endet normalerweise damit, dass man aufs Dach bekommt. Also müssen wir es halt mit Volksinitiativen versuchen.

 

K.S.: Mein letztes Postulat zum Thema «Foodwaste verringern» haben Sonja Gehrig von der GLP und Elisabeth Pflugshaupt von der SVP mitunterzeichnet. Als es im Rat um die Überweisung ging, verlangte jemand aus der SVP plötzlich eine Diskussion. Das macht normalerweise keine Fraktion, wenn eines ihrer Mitglieder einen Vorstoss mitunterzeichnet hat. Andererseits war aber klar, dass die SVP sicher nichts zusammen mit mir einreichen kann… Also gab es ein Hin und Her im Rat, fast wäre es zu einer Spaltung der SVP gekommen (lacht), doch schliesslich wurde mein Vorstoss ohne Diskussion überwiesen.

 

Für Projekte wie die Naturinitiative oder das Postulat gegen Foodwaste stehen die Chancen zurzeit besser als auch schon?

R.B.: Ja, wir haben einen guten Moment erwischt. Würde jetzt über die Naturinitiative abgestimmt, würden wir wohl gewinnen. Andererseits haben wir schon oft gedacht, der Moment sei günstig – und kurze Zeit später sah alles wieder anders aus.

 

Welcher Misserfolg hat Sie am meisten geärgert?

R.B.: Die Umsetzungsvorlage zur Kulturlandinitiative war eine Katastrophe. Wir hatten viel dafür gearbeitet, auch die Zusammenarbeit mit dem Bauernverband war gut. Und dann zog uns die Baudirektion mit einer Vorlage über den Tisch, die offenbarte, dass die Regierung nie auch nur ansatzweise daran gedacht hat, eine Vorlage im Sinne der InitiantInnen zu machen. Die Quintessenz dessen, was sie uns präsentierte, lautete, «wir setzen nichts um, weil wir nichts umsetzen wollen». Das war der tiefste Tiefpunkt, den ich im Kantonsrat erlebt habe.

 

K.S.: Ich kann mich an kein derart einschneidendes Erlebnis erinnern, aber was mich frustriert hat, war die Tendenz, dass sich sowohl in der Sozial- wie auch der Asylpolitik immer mehr die Hardliner durchsetzten – und dass die Regierung dies mitgetragen hat. Zürich geht es gut genug, wir haben es nicht nötig, dort zu sparen, aber die Hardliner haben stets neue Vorstösse durchgebracht, welche die Lage der Betroffenen immer noch prekärer machten.

 

R.B.: Das vertrage auch ich immer schlechter. Und die ständigen Zwischenrufe des SVP-lers Claudio Schmid muss ich nicht mehr haben. Wer Politik machen will, muss die Menschen gern haben, und das trifft auf Claudio Schmid nicht zu.

 

K.S.: Das sehe ich gleich, zumal solche Interventionen in letzter Zeit zugenommen haben.

 

R.B.: Würde sich eine oder einer von uns so benehmen, würden wir das in der Fraktion thematisieren. Aber in der SVP-Fraktion geniesst Claudio Schmid offensichtlich die Freiheit, sich so zu benehmen, wie es ihm passt. Eine Elisabeth Pflugshaupt hingegen ist auch in der SVP, aber sie hat die Menschen gern.

 

Kommen wir zum Ausblick: Was fangen Sie nach dem 10. Februar mit der vielen freien Zeit an?

R.B.: Ich reduziere mein Arbeitspensum von 140 auf 100 Prozent (lacht). Oder zumindest sitze ich dann nicht mehr den ganzen Samstag und Sonntag im Büro, sondern nur noch am Samstag. Ansonsten bin ich weiterhin Präsident des Natur- und Vogelschutzvereins Steinmaur, und ich freue mich darauf, mehr Zeit für meinen grossen Garten zu haben.

 

K.S.: Ich werde mehr Zeit in meine Arbeit investieren können und freue mich, nicht mehr so viele Sonntage mit der Vorbereitung auf die Kantonsratssitzung beschäftigt zu sein.

 

Und sobald Sie den reduzierten Stundenplan genügend genossen haben, stellen Sie sich fürs nächste Amt zur Verfügung?

R.B. Sicher nicht. Ich habe zwar zwei, drei Angebote bekommen, die ich mir vor fünfzehn Jahren sicher näher angeschaut hätte, doch unterdessen habe ich meinen Teil beigetragen und brauche kein weiteres Amt.

 

K.S.: Ich lasse diesbezüglich alles offen. Aber grundsätzlich steht jetzt bei den Grünen die kommende Generation gut parat, und es besteht sicher kein Bedarf nach SesselkleberInnen.

 

R.B.: Ich möchte noch anfügen, dass mir das P.S. in diesen 16 Jahren immer eine Stütze war, auch wenn ich ab und zu «Roland Brunner» genannt wurde (lacht). Ich werde mein Abo sicher behalten und hoffe, dass das P.S. künftig mehr AbonnentInnen bekommt.

 

K.S.: Das war ein schönes Schlusswort, Röbi, dem schliesse ich mich an.

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