Eine grosse Ermöglicherin

Die letzte Woche überraschend verstorbene Annette Ringier war in doppelter Hinsicht im zeitgenössischen Zürcher Tanz (seit der Gründung dieser Zeitung) immer schon da: Als physisch anwesende, sehr interessierte Beobachterin von noch so kleinen Showings und als körperloser Begriff einer grosszügigen Förderin und Mäzenin. Viele im Tanz aktive Menschen vermochten die kleine, zurückhaltende Frau mit den neugierigen Augen und dem grossen Namen mit dem dahinter vermuteten Geld nicht zusammenzubringen. Um sich selber machte sie keinerlei Aufhebens.

 

Ich hatte das Glück, bei unserem Kennenlernen – «Hoi, ich bin d’Annette» – diese Verknüpfung zuerst auch nicht herstellen zu können, was ein völlig unverkrampftes Fachsimpeln darüber, welche Compagnie momentan grad als die interessanteste eingeschätzt werde (sie: «Cie. 7273» damals) ermöglichte. War das Eis einmal gebrochen, verblasste der potenziell Ehrfurcht einflössende Name hinter der Person, die sich nicht nur aufrichtig und langfristig in einer Vielzahl von Nischen für den zeitgenössischen Tanz einsetzte, sondern als Gegenüber auch eine erfrischend lustige Gesprächspartnerin war. So etwa im Zug zurück aus Winterthur, als sie mich ihrer Mitreisenden vorstellte: «Das ist mein Lieblingskritiker. (…) So viele gibts ja auch gar nicht mehr.» Allgemeines Gelächter.

 

Ihr Engagement einer Vielzahl von im Tanz tätigen Menschen in herzlicher und einer noch grösseren Anzahl von Initiativen in finanzieller Verbundenheit gegenüber kann in der Wirkung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Als Wolfgang Brunner selig 1988 die Idee hatte, dem Tanz die Zeitschrift «Tanz der Dinge» zu widmen, damit diese flüchtige Kunst eine grössere Verbreitung und eine tiefere Auseinandersetzung findet, war sie unterstützend dabei. Als das audiovisuelle Erbe in einer Mediathek Tanz professionell archiviert werden sollte, war sie unterstützend dabei. Der erste Tanz- und Choreographiepreis überhaupt in der Schweiz hat sie in den ersten zehn Jahren – auf Anhieb auf diese Dauer angelegt – ausgerichtet, sich aber aus jeglicher Jurierung vornehm rausgehalten.

 

Für die theoretische Einordnung von Tanz als eigenständiger Kunst förderte sie internationale Kolloquien, für die Erweiterung des Tätigkeitsfeldes auf die ganze Schweiz, der bis dahin auf die Romandie beschränkten Stiftung zur Umschulung von Darstellenden Künstlern, bot sie Hand. Mit ihrer im Jahr 2002 gegründeten Dachstifung Corymbo, worunter der nach ihr benannte Fonds für den Tanz vorbehalten war, institutionalisierte sie ihre Fördertätigkeit, löste ihre Unterstützung also von sich als Person. Dieser Teil der Corymbo-Stiftung fördert primär die Diffusion (Verbreitung/Auswertung) von Tanz, namentlich in der Unterstützung von schweizweit etwa fünfzehn Tanzfestivals und zahllosen Compagnie-Tournéen, Vernetzungsinitiativen wie die Tanzlobby Zürich und vieles mehr.

 

Wie wenn das nicht schon genügte, förderte sie daneben privat einzelne Künstlerinnen und dies, wie sie das immer tat, wenn sie von einer Idee überzeugt war, über eine ihr als annähernd ausreichend eingeschätzte Dauer, damit ihr Engagement auch die entsprechende Wirkung erzielen konnte. Ebendiese Wirkung ist vergleichbar mit der Breite ihres Engagements kaum vollständig bezifferbar und das meint explizit sehr viel mehr als Geld allein. Annette Ringier war eine grosse Ermöglicherin, die den zu erzielenden Zweck immer sehr viel höher gewichtete, als irgend ein Auftritt im Scheinwerferlicht. Als der Bund ihren Tanzpreis ‹übernahm› und sie und ihre Vorarbeit mit keiner Silbe erwähnte, quittierte sie trocken und mit Grossmut: «Es geht um die Sache, nicht um mich.» Ja, Annette Ringier war eine Drittelseignerin des grössten Schweizer Verlages, aber ihre Hingabe zum zeitgenössischen Tanz und den TänzerInnen fusste auf einer aufrichtigen Begeisterung und einem ehrlichen Interesse. Die Förderung war ihr ein Herzensanliegen. Merci, Adieu!

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