Wer setzt die Klimawende unter Termindruck um?

In der Elektro- und in der Gebäudetechnikbranche werden gerade zwei neue GAV ausgehandelt. Die Arbeitsbedingungen auf dem Bau sind schlecht, die Löhne zu tief, klagen die Gewerkschaften. Das wirft die Frage auf: Wer installiert, was wir zur Klimawende brauchen, wenn viele Fachkräfte den Job verlassen?

Am 7. Oktober gingen rund 1200 Menschen in Zürich auf die Strasse und forderten mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen in der Elektro- und Gebäudetechnikbranche. Bereits im Rahmen der Verhandlung für einen neuen Landesmantelvertrag waren ähnliche Forderungen zu hören. Dieses weitere Beispiel von Unzufriedenheit der Arbeiter:innen auf dem Bau bringt Implikationen mit sich, und sie sind alarmierend. Denn ohne Zufriedenheit auf der Baustelle könnten die baupolitischen Ziele, die wir uns stecken, verfehlt werden. Oder anders: Wärmepumpen und Solarpanels sind schön und gut – solange die Fachkräfte vorhanden sind, die sie installieren. Wie lange sie das noch tun, wenn sich nichts verändert bezüglich Zeitdruck, Lohn, Überstundenkompensation oder Frühpensionierungslösungen, ist eine andere Frage. 

Den letzten GAV hatten die Gewerkschaften 2020 ausgehandelt, in der Gebäudetechnik hatte das zum Beispiel eine Lohnerhöhung von einem Prozent zur Folge, bei den Elektriker:innen gab es etwa Zuschläge am Wochenende oder in der Nacht. Das hat offensichtlich nicht gereicht, um entscheidende Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen zu bewirken. Das Hauptproblem im Arbeitsalltag auf dem Bau ist weiterhin der Zeitdruck. Domenica Priore ist Sanitärinstallateurin und arbeitet seit 38 Jahren auf dem Beruf. Die Probleme sind für sie keine neuen – aber sie haben sich stetig verschlimmert: «Als ich in der Lehre war, hatte ich noch Zeit, meine Arbeit sauber zu machen. Heute ist es nur ein Gerenne. Heute kommst du am Abend heim, du hast vielleicht Familie, willst noch etwas unternehmen, aber du kannst einfach nicht mehr.» Viele hätten mittlerweile eine zweite Arbeitsstelle suchen müssen, um die Familie zu unterstützen. Minimale Zugeständnisse für besseren Lohn sind dabei nur ein Tropfen auf den heissen Stein – und überhaupt: «Wann haben wir den letzten Teuerungsausgleich bekommen? Nie – und die Inflation galoppiert», so Priore weiter. Elektroinstallateur:innen mit EFZ verdienen nach bisherigem GAV 4500 Franken Mindestlohn, bei der Gebäudetechnik ist ein Mindestlohn mit EFZ im 3. Jahr nach Lehrabschluss mit 4300 Franken verzeichnet. Die Arbeitgeberverbände sind derweil damit beschäftigt, zum Beispiel gegenüber ‹cash.ch› zu erklären, die Lohnverhandlungen seien unter Dach und Fach – eine Behauptung, die Dimitri Aich von der Unia, relativiert. Das sei nicht der Fall, die Verhandlungen dauern an. 

Nicht nur der Lohn als Problem

Aber es geht nicht nur um die Vergütung, sondern um grundlegende Verbesserungen der Arbeitsbedingungen. Domenica Priore plädiert für eine langfristige Sicht: Die Probleme seien zwar durchaus bekannt, aber was selten diskutiert werde, sind die Konsequenzen. Denn eine qualifizierte Fachperson in dieser Branche hat heute viele Gründe, den Job zu schmeissen: Wenn nicht wegen den Arbeitsbedingungen, dann zum Beispiel wegen deren Folgen. Zum Beispiel für den Körper. Gesundheitliche Probleme plagen diejenigen, die in Pension gegangen sind – ganz abgesehen von den Burnouts gebe es gravierende körperliche Konsequenzen des Arbeitsalltags: «Von den Kolleg:innen, die in Pension gegangen sind, mussten gefühlte 90 Prozent mittlerweile ein künstliches Hüftgelenk einsetzen lassen – weil die Knorpel durch sind, die Hüftpfanne ausgeleiert ist», so die Sanitärinstallateurin. Die gesundheitlichen Folgen der Arbeit auf der Baustelle stehen in Verbindung mit dem Zeitdruck. Dieser wiederum entstehe meist durch unrealistische Planung, was zu schlechteren Arbeitsbedingungen und Stress führt, wenn zum Beispiel bei der Zeit gespart wird, die ein Bau in Anspruch nimmt. Der Fachkräftemangel verschlimmere die Situation weiter. 

Silvan Röthlisberger ist Elektriker und arbeitet seit seinem Lehrabschluss 2005 auf dem Beruf. Auch er und seine Kolleg:innen kennen dieselben Probleme sehr gut. Er veranschaulicht den Zeitdruck an einem Beispiel: «Der Bauleiter ruft an und sagt, heute sei der Maurer da, die Mauer stehe am Abend – ich solle doch morgen alles Elektrische verlegen, weil der Grundputz übermorgen gemacht wird. Eine Mauer braucht aber zwei Tage, bis sie ausgehärtet ist. Wenn ich die Mauer zu früh bearbeite, fällt sie zusammen.»  Und auch wenn Bauchemie beigemischt wird, abgesehen davon, dass die Bausubstanz darunter leide, seien die Trocknungszeiten noch immer vom Material abhängig. Um die Probleme weiss man auf dem Bau – es scheitert aber am Gehör von oben, da sind sich Domenica Priore und Silvan Röthlisberger einig. Das führt nicht nur zu Unzufriedenheit bei den Arbeiter:innen, sondern auch bei den Kund:innen der Bauunternehmen: «So verzögern sich Bauprojekte. Man verspricht den Kund:innen, ein Haus innert sechs Monaten hinzuzaubern. Eigentlich bräuchte man aber ein Jahr», so Silvan Röthlisberger. Die Teuerung spielt hier wieder eine Rolle, denn sie bringt starke Preisfluktuationen zum Beispiel bei den Rohstoffen mit sich. Wenn sich also ein Bau verzögert, widerspiegelt sich das nicht nur in höheren Kosten, weil die Arbeit länger geht, somit mehr Löhne gezahlt werden müssen, sondern auch die Baumaterialkosten können massiv in die Höhe schnellen. Die Schuld sieht der Elektriker oft bei der planerischen Leitung der Bauprojekte – und bemerkt eine starke Veränderung zwischen Architekt:innen alter und neuer Schule. Das Hauptproblem sei, dass die Hochschulabgänger:innen von heute selten praktische Erfahrung auf dem Bau sammeln – und was in der Theorie vielleicht funktioniert, werde als Fakt genommen und auf allfällige Komplexitäten und Verzögerungen im Bau, also in der Praxis, kann nur noch schlecht reagiert werden. Zudem gelangt zu wenig Information zum Projekt genug früh zu den «Buden» – und auch wenn sie sich untereinander besprechen, sind die effektiven Zeitpläne seitens Bauherrschaft dann doch viel straffer gefasst, als realistisch möglich. Ein Problem, das vielleicht von einer Demokratisierung im Ablauf profitieren würde, momentan aber die Arbeiter:innen auf der Baustelle aussen vor lässt – zugunsten von zumindest planerischer Effizienz. Respektive Profit – oder in den Worten von Domenica Priore: «Man wirtschaftet nach dem Motto: Solange ich hier bin, sahne ich ab und nach mir die Sintflut. Ich glaube aber das ist ein branchenübergreifendes Problem.»

Zukunftsfragen

Doch was macht das mit der Branche? Und was heisst das für die Zukunft auf der Baustelle? Ob in der Gebäudetechnik oder bei den Elektriker:innen, der Frage nach dem Nachwuchs wird mit Ernüchterung entgegnet. Domenica Priori fragt gleich zurück: «Welcher Nachwuchs? Diejenigen, die heute die Lehre durchziehen, wechseln in andere Berufe, weil sie nicht das ganze Leben so arbeiten wollen. Und das verstehe ich sehr gut. Und ich merke das auch. Ich bin 56 Jahre alt – so kann ich nicht weiterarbeiten.» Auch bei Silvan Röthlisberger klingt es ähnlich, die meisten Lehrabgänger:innen verlassen nach zwei-drei Jahren auf dem Beruf die Branche. Somit müssen Fachkräfte aus dem Ausland auf die Baustelle geholt werden, was die momentane Situation vielleicht lindert, nicht aber die Zukunft einer der wichtigsten Branchen für eine Gesellschaft, die wächst, eine Stadtplanung, die verdichtet, und eine Politik, die nachhaltige Umbauten will. Ohne gute Arbeitsbedingungen kein Nachwuchs – ohne Nachwuchs niemand, der den Personalmangel ausgleichen kann – ohne Personal keine Baustellen. Und damit auch keine Klimawende. Das vielleicht interessanteste Argument der Unia-Demonstration war «Ohne uns keine Klimawende». Was haben schlechte Arbeitsbedingungen mit Netto-Null & Co. zu tun? 

Silvan Röthlisberger erklärt: «Das grosse Problem ist, wenn man schlechte Arbeitsbedingungen hat, dann hat man irgendwann auch keine Arbeiter:innen mehr, die den Beruf machen wollen. Wir wollen derweil aber Solarpanels auf Dächern und Wärmepumpen installieren – wer soll das in zehn Jahren machen? Da ist es auch egal, ob der Personalmangel die Stromer, die Gebäudetechnik oder die Dachdeckerinnen betrifft. Wie stark wird das berücksichtigt?» Bei EIT.swiss, dem Berufsverband der Elektriker:innen, der übrigens auch am Verhandlungstisch mit der Unia sitzt, findet sich ein Positionspapier zum Fachkräftemangel: Darin wird erklärt, man wolle die Bildung verstärken, das Fachkräftepotenzial der Frauen nutzen sowie ältere Arbeitnehmer:innen länger im Beruf halten. Kein Wort also von den Arbeitsbedingungen – lediglich vielleicht, jegliche Regelungen, die die Personalpolitik der Unternehmen einschränken, würden abgelehnt. Ob das reicht, um die Motivation wieder zurückzubringen? 

Domenica Priore ist der Meinung: «Es bräuchte deutliche Verbesserungen, dass die Leute wieder zuversichtlich sind, und dass überhaupt Leute wieder für den Beruf begeistert werden können.» Einige Unternehmen hätten das begriffen, und von sich aus für bessere Arbeitsbedingungen gesorgt – die Norm seit das aber keineswegs. Die Unia hält auch nicht allzu viel von der PR-Strategie der Verbände: «Anstatt Unsummen in hollywoodreife Marketingkampagnen zu investieren, um junge Menschen für ihren Beruf zu gewinnen, sollten die Arbeitgeberverbände besser der Realität ins Auge sehen: Nur eine Aufwertung der Löhne und Arbeitsbedingungen wird in der Lage sein, junge Menschen anzuziehen, ihnen gute Ausbildungsbedingungen zu bieten und qualifizierte Arbeitnehmer:innen in ihrer Branche zu halten. Die Stromer:innen und die Gebäudetechniker:innen sind sich der Rolle bewusst und stolz, die sie für die gesamte Bevölkerung spielen, indem sie entscheidend an der Energiewende mitwirken. Andererseits lehnen sie es ab, dass diese auf ihrem Rücken ausgetragen wird», so Yannick Egger, Sektor Gewerbe bei der Unia. 

Bald genug Streikgründe?

In der Waadt hat man derweil die Verbesserung der Arbeitsbedingungen selbst in die Hand genommen – mit Erfolg. Nach dreitägigem Streik und Grossmobilisierung der Gewerkschaften wurde ein kantonaler GAV ausgearbeitet, der deutliche Verbesserungen festsetzte. Das hat auch hier Hoffnungen geweckt. Man ist zwar noch nicht am Punkt, an dem ein Streik eine weit verbreitete Idee wäre – aber um die Effektivität ist man sich bewusst. Das Problem sei, dass es auch an Vertrauen in die Gewerkschaften fehlt – «auf dem Bau hat man nicht verstanden, dass die Unia ohne Rückhalt auch keinen Druck aufbauen kann», so Domenica Priore. «Die Vernetzung ist auch ein Problem. Man will nicht allein streiken. Jeder sagt sich: Wenn ich das allein mache, dann verliere ich meinen Job. Deshalb muss es auch von einer Gewerkschaft geregelt werden, dass es gar keine Möglichkeit gibt für Kündigungen.» 

Die Frage ist, ob minimale Zugeständnisse der Arbeitgeberverbände auch dieses Mal genug besänftigen, dass die Unzufriedenheit nicht überschwappt. Auch ist fraglich, ob es wirklich intelligent ist, einen der wichtigsten Sektoren insbesondere für die städtische Bevölkerung aus Profitinteressen so zu handhaben, dass die Fachkräfte, für die man viel Zeit für deren Ausbildung investiert hat, direkt danach wieder abwandern. Die Stromer:innen und Gebäudetechniker:innen warten derweil auf einen GAV, der wenigstens ein bisschen Entlastung bringt – und auch wenn, sind es erst zwei Berufe. Im Gerüstbau sammelt die Unia gerade per Umfrage, was in den GAV-Verhandlungen dort oben auf die Prioritätenliste soll. Die Stichwörter sind übrigens dieselben wie hier: Termindruck, Unfälle, Fachkräftemangel und Teuerung.

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