«Betreutes Wohnen ist primär für wohlhabende Menschen realisierbar»

Alte Menschen wohnen häufig allein oder zu zweit und sind damit zufrieden. Damit sie im Bedarfsfall angemessen betreut werden, sind über die vergangenen Jahre alternative Wohnformen diskutiert worden. Der Altersforscher François Höpflinger erklärt im Gespräch mit Angela Bernetta deren Vor- und Nachteile.

François Höpflinger*, wie möchten Sie im Alter wohnen?

Solange man gesund ist, ist auch für mich selbstständiges Wohnen in einer attraktiven Region mit viel Grün, Einkaufsläden in der Nähe und guten Verkehrsverbindungen das Ideal. Im hohen Lebensalter wäre eine betreute Pflegewohnform, etwa eine individuell gestaltbare kleine Pflegewohnung mit Anbindung an Serviceleistungen wie Notrufdienst, Mahlzeitendienst, Wäscherei mein Ideal. 

Ein Klischee über die Wohnsituation hochbetagter Menschen lautet: Weiblich, alt, arm und allein. Inwieweit entspricht das der Realität?

Das Alter ist tatsächlich weiblich, in dem Sinne, dass Frauen im hohen Lebensalter in der Mehrheit sind. Einfach, weil sie länger leben als Männer. Alt und arm ist nur noch bedingt real. Alte Menschen sind heute nicht häufiger arm als jüngere Menschen. Wenn Menschen im Alter arm sind, hat dies weniger mit dem Alt-sein an sich zu tun, sondern mit schulisch-beruflichen Nachteilen in früheren Lebensjahren – wenig Lohn ergibt geringe Renten. Da Frauen beruflich benachteiligt wurden und immer noch werden, sind sie im Alter viel häufiger arm als Männer. Mit zunehmendem Alter leben mehr Menschen – und hier ebenfalls vor allem Frauen – allein, das heisst in einem Einpersonen-Haushalt. Alleinlebende im Alter haben ein höheres Einsamkeitsrisiko. Erstaunlich ist aber auch, dass viele alleinstehende Frauen sozial gut vernetzt sind. Alleinsein und Einsamkeit im Alter ist nur locker verbunden. Einige Frauen klagen auch über Einsamkeit in der Paarbeziehung.

Wie hat sich das Wohnen im Alter über die Zeit verändert?

Früher wohnten ältere Menschen häufiger in grösseren Haushalten, etwa zusammen im gleichen Bauernhaus mit den Kindern und Enkelkindern, aber auch öfters als Untermieter:innen bei fremden Personen. Die Wohnverhältnisse waren oft eng, für jung und alt. Alte Menschen, die verarmten, mussten früher in ein Bürger- bzw. Armenhaus ihrer Bürgergemeinde umziehen, wo sie strengen Hausordnungen unterworfen waren. Die letzten zwanzig Jahre haben den Trend zu einem individualisierten Wohnen in Ein- oder Zwei-Personen-Haushalten klar verstärkt. Heute ist der Anteil der alten Menschen, die in einer überbelegten Wohnung leben, gering. Zunehmend mehr alte Menschen leben lange selbstständig zuhause und werden ambulant betreut. Der Anteil der alten Menschen, die in einer Alters- und Pflegeeinrichtung wohnen, ist gesunken und wird weiter sinken.

Welche alternativen Wohnformen im Alter gibt es?

In den letzten Jahrzehnten wurden drei alternative Wohnformen im Alter vermehrt diskutiert, wenn auch nur teilweise realisiert: Erstens gewann die Idee einer Alterswohn- und Altershausgemeinschaft an Bedeutung, zweitens erhielten generationengemischte Wohnformen eine neue Aktualität und drittens werden vermehrt betreute Wohnformen, also Wohnen mit Service, propagiert und realisiert. 

Welche Vor- und Nachteile haben Alterswohn- und Altershausgemeinschaften?

Durch gemeinschaftliches Wohnen im Alter kann Einsamkeit vermieden werden. Funktionale Einschränkungen lassen sich besser bewältigen, wenn sich Personen im Alltagsleben gegenseitig unterstützen können. Zusätzlich kann man durch gemeinschaftliche Wohnformen die Wohnkosten pro Person reduzieren. Gemeinschaftliches Wohnen kann somit Lebensqualität erhöhen und Lebenskosten reduzieren. Nachteile gibt es keine, aber gemeinschaftliches Leben setzt hohe soziale Kompetenzen und das Zurückstellen seiner eigenen individuellen Interessen voraus. Deshalb haben sich solche Wohnformen am ehesten bei Frauen und Männern aus sozialen Berufen durchgesetzt.

Was versteht man unter generationendurchmischtem Wohnen?

Generationengemischtes Wohnen kombiniert Familienwohnungen und Kleinwohnungen für junge Alleinstehende oder ältere Personen. In einigen Fällen enthalten solche Projekte auch Pflegewohngruppen sowie Kindertagestätten, Cafés usw. Es geht darum, dass Jung und Alt Platz haben und damit der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt wird.

Inwieweit werten Mehrgenerationenhäuser und/oder generationengemischte Wohnsiedlungen mit altersgerechten Wohnungen, das Leben im Alter auf?

Viele, wenn auch nicht alle ältere Menschen erleben es positiv, wenn sie auch nachbarschaftliche Kontakte mit jungen Menschen oder jungen Familien haben. Sie erfahren damit neue gesellschaftliche Entwicklungen und können am Leben anderer Generationen teilnehmen. Nur immer unter Gleichaltrigen zu leben, wird oft langweilig. Alte Menschen mit guten Kontakten zu jüngeren haben mit neuen Trends wie etwa digitalem Leben weniger Probleme. Auf der Gegenseite kann es für junge Eltern entlastend sein, wenn tagsüber pensionierte Frauen und Männer im Haus sind, die sich zeitweise bei der Kinderbetreuung engagieren.

Was alles umfasst betreutes Wohnen, also Wohnen mit Service, welche Vor- und Nachteile gibt es und ist das bezahlbar?

Betreutes Wohnen kombiniert Individualität, also eine eigene altersgerechte Kleinwohnung, mit guter ambulanter Versorgung. Betreutes Wohnen ist vor allem von Vorteil, wenn alte Menschen schon an gesundheitlichen und funktionalen Einschränkungen leiden. Wichtig sind dann etwa Putzdienste, Mahlzeitendienste, aber auch ein 24-stündiges Notrufsystem, teilweise auch Transportdienste usw. Nachteile gibt es keine. Das grosse Thema ist allerdings die Bezahlbarkeit: Je mehr Serviceleistungen angeboten werden, desto teurer wird es, da diese Serviceleistungen privat zu bezahlen sind. Betreutes Wohnen ist momentan primär für wohlhabendere Menschen realisierbar. Einkommensschwächere Personen müssen häufiger in eine Alterseinrichtung wechseln, wo zwar die Versorgungssicherheit hoch, aber die individuelle Selbstständigkeit teilweise eingeschränkt ist.

Was spricht für, was gegen einen Aufenthalt in einem Alters- und Pflegeheim?

Für einen Aufenthalt in einem Alters- und Pflegeheim spricht einiges: Man wird gut um- und versorgt in einer altersangepassten Struktur. Es ergeben sich Möglichkeiten für neue Kontakte. Man ist nicht mehr allein, sondern lebt mit anderen Menschen zusammen. Nachteile sind: eingeschränkter Wohnraum, oft nur ein Pflegezimmer, das man nur bedingt selbst möblieren kann, man lebt nur unter «alten Menschen». Wahlmöglichkeiten und Pflegequalität variieren je nach Heim. Es gibt Heime, die stark auf die Wahlmöglichkeiten der Bewohner:innen achten, und andere Heime, di­e striktere Hausordnungen haben.

Welche Wohnformen gibt es für alte Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen, die nicht mehr selbstständig leben können und in kein Alters- oder Pflegeheim wollen?

Hier existieren grosse Lücken, da für Menschen mit speziellen Bedürfnissen wie etwa ältere MS-Patienten:innen, ältere Suchtkranke usw. kaum angepasste Wohnformen existieren. Erst in einigen Gemeinden werden Pflegewohngruppen für spezifische Bedürfnisse angeboten. Das Gleiche gilt auch für ältere Migranten:innen, wo sich etwa mediterrane Pflegeabteilungen für betagte Südeuropäer:innen als durchaus erfolgreich erwiesen haben.

Viele Städte und Gemeinden erstellen Altersleitbilder, die auch das Wohnen im Alter thematisieren. Finden Sie das zielführend oder braucht es zusätzliche Bemühungen?

Die Fortschritte beim Wohnen im Alter variieren regional stark. Hauptproblem für viele Städte und Gemeinden sind die steigenden Grundstücks- und Immobilienpreise, die beispielsweise verhindern, dass man kostengünstige Alterswohnungen an zentraler Lage anbieten kann. Mangelhaft ist oft auch die Wohnberatung und Wohnassistenz im Alter. Was sich in den letzten Jahren verbessert hat, wenn auch nicht überall, ist die Vernetzung von ambulanter und stationärer Altersversorgung in den Gemeinden beziehungsweise Regionen.

* Der Altersforscher François Höpflinger ist emeritierter Soziologieprofessor der Universität Zürich.

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