Wem ist Erinnerungskultur wichtig?

Acht Bisherige und neun Neue möchten am 13. Februar 2022 einen der neun Zürcher Stadtratssitze erobern. Wer sind diese Frauen und Männer, wie ticken sie? P.S. will es wissen – und befragt jede Woche ein Mitglied des Stadtrats und einen neuen Kandidaten/eine neue Kandidatin in separat geführten Interviews zum selben Thema. Diese Woche nehmen Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) und Sonja Rueff-Frenkel (FDP) im Gespräch mit Nicole Soland Stellung zum Thema Erinnerungskultur.

 

Was für eine Erinnerungskultur braucht die Stadt Zürich, und mit welchen Themen muss sie sich befassen?

Sonja Rueff-Frenkel: Die Stadt Zürich braucht eine unverkrampfte Erinnerungskultur: Nur wer die Vergangenheit kennt und sich mit ihr ernsthaft auseinandersetzt, kann auch zielgerichtet in die Zukunft schreiten. Wichtig ist mir, dass dies vorurteilsfrei passiert – auch dort, wo sich die politische Mehrheit selber mit Fragen ins Spiel bringt.

 

Halten Sie die Entfernung oder Überdeckung der «Mohrenkopf»-Inschriften in der Zürcher Altstadt für gerechtfertigt?

Nein, dies bedeutet, unsere Vergangenheit zu überdecken, statt uns aktiv damit auseinanderzusetzen. Ich wünschte mir deshalb prominent platzierte Infotafeln, die den historischen Kontext beschreiben, in dem die Inschriften entstanden sind. Wir müssen die Betroffenen miteinbeziehen und nicht über ihr Befinden entscheiden. Sonst machen wir den gleichen Fehler zweimal. Behauptungen, dass heutzutage ja niemand mehr das Wort «Mohr» negativ besetzt gebrauche und es deshalb auch nicht rassistisch gemeint sei, sind völlig deplatziert. Damit würden wir diese Menschen ein zweites Mal diskriminieren. Da braucht es viel Fingerspitzengefühl und kein vorschnelles Handeln.

 

War es ein Fehler, die Sammlung Bührle ins neue Kunsthaus zu integrieren?

Die Bilder können nichts dafür. Es ist gut, dass sie öffentlich zugänglich sind. Doch wir haben uns vor zehn Jahren anlässlich der Abstimmung über den Kunsthaus-Erweiterungsbau zu sehr blenden lassen: Wir Zürcher wollten uns schmücken, dass geschichtsträchtige Werke in Zürich prominent ausgestellt werden, es ging mehr um Standortmarketing als um Kunst. Dabei hätte man schon früher viel gründlichere Nachforschungen anstellen können, und zwar für jedes einzelne Bild. Dass die Fluchtgut-Thematik teils ausgeblendet wurde, war uns zu wenig bewusst. Die jetzigen Diskussionen und die fehlende Einsicht schaden dem Ansehen unserer Stadt. Umso mehr begrüsse ich es, dass eine unabhängige Untersuchung nun auch die Provenienz der Bührle-Sammlung überprüfen soll.

 

Was bringt die halbe Million Franken, die der Gemeinderat zwecks zusätzlicher Aufarbeitung bewilligt hat? Und haben wir danach wirklich Ruhe?

Das Ziel der nun anzupackenden Aufarbeitung muss sein, sie sorgfältig und vor allem politisch neutral und international anerkannt durchzuführen. Gelingt eine solche Untersuchung, dann bleibt uns eine Kunstsammlung ohne Nebengeräusche. 

 

Was haben wir davon, wenn wir Sie in den Stadtrat wählen?

Ich bin eine liberale Politikerin mit sozialer Ader und widme mich meinen Aufgaben vorurteilsfrei, unideologisch und aus weiblicher Sicht. Minderheitenthemen sind mir persönlich eine Herzensangelegenheit. Zudem bringe ich meine Perspektive als Kantonspolitikerin ein: Mit Blick auf die aktuelle Zusammensetzung des Stadtrats ist das ein Mehrwert.

 

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