Warum so unordentlich?

Noch selten hat mir ein NZZ-Artikel so aus dem Herzen gesprochen wie jener von Benedict Neff, «Wie Medien die Lage der Ukraine schönschreiben», vom letzten Freitag. Dabei interessierte mich die Medienanalyse wenig, wohl aber die Nüchternheit, mit der er die militärische Situation in der Ukraine schildert und bei aller Sympathie zu den Angegriffenen in Betracht zieht, dass der Krieg für die Ukraine auch schlecht ausgehen könnte. Er negiert keineswegs die Verluste Russlands, er würdigt auch die Erfolge des ukrainischen Widerstandes, aber er sieht auch die aktuellen russischen Erfolge und vor allem betont er, dass die russische Armee noch längst nicht geschlagen ist, so gerne wir und unsere Medien dies auch sähen. Dazu einen eigenen Gedanken: Es mag sein, dass die Moral der russischen Soldaten schlecht ist. Nur haben sie kaum eine Alternative zum Weiterkämpfen. Eine Rückkehr als Gefangene oder Deserteure bekommt ihnen mit grosser Sicherheit schlecht.

 

Die Medien interessieren mich wenig, wohl aber die Politik, die sie abbilden. Insofern würde ich als Titel für mich schreiben: «Wie die Schweizer Parteien und PolitikerInnen den Ukrainekrieg für ihre Präsentation nutzen und wenig an Lösungen interessiert sind.» Der grösste gemeinsame Nenner besteht darin, dass der Bundesrat alles falsch macht und man Vorschläge präsentiert, die die eigene Anhängerschaft ansprechen und wenig Aussichten auf eine Mehrheit besitzen. Auch wenn ein berechtigter Kern darin steckt.

 

In der Ukraine findet der erste konventionelle Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg statt: Ein Land überfällt ein anderes mit Panzern und Raketen, das sich seinerseits wehrt. Es sind auch in anderen europäischen Ländern Entwicklungen denkbar, wie sie in Russland mit Putin stattfanden. Damit erhält die militärische Sicherheit möglicherweise wieder einen höheren Stellenwert, was auch im Budget seinen Niederschlag finden kann. Aber einfach zwei Milliarden mehr (immerhin nicht mehr auf einen Chlapf) verlangen, wie dies vor allem SVP und FDP tun, polarisiert vor allem und nützt militärisch ohne strategisches Nachdenken so wenig wie ein paar F-35 mehr oder etwas schneller. Womit ich mit keinem Wort gesagt habe, das Beharren auf der Volksinitiative sei klug. Die SP verlangt ein rigoroses Vorgehen gegen die russischen Oligarchen. Natürlich ist dies als ein Mosaikstein berechtigt, zumal es zutrifft, dass sich das Seco bei der Umsetzung der beschlossenen Sanktionen alles andere als arbeitsam erwies. Aber kriegsentscheidend ist es nicht, und zudem gilt Rechtssicherheit auch gegenüber Personen und Unternehmen, die einem nicht passen.

 

Die Grünen wollen russisches Öl und Gas durch alternative Energie ersetzen. Klimapolitisch sinnvoll, aber als Beitrag zum Krieg in der Ukraine nicht einmal eine Diskussionsgrundlage. Viele Punkte holte sich Mitte-Präsident Gerhard Pfister mit der Forderung nach Waffen- oder zumindest Munitionslieferung an die Ukraine. Das Dumme dabei: Es geht um eine Menge, die für einen Kriegseinsatz von gut zehn Minuten reicht. Gerhard Pfister half mit seiner Intervention vor allem sich selber und seiner Partei. Das immerhin halbwegs mit Erfolg: Er gilt derzeit als kompetent: Auch in der Gesundheitspolitik, wo er vor allem leeres Stroh drosch, wenn auch mit viel Lärm und gütiger Hilfe der Krankenkassenverbände.

 

Viel ist auch von Neutralität und Demokratie die Rede. Zur Demokratie eine Anmerkung: Es greift eine Diktatur eine Demokratie an. Ohne es völlig gleichzusetzen: Als die USA im Irak einmarschierten, griff eine Demokratie eine Diktatur an. Entscheidend finde ich – und dies durchaus in beiden Fällen – immer noch den Verstoss gegen das Völkerrecht. Es gibt die SVP-Neutralität, die sagt, wenn ich nur zuschaue, passiert mir nichts. Mit dem Nachteil, dass andere dann auch zuschauen, wenn uns etwas passiert. Dazu kommt das Gerede um die Vermittlung. Diese ist derzeit offensichtlich nicht gefragt, und falls die beiden Nationen miteinander reden wollen, besteht kein Mangel an möglichen Vermittlern.

 

Ich gebe zu, dass es mitunter schwer zu ertragen ist, wenn man handeln möchte und kaum kann. Immerhin nehmen wir bisher die Ukraineflüchtlinge auf, auch wenn der Verteilungskampf langsam beginnt.

 

Der Ukrainekrieg führt zusammen mit Corona und dem sehr expliziten Willen zur Profitmaximierung nicht nur bei Ölkonzernen zu einer Teuerung und in der Schweizer Politik zu einer schlichten Schindluderei, um es sehr direkt zu sagen. Zudem zu einem Staatsverständnis, bei dem mir die Haare zu Berge stehen. Das grosse Glück bisher: Keine Partei will offensichtlich etwas erreichen, sondern sich nur profilieren.

 

Am Montag lehnte der Ständerat alle Forderungen nach billigerem Benzin der Bürgerlichen, insbesondere der SVP immerhin ab. Selbstverständlich hat niemand Freude, wenn er oder sie 20 bis 30 Franken mehr pro Tank bezahlen muss. Diese Preissteigerung (die höheren Transportkosten werden mit der Zeit alle spüren) trifft in erster Linie den Mittelstand auf dem Land und in der Agglomeration. Nur: Gerade viele von ihnen haben sich ihr Leben selbstständig geordnet, ihre Balance zwischen Arbeitsplatz und Wohnort samt Pendeldistanz für sich gefunden, und viele von ihnen erleben nicht den ersten Benzinhochpreis. Und nun soll der Staat auf Milliarden verzichten, obwohl ihr Lebensstandard nicht wirklich gefährdet ist?

 

Von verlangten Steuerabzügen will ich gar nicht reden: Wer davon wirklich profitiert, hat mit einer Teuerung von drei Prozent keine wirklichen Probleme. Aber auch der Vorschlag der Grünen und Linken mit der Pauschalentschädigung (immerhin erst ab fünf Prozent Teuerung) für fast alle ist ein Unsinn, der niemandem wirklich hilft. Ähnlich ist es bei den Mieten. Viele sind zu hoch, aber sie werden nicht relevant besser, wenn man den Heizungszuschlag deckelt. 

 

Zur Erinnerung: Es gibt so etwas wie einen Teuerungsausgleich. Der kommt nicht ganz von alleine, man muss mitunter dafür kämpfen. Mein Vorschlag: Die Gewerkschaften stürzen sich mit so viel Eifer auf den Ausgleich bei den Löhnen, wie sie den Lohnschutz gegen die EU verteidigen. Die Ausgangslage beim heutigen Mangel an Arbeitskräften ist viel besser als im Poker mit der EU. Und die fortschrittlichen Parteien sorgen dafür, dass der Teuerungsausgleich bei den Ergänzungsleistungen und der Sozialhilfe rasch bezahlt wird und der jährliche Betrag bei den Krankenkassenprämien die Teuerung berücksichtigt. Das mag unspektakulär sein, aber es könnte sogar nützen.

 

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