Wahl- und Sachumfragen

Als Parteipräsident liebte ich Meinungsumfragen zu den Wahlen. Wir gaben in den 1990er-Jahren des letzten Jahrhunderts dafür auch relativ viel Geld aus, da erstens die Medien noch kaum welche machten und weil exklusive Ergebnisse einen höheren Stellenwert besassen. Sie bestätigten in der Regel, was die eigene Erfahrung ahnte, deren Konsequenzen man aber mitunter nur gegen Widerstände bei den Eigenen umsetzen konnte. Die Bevorzugung einer Kandidatin bei den Werbemitteln ist wesentlich einfacher zu realisieren, wenn man mit Zahlen zeigen kann, dass die Wiederwahl der beiden anderen ungefährdet ist, während der dritten eine Abwahl droht.

 

Dass bei den Regierungsratswahlen vom kommenden 12. Februar die sieben Wiederkandidierenden in der Pole-position liegen, konnte man auch ohne die gewichteten Wahlumfragen der NZZ und des Tagesanzeigers wissen. Was nichts daran ändert, dass die Umfragen mit ihren unterschiedlichen Ergebnissen einen Einfluss auf den Ausgang haben. Was ich keineswegs als missbräuchlich betrachte. Wahlen werden von vielen Faktoren und AkteurInnen beeinflusst, dazu gehören auch Umfragen. Die NZZ-Umfrage war für alle, die sich spannende Wahlen wünschen, ein arger Dämpfer: Die Bisherigen schaffen es recht problemlos, von den Neuen kann sich im eher unwahrscheinlichen Fall Priska Seiler Graf noch leise Hoffnungen machen. Die ‹Tagi›-Umfrage, einige Wochen später, brachte neues Leben in die Bude. Plötzlich zeichnete sich ein Zweikampf zwischen der amtierenden Bildungsdirektorin Silvia Steiner und Priska Seiler Graf ab, was dazu führte, dass nicht nur Priska Seiler Graf die Fehler der amtierenden Silvia Steiner in den Vordergrund rückte, sondern auch Benno Scherrer und Peter Grünenfelder der Schule eine nahe Katastrophe voraussagten, wenn nicht sie die Direktion in ihre festen Hände nähmen. Bei einer Wahl die Differenzen in den Vordergrund zu rücken, ist ein legitimes Mittel. Ebenso, dass man die Person auch mit zugespitzten Argumenten angreift, deren Wahl am unsichersten ist. Die Umfrage mobilisierte sicher. Die SPler telefonieren noch etwas eifriger, die SVP-Rennleitung bläut den Ihren ein, Silvia Steiner zu wählen, um eine linke Regierung zu verhindern, und die Mitglieder der Mitte rennen noch ein bisschen mehr.

 

Sowohl die NZZ wie der ‹Tages-Anzeiger› kombinierten die Wahlumfrage mit Sachfragen und verbreiten deren Ergebnisse häppchenweise in mitunter recht prominent aufgemachten Artikeln. Selbstverständlich gilt auch für diese beiden Medien das Prinzip «Im Dutzend billiger» und es liegt nahe, im gleichen Atemzug nicht nur nach den Wahlpräferenzen, sondern aktuell zu fragen, wie habt ihr es mit dem Flughafen, dem Tempo 30, dem Bezahlen der Kosten bei unbewilligten Demos oder mit den Sonderklassen. Man weist mitunter durchaus pflichtbewusst darauf hin, dass Befragungen zu einer Sache eine grössere Ungenauigkeit aufweisen.

 

Seriöse Wahlumfragen kommen dem Resultat in der Essenz meist relativ nahe, auch wenn die Abweichungen grösser als die jeweils angegebenen Schwankungen sein können. Das hängt damit zusammen, dass die Stimmberechtigten bei den Wahlen ihre Einstellungen und ihre Prioritäten meist behalten. Wer SP wählte, entscheidet sich das nächste Mal meist wieder für die SP, allenfalls  für die Grünen, die GLP oder die AL, aber kaum für die SVP. Und umgekehrt. Entscheidend ist die Wahlteilnahme und die lässt sich bei Umfragen schwer diagnostizieren.

 

Wahlumfragen werden rasch verifiziert. Am 12. Februar wissen wir, wie nahe die beiden Umfragen der Realität kamen. Ganz erledigt ist die Sache damit allerdings nicht:  In späteren Analysen werden Meinungsumfragen und Wahlresultate oft in einer Reihe aufgegliedert, gleichwertig behandelt und interpretiert, ohne die naheliegendste Interpretation der falschen Ergebnisse der Umfrage in Betracht zu ziehen. Viel lieber spricht man dann von einer unerwarteten Wende.

 

Sachumfragen sind viel heikler, vor allem, wenn man sich politisch darauf abstützt. «Bevölkerung will keinen Ausbau des Zürcher Flughafens», schreibt der Tagesanzeiger gross auf der Front. Er stützt sich dabei auf eine Umfrage und kommentiert sie erst noch. Das könnte vor allem im Hinblick auf die bevorstehende Abstimmung über eine Pistenverlängerung interessieren, sagt aber im Prinzip vor allem aus, dass die Mehrheit mit dem Flughafen derzeit eher zufrieden ist. Wie die Mehrheit sich bei der Pistenverlängerung nach gewalteter Diskussion entscheiden wird, steht noch in den Sternen. Was oft jene PolitikerInnen vergessen, die sich lieber an Stimmungen als an eigenen Überzeugungen orientieren. «Das Volk will es so», höre ich allseits schrecklicherweise immer mehr.

 

In der Bildungspolitik wird die Wiedereinrichtung von Sonderklassen für schwierige Kinder wieder intensiv diskutiert und in Umfragen deutlich befürwortet. Fast nach dem Motto: Gibt es die wieder, beginnen die guten alten Zeiten wieder. Ich war in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts mit Sonderklassen ein aktives Schulpflegemitglied im Schulkreis Limmattal und nach einem langen Unterbruch in den 2010ern mit der integrierten Schule wieder. Die Existenz der Sonderklassen ist bei weitem nicht der grösste Unterschied zwischen den beiden Perioden. Konstant war der Lehrermangel. Entweder fehlten wie heute die LehrerInnen real oder es fehlte am Geld, sie in genügender Anzahl anzustellen. 

 

Dafür existieren drei zentrale Unterschiede: Die heutigen Schulen sind von einer Schulleitung nicht nur auf dem Papier, sondern real geleitet. So wie eine Vorgesetzte ihre SachbearbeiterInnen leitet. Der Unterricht ist im ganzen Schulhaus deutlich einheitlicher und besser koordiniert, in der konkreten Stunde aber viel individueller auf die einzelne Schülerin zugeschnitten. In fast allen Schulhäusern arbeitet kaum mehr eine Lehrperson 100 Prozent. Der oft beschworene Klassenlehrer ist in der Realität meist ein gleichberechtigtes Duo mit Zusatzkräften. Diese Zusatzkräfte besser in den Klassenunterricht (auch, aber nicht nur in Form von Einzelunterricht) zu integrieren und in genügender Menge zu finden, ist die eigentliche Herausforderung, und nicht die Wiedererrichtung von Kleinklassen, die geschlossen wurden, weil sie ihre Ziele bei allem Engagement der beteiligten LehrerInnen je länger je weniger erreichten. Zu guter Letzt: Die Schule wurde bei allem mitunter verständlichem Ärger über einen Teil der bürokratischen Pädagogik in den letzten 30 Jahren deutlich besser und viel lösungsorientierter. Und sie steht nicht vor dem Kollaps.

 

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