Wo Fuchs und Hase sich über Baulärm beklagen

Am Stadtrand in Leimbach ist der Fallätschegarte zu einem wichtigen Zuhause für tierische Bewohner und die örtliche Flora geworden. Und die Stadt entscheidet wieder und wieder, dass er verbaut werden soll. Aber die AnwohnerInnen wehren sich – in dieser Runde gegen den Stadtrat.

 

Sergio Scagliola

 

Am Zürcher Stadtrand steht ein seit rund 50 Jahren fast unberührtes Stück Land. Der Fallätschegarte ist einer von nur noch wenigen Orten, wo die Natur am Rande des Betondschungels ungestört regiert. Bis er aufgekauft wurde. Und das hat Zoff zur Folge (P.S. berichtete am 30.09.22). Der Streit um die Parzelle LE1374 hat sich in die Länge gezogen. Ein Zuger Investmentfonds hatte den Fallätschegarte, ein 5500 m2 grosses, seit Jahren weitläufig unberührtes Stück Grün, im vorletzten Jahr nach Kauf des Grundstücks roden wollen und beauftragte die Immobilienfirma ‹Markstein› mit einem Bauprojekt. 54 Eigentumswohnungen waren geplant. Dass dieses Vorhaben nun auf Eis liegt, hängt mit der Stimmung unter den AnwohnerInnen zusammen, die sich vehement gegen die Totalrodung wehren. Die Interessengemeinschaft «IG Stopp Zerstörung Naturlandschaft in Zürich-Leimbach» stellte mittels 440 in einer Woche gesammelten Unterschriften einen Antrag für eine Schutzabklärung. Der Stadtrat erliess daraufhin ein einjähriges Veränderungsverbot, um die Schutzwürdigkeit der Parzelle zu prüfen. Ende Dezember teilte der Stadtrat mit, der Fallätschegarte sei zwar schutzwürdig, aber ersetzbar (P.S. berichtete am 23.12.22). 

 

Nicht schutzwürdig…

Diese Einschätzung gründet auf zwei externen, unabhängigen Gutachten, die von der Stadt in Auftrag gegeben wurden – zum Landschaftsschutz und zum Naturschutz. Während das Gutachten zum Landschaftsschutz zum Schluss kam, dass der Fallätschegarte nicht schützenswert ist, sah man beim zweiten Gutachten bezüglich Naturschutz den ehemaligen Obstgarten durchaus als schutzwürdig an. Der Stadtrat entlässt die Parzelle derweil aus dem Inventar der kommunalen Landschaftsschutzobjekte – wieso? 

 

Die offizielle Erklärung ist, dass der Biotopkomplex zwar schützenswert, aber ersetzbar sei. Als Ersatz soll eine in der Nähe befindliche Wiese finden, die zwar fast die dreifache Fläche aufweist, allerdings hat sich hier aufgrund der Bewirtschaftung noch kein so ökologisch wertvoller Lebensraum bilden können wie im Fallätschegarte. Dies soll zwar durch Ergänzungsmassnahmen und Aufwertungen mittels neu zu pflanzenden Obstbäumen oder dem Einrichten von Kleinstrukturen aus Stein und Gebüschen verbessert werden – aber reicht das wirklich, um die Tiere, die umgesiedelt werden müssen, artgerecht zu beherbergen? Bei Grün Stadt Zürich heisst es auf Nachfrage, dass sich der Wert der Ersatzwiese gemäss Ökobilanz im Endzustand nach der Umsetzung der Massnahmen fast verdoppeln würde – Fromentalwiesen und Hochstammgärten gehören schliesslich zu den artenreichsten Lebensräumen Mitteleuropas. 

 

…oder eben doch

Prisca Büchi, die Präsidentin der «IG Stopp Zerstörung Naturlandschaft in Zürich-Leimbach», bringt hier einiges an Kritik an. So hätten etwa diese Abklärungen, was im Fallätschegarte haust, nur während einem beschränkten Zeitfenster im April stattgefunden. Das implizieren auch die Gutachten, die die Stadt in Auftrag gegeben hat, wo auffällig viele Beobachtungen von Flora und Fauna lediglich gegen Ende März und Anfang April verzeichnet sind. Prisca Büchi begrüsst zwar die Ersatzmassnahmen, diese widerspiegeln allerdings nicht den bisherigen Lebensraum. Es gehe mindestens zwanzig Jahre, bis eine Ersatzwiese eine ähnliche Qualität aufweist. Dass die Ersatzwiese zudem landwirtschaftlich genutzt und somit maschinell bewirtschaftet wird, ist ein weiteres Problem, gerade für Amphibien, für die dies lebensgefährlich ist. «Gemäss Bericht ‹Ersatzmassnahmen› sollen die mobilen Arten umgesiedelt werden. Wir fragen uns wohin», so die Präsidentin der IG. Sie fasst zusammen: «Angesichts der dramatischen Biodiversitätskrise, in der die Schweiz steckt, sind wir enttäuscht, dass die Stadt sich gegen die Unterschutzstellung des Fallätschegarte entschieden hat.»

 

Das stärkere Argument

Der Entscheid der Stadt, den Fallätschegarte nicht zu schützen, ist einer, bei dem die Motivation für die Nichtunterschutzstellung nicht vollständig klar ist. Denn bei allem Wirbel, der auch seitens Stadt um den Verlust von Biodiversität gemacht wird, ist fraglich, wieso das Grundstück dennoch bebaut wird, wenn nicht aus reiner Rücksicht auf die Interessen der Bauherrschaft. Zudem: Die Ersatzwiese steht sowieso in der Freihaltezone und wird, solang dem so ist, nicht verbaut. Hätte man nicht einfach beide Objekte schützen können? Grün Stadt Zürich meint: Nein. Oder ausgeführt: «Eine Unterschutzstellung würde eine Bebauung verunmöglichen, ein partieller Schutz wäre kaum realisierbar und nur von geringem Nutzen für die betroffenen Tierarten.» Was auch heisst, dass man sich zumindest ein wenig gegen eines von zwei Gutachten stellt, die in Auftrag gegeben wurden. Denn aus Sicht des Naturschutzes heisst es im Bericht, dass die Argumente für eine Unterschutzstellung überwiegen – jedoch sei das Objekt nicht unersetzlich. 

 

Offensichtlich sieht die Stadt im Bauvorhaben also ein zusätzliches Argument gegen die Unterschutzstellung. Fragt sich also, was hier ausschlaggebend war – der Schutz eines wertvollen Lebensraums anscheinend nicht. Und wenn von einer Ersatzwiese gesprochen wird, dann fragt sich, was denn effektiv als Ersatz angesehen wird – ein solcher würde ja bedingen, dass man eine die Missstände ausgleichende Alternative findet. Und gleich viel Lebensraum für das ansässige Ökosystem bleibt es nicht, wenn die Ersatzwiese ohnehin in der Freihaltezone steht – und somit kein wirklicher Ausgleich. Vielleicht wäre Lückenbüsser der treffendere Begriff. 

 

Rekurs im Dreierpack

Was geschieht also mit dieser Wiese, die bislang als Kreuzung zwischen zwei wichtigen regionalen Vernetzungskorridoren fungierte? Entscheidend dürfte sein, was aus den Rekursen hervorgeht. Denn gegen den Entscheid des Stadtrates wurde nicht nur Rekurs seitens der IG eingelegt. Gleich mehrere Organisationen, die sich für den Schutz der Naturlandschaft in Leimbach einsetzen, haben sich zusammengetan und wollen die Verbauung nicht kampflos hinnehmen – die mehrfach erwähnte IG sowie die Stiftung Helvetia Nostra und die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. Wie weiter vorgegangen wird, liegt also momentan beim Baurekursgericht.

 

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