Vergangenheitsbewältigung

Im Zürcher Gemeinderat stand unter anderem das letzte ‹Gammelhaus› auf der Traktandenliste. Kontrovers diskutiert wurde ein weiteres Mal über Racial Profiling.

Damit, dass sich der Zürcher Finanzvorstand Daniel Leupi zu Beginn der Sitzung des Zürcher Gemeinderats vom Mittwochabend zu Wort melden würde, war zu rechnen gewesen angesichts der am Montag bekanntgewordenen doppelten Auszahlung der Februar-Löhne der städtischen Angestellten. Denn auch die Gemeinderät:innen hatten ihre Sitzungsgelder doppelt erhalten. Daniel Leupi betonte, es sei bereits am Montag um 9 Uhr bekannt gewesen, dass der Fehler nicht bei der Stadt lag, sondern bei der Zürcher Kantonalbank ZKB. Entsprechend sei auch die ZKB verantwortlich für die «Rückabwicklung». In den nächsten Tagen würden alle ein Schreiben erhalten, in dem sie aufgefordert würden, den fälschlicherweisee überwiesenen zweiten Februarlohn auf ein Spezialkonto einzuzahlen.

Dass sodann (schon wieder…) über Racial Profiling diskutiert wurde, hatte ebenfalls mit einem aktuellen Ereignis zu tun, dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Mohamed Wa Baile (siehe auch P.S. von letzter Woche). Die Fraktionserklärung von SP, Grünen und AL mit dem Titel «Es braucht konsequente und griffige Massnahmen gegen Racial Profiling» verlas Moritz Bögli (AL). Dass die Stadtpolizei Mohamed Wa Baile kontrollierte, habe ebenso wie die anschliessenden Gerichtsverfahren «nicht nur gegen das Diskriminierungsverbot, sondern auch gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens sowie das Recht auf wirksame Beschwerde» verstossen, sagte er. Der Fall Wa Baile sei zudem «keineswegs ein Einzelfall», sondern es handle sich um ein «strukturelles, tiefgreifendes Problem», das «von den Behörden, insbesondere der Stadtpolizei, seit Jahren nicht ernst genommen oder sogar negiert wird». Es sei zudem «beschämend und inakzeptabel», dass Mohamed Wa Baile «nicht einmal eine Entschuldigung von Stadtrat und Stadtpolizei für die Verletzung seiner Grundrechte bekommen hat».

«Alle haben Vorurteile»

Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart zeigte sich «enttäuscht» über diese Erklärung: Damit, dass es an ihr und der Stadtpolizei Kritik ha­gle, könne sie umgehen. Doch dass sie sich nicht mit der Sache auseinandergesetzt hätten, stimme inhaltlich nicht oder sei «einseitig». Rassismus und Diskriminierung gehe alle an, alle seien betroffen, und alle hätten Vorurteile. Wenn jemand sage, er meine das Wort «Mohrenkopf» ja nicht rassistisch, ändere das nichts daran, dass es als verletzend empfunden werden könne. «Alle haben Vorurteile und sind sich dessen häufig nicht bewusst.» Die Fraktionen hinter dieser Erklärung machten dasselbe, wenn sie von einzelnen wenigen Polizist:innen auf alle schlössen: «Wenn Sie von einem strukturellen Problem sprechen, sagen Sie, alle Polizist:innen seien so, es sei das Wesen der Polizei. Das empfinden die Polizist:innen auch als verletzend.» Polizist:innen seien nicht besser, aber auch nicht schlechter als alle anderen, und obendrein seien sie «speziell sensibilisiert auf Rassismus». Karin Rykart verwies weiter auf die in den letzten Jahren ergriffenen Massnahmen, die bereits seit 2017 umgesetzt würden, und auf die entsprechend angepasste Ausbildung der Polizist:innen.

Samuel Balsiger verlas die Fraktionserklärung seiner SVP zum selben Thema, sie trug den Titel «Erneutes Skandal-Urteil aus Strassburg: Wir lassen uns von fremden Richtern nichts vorschreiben». Marcel Tobler (SP) erinnerte die SVP daran, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht die EU sei, sondern von den Mitgliedstaaten des Europarates errichtet wurde, dem die Schweiz 1963 beitrat: «Es sind also seit über 60 Jahren unsere Richter.» Karin Rykart erhielt aber auch Lob, und zwar von Michael Schmid (FDP), der ihr für die «klaren Worte» dankte.

«Teuer gekauft»

Viel zu reden gab der Zusatzkredit von 2,35 Millionen Franken für die Gesamtinstandsetzung des Wohnhauses Magnusstrasse 27, was wenig verwundert, handelt es sich doch um eine der drei als «Gammelhäuser» bekannt gewordenen Liegenschaften. Kommissionssprecher Ivo Bieri (SP) erinnerte daran, dass im Haus mit Baujahr 1894 früher vor allem Sozialhilfebezüger:innen gewohnt hatten. Seit einem vorsätzlich gelegten Brand sei es eigentlich nicht mehr bewohnbar gewesen, im Februar 2021 aber trotzdem besetzt worden. Nun soll es instand gesetzt werden, aus den früheren 30 Einzelzimmern werden fünf 3,5-Zimmerwohnungen, und im Erdgeschoss ist eine Gewerbenutzung geplant. Eine Wohnung wird netto rund 2630 Franken kosten.

Die motivierte Rückweisung der Grünen begründete Martin Busekros unter anderem damit, die Wohnungen würden zu teuer, und die Grünen hätten sich «etwas Besseres gewünscht». Reto Brüesch (SVP) erinnerte daran, das Haus sei seit drei Jahren «rechtswidrig» besetzt, die Besetzer würden «geduldet, und der Steuerzahler zahlts» – was genau «der Steuerzahler» zahlt, sagte er allerdings nicht. Er sprach sich ebenfalls für eine Rückweisung der Vorlage aus, verlangte aber stattdessen kein anderes Projekt, sondern sagte, die Stadt solle das Haus an den Meistbietenden verkaufen. Wegen der «eher teuren» Wohnungen, die es dort sonst gebe, unterstellte er der Stadt, sie wolle «Leute nach Zürich locken, die Geld haben». Die SVP sehe es nicht als «Kernaufgabe» der Stadt an, «mit Steuergeldern überteuert zu kaufen».

Finanzvorstand Leupi sagte, man habe «teuer gekauft», doch der damalige Besitzer des Hauses habe «das soziale Elend bewirtschaftet», und es sei zu befürchten gewesen, dass die unhaltbaren Zustände einfach weitergingen. Patrik Maillard (AL) schlüsselte auf, wie der Kaufpreis des Hauses von 6,25 Millionen Franken zustande gekommen sei: Die Schätzungskommission der Stadt habe das Haus seinerzeit auf 2,45 Millionen Franken geschätzt, die Zuständigen des Verkäufers auf 6,71 Millionen – was damit zu tun hatte, dass erstere von einer Wohnung pro Stockwerk ausging und letzterer davon, weiterhin Einzelzimmer zu vermieten. Er kritisierte, auch SP und Grüne wollten «Wohnungen für Gutverdienende». Das Haus werde am Schluss fast 9,3 Millionen gekostet haben, fast 400 Franken pro Quadratmeter, und rechne man die jüngste Erhöhung des Referenzzinssatzes dazu, komme man auf mehr als 2700 Franken ohne Nebenkosten. Natürlich sei das weniger als im überhitzten Markt üblich, aber «an 2,5-Zimmerwohnungen für 5000 Franken mangelt es auch nicht».

Die Grünen hatten angekündigt, keine Wohnungen verhindern zu wollen, sprich, die Vorlage in der Schlussabstimmung zu unterstützen, auch wenn ihr Rückweisungsantrag nicht durchkommen sollte. Das war der Fall – nur die AL unterstützte ihre «motivierte Rückweisung». Für den Rückweisungsantrag der SVP konnte sich keine weitere Fraktion erwärmen. So kam der Zusatzkredit mit 92 gegen 20 Stimmen (von SVP und AL) durch.

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