Velorouten

Ich zeigte ihm den Finger. Und dann sagte ich folgenden Satz: «Du hirnloses Arschloch, ich fahre länger E-Bike, als du denken kannst.» Also natürlich sagte ich das nicht. Ich brüllte es, sonst hätte er mich gar nicht gehört, über diese Autos hinweg, die zwischen uns fuhren da auf dem Seilergraben.

Kurz vorher hatte ich ihm, dem Velofahrer, das gebe ich ungern, aber ehrlich zu, wohl ein wenig den Weg abgeschnitten. Also ich schnellte mit meinem Frachtvelo vermutlich für ihn etwas unerwartet von der Seite her rein, auf seine Spur. Es war eine dieser typischen Entscheidungen, die man so fällt im Verkehr, nicht wahr, es ist ein wenig knapp, es könnte aber noch reichen und man fragt sich, soll ich, soll ich nicht und zägg, macht man und hätte es dann doch besser nicht getan, so im Rückblick.

Auf jeden Fall schrie dann dieser Velofahrer, nun hinter mir, ununterbrochen etwas in meine Richtung und vor allem verstand ich, dass er sich ärgerte, dass eine wie ich ein E-Bike hat. Und man spürte gut, dass das ein ganz grundsätzlicher, unerhörter Groll auf so E-Bikerinnen wie mich war, die offensichtlich weder Vernunft noch Verstand hatten und andere gefährdeten. So eine war ich also für ihn. Das geriet natürlich dann mir in den falschen Hals und da hatten wir ihn, den Krach.

Jetzt ist es so, dass ich mich sehr schämte. Ich hoffte inständig, es möge sich bei diesem Mann nicht um den Vater eines Kindes handeln, das mit einem von meinen zur Schule geht, ich hoffte, er kenne niemanden, den ich kenne, ich möchte ihm nämlich nie mehr begegnen. So sehr schämte ich mich. Gleichzeitig ist alles im Grunde genommen noch viel schlimmer, es ist ja nicht das erste Mal, dass mir solches widerfährt. 

Egal mit welchem Transportmittel ich unterwegs bin, ich habe Aggressionen gegen die anderen. Zu Fuss möchte ich alle Velofahrer zusammendonnern, die auf dem Trottoir an mir vorbeirasen. Fahre ich mit dem Fahrrad auf dem Trottoir, weil ich auf der Strasse keinen Platz habe, überkommen mich wüste Fantasien Fussgängerinnen gegenüber, die komplett unerwartet die Richtung wechseln oder einfach stehen bleiben, und fahre ich mit dem Velo auf der Strasse, möchte ich am liebsten Autonummern fötelen und sie dann im Internet an den Pranger stellen, weil man mich so eng und schnell überholt, dass es lebensgefährlich ist.

Und sitze ich im Auto, auf dem Beifahrersitz wohlbemerkt, fahren kann ich nicht, richtet sich mein Hass gegen alle anderen, die Fussgänger, die beim Zebrastreifen einfach mal loslaufen, ebenso gerne auch wirklich betont langsam, und auch gegen die Velofahrerinnen, für die Verkehrsregeln ja schints nicht gelten.

Zusammengefasst: sich auf der Strasse oder auf dem Trottoir aufhalten ist mit einer Wahnsinnsausschüttung an Adrenalin, Wut und Hass verbunden. Und ich bin nicht die Einzige, ich habe das repräsentativ in meinem Umfeld abgeklärt, es geht anderen genau gleich.

So richtig entspannen kann ich nur dann, wenn da, wo ich gehe oder fahre, nichts meinen Weg kreuzt, was nicht mit dem gleichen Gerät unterwegs ist wie ich. Dann lächle ich sogar, ich schwör und ich werde zu einem guten Menschen. Mischverkehr macht uns zu bösen Menschen. Wir wollen aber Frieden und Sicherheit. Deshalb braucht es Velorouten. Sagt also bitte Ja zur Initiative. 

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