Unverzichtbare Care-Arbeit

Der Wandel der Geschlechterrollen verläuft asymmetrisch: Während die Erwerbsquote der Frauen in den letzten Jahren in der Stadt Zürich gestiegen ist, hat bei den Männern die Betreuungsarbeit und vor allem die Hausarbeit weit weniger zugenommen. Damit entsteht eine Betreuungs- und Hausarbeitslücke. In diese Lücke springen meist andere Frauen. Denn viele Familien delegieren sogenannte Care-Arbeiten nun an eine Putzfrau, Hausarbeiterin, Kinder- oder Altenbetreuerin – wenn sie es sich denn leisten können.

 

Anja Derungs*

Die Arbeitsbedingungen im «Arbeitsmarkt Privathaushalt» sind kaum reguliert und schlecht zu kontrollieren. Das birgt gleichstellungspolitisch, aber auch arbeitsrechtlich einigen Sprengstoff. Die Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich hat deshalb in den letzten Jahren sowohl die Informations- und Austauschplattform www.careinfo.ch für Privathaushalte und Care-Migrantinnen als auch den Ratgeber «Nannies beschäftigen – das müssen Sie wissen» erarbeitet und stetig aktualisiert. Aber wird damit die Prekarisierung von Sorge-Arbeit durch die Gleichstellung nicht sogar vorangetrieben, weil immer mehr Frauen gut bezahlte Erwerbsarbeit leisten und deshalb die Haus- und Betreuungspflichten an schlecht bezahlte (migrantische) Arbeitnehmerinnen delegieren? Emanzipieren sich Frauen also auf Kosten anderer Frauen?

Aus diesem Emanzipationsdilemma finden wir nur heraus, wenn sich auch die Männer bewegen und die Strukturen angepasst werden. Eltern, die erwerbstätig sind und ihre Kinder in der Kita betreuen lassen, sind teilweise mit Arbeitszeiten und Anforderungen konfrontiert, die mit Krippenzeiten nicht vereinbar sind. Private Lösungen kommen den Staat zwar billiger. Aber wahrer Service public sieht anders aus: Gute Arbeitsbedingungen für jene, die in der Betreuung von Kindern und älteren Menschen arbeiten, und strukturelle Anpassungen in den Einrichtungen. Sich um andere Menschen kümmern, muss mehr Gewicht erhalten. Nicht zuletzt forderten 160 000 Frauen und solidarischen Männer am 14. Juni 2019 in Zürich: «Lohn.Zeit.Respekt.» Denn ob bezahlt oder unbezahlt, die Care-Arbeit liegt weiterhin fast ausschliesslich in Frauenhänden und prägt damit Berufsverläufe, Arbeitsbedingungen, Löhne und die Altersvorsorge von Frauen. Es ist Arbeit, die wenig wertgeschätzt wird und sich kaum rationalisieren lässt: Schneller erziehen, betreuen oder pflegen geht nicht.

Die Corona-Pandemie hat die bestehenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern noch sichtbarer gemacht. Die zusätzliche Belastung durch Homeschooling und Kinderbetreuung lastete stärker auf den Schultern von Frauen. Während die Schulen im Frühjahr 2020 geschlossen und die familienergänzende Kinderbetreuung eingeschränkt war, mussten mehr Frauen ihre Kapazitäten für Erwerbsarbeit zugunsten von Haus- und Familienarbeit reduzieren. Das zeigte die Sotomo-Studie im Auftrag des eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann.

Schätzungen des Bundesamtes für Statistik zeigen zudem: In der Schweiz wird jährlich unbezahlte Haus- und Familienarbeit im Wert von 374 Milliarden Franken geleistet. Auf Frauen entfallen davon 82 Milliarden mehr als auf Männer. Es wäre interessant, einen «Care-Fussabdruck»-Rechner zu haben, um sich dessen auch individuell in der eigenen Familie bewusst zu werden. Wie würde Ihr Care-Fussabdruck aussehen? Wie viel Zeit investieren Sie in (unbezahlte) Sorge-Arbeit? Wie viel Ihr Partner oder Ihre Partnerin? Wie viel übernehmen die Grosseltern?

Gleichstellung lässt sich nicht auf morgen verschieben. Ein gemeinsam verantwortetes egalitäres Arbeits- und Familienleben ist nicht nur eine Frage der (Verteilungs-)Gerechtigkeit, sondern auch der wirtschaftlichen Notwendigkeit. Und es ist letztlich auch keine individuelle Frage, sondern vor allem eine strukturelle. Familien- und Hausarbeit für Kinder und Betagte ist überlebenswichtig und unverzichtbar für eine Gesellschaft. Die Geburt eines Kindes stellt noch immer einen Schüsselmoment dar, wenn es um die Arbeitsteilung geht. Der 14-wöchige Mutterschaftsurlaub ist eine der wichtigsten gesellschafts- und gleichstellungspolitischen Errungenschaften der letzten Jahre. Dennoch macht das derzeitige Schweizer System den Familien einen Strich durch die Gleichstellungsrechnung. Nach zwei Wochen Vaterschaftsurlaub muss der Vater wieder seiner beruflichen Tätigkeit nachgehen. Je nach Arbeitgeberin ist eine Pensenreduktion für ihn nicht möglich. Oder finanziell nicht verkraftbar für die Familie.

2020 haben sich gemäss einer neuen Studie von männer.ch die Schweizer Medien doppelt so häufig mit Vaterschaft und anderen Care-Beiträgen von Männern beschäftigt als noch 2010. Männer.ch interpretiert das gewachsene Interesse als Zeichen eines Wertewandels, der egalitäre Aufgabenteilungen in der Familie immer mehr zum Leitbild werden lässt.

Die Lösungen für diesen Wertewandel liegen auf dem Tisch, wenn wir es uns denn leisten wollen: Individualbesteuerung, ein gut ausgebautes, qualitativ gutes und bezahlbares familienergänzendes Betreuungsangebot, Arbeitszeitmodelle, die die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit auch wirklich ermöglichen. Das heisst auch, dass diejenigen, die bezahlte Sorgearbeit leisten, entsprechend entlöhnt werden müssen für ihre systemrelevante Arbeit.

 

*Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich

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