Um(ver)kehren glokal

Nach der nationalen Anti-Klimawahl und vor der Weltkonferenz in Dubai ist es nicht leicht, sich an alternative Ansätze im Kleinen zu halten. Aber auch lokales Umkehren bringt globale Gewinne.

Dass die nun 28. UNO-Klimakonferenz vom 30. November bis zum 12. Dezember in der protzenden Metropole der Ölförderländer stattfindet, ist eigentlich eine symbolische Kapitulationserklärung: Die fossile Fortschrittlichkeit findet kein Ende, und das in Paris gesetzte Reduktionsziel wird nicht erreicht.

Klimaversprechen gebrochen

Zwar bleibt beschlossen, die klimaschädlichen Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts auf null zu senken. Doch zentral wird bei dieser Zusammenkunft die aus dem globalen Süden immer drängender vorgetragene Frage sein, «wer die Schäden und Verluste als Folge der Klimaerwärmung bezahlen soll». Dies die Prognose von Delia Berner im Herbst-Heft von ‹global›. Schon jetzt verheerende Entwicklungen treffen vorab arme Länder, die kaum zu den Verursachern gehören. Indus­triestaaten haben ihre Finanzierungsversprechen nicht eingehalten und «sind deshalb bezüglich Klimagerechtigkeit unglaubwürdig». Zudem hat die Schweiz ihren «angemessenen Anteil» nicht einmal auf Basis des gesamten Klima-Fussabdrucks berechnet, sondern anhand weit geringerer Inlandemissionen.

Schon vor einem Jahr nahm die Expertin für Klimapolitik die «Unterstützungsleistungen der Schweiz an Entwicklungs- und Schwellenländer für den Klimaschutz» unter die Lupe – als der Bund bekannt gab, sie hätten sich mehr als verdreifacht. «Der wundersame Anstieg» entpuppte sich als dubiose Rechnerei. Gelder der Entwicklungszusammenarbeit wurden mit einbezogen. Das passt ins Gesamtbild, welches das Magazin der Hilfswerkallianz zur Rolle unseres wohlhabenden Landes vermittelt. Selbst vom vor Jahrzehnten proklamierten UNO-Ziel, dass 0,7 Prozent der Bruttonationaleinkommen dem internationalen Ausgleich zukommen müssten, entfernen wir uns wieder. 2011 wurde im Bund eine Quote von 0,5 beschlossen, real sank sie gegen 0,3 Prozent. «Politik für eine gerechte Welt» sähe anders aus. Das zeigt ‹global› in vierteljährlichen Übersichten engagiert und kompetent. Nun sind diese auch als E-Paper erhältlich.

Leitfaden für Ernährungspolitik?

‹ProClim Flash›, die speziell dem Klimathema verpflichtete Halbjahresschrift der Schweizer Akademie der Naturwissenschaften, geht im jüngsten Heft nicht auf den internationalen Grossanlass ein. Nach dem Ja zum Klima- und Innovationsgesetz seien jetzt aber bei uns «die politischen Rahmenbedingungen zur Erfüllung des Klimaschutzübereinkommens von Paris gestärkt» und es gelte, «gemeinsam Lösungen» zu finden. Dazu werde künftig jede Ausgabe «ein Kernthema auf dem Weg zur Klimaneutralität» beleuchten. Diesmal geht es um das «Ernährungssystem». Nein, nicht um Agrarpolitik im engeren Sinn. Nur wenn alle Wechselwirkungen zwischen Konsum und Produktion bedacht würden, lasse sich wirklich Zukunftsfähiges entwickeln. Praxisnah ist ein Projekt für «klimaneutrale Landwirtschaft» in Graubünden, wo über fünfzig Betriebe mit politischer und fachlicher Unterstützung erste Erfahrungen sammeln. Der erweiterten Gesamtsicht diente auch ein «Bürger:innenrat für Ernährungspolitik». Er kam offenbar zu vielfältigen, «erstaunlich progressiv» ausgestalteten Empfehlungen. Zu den knapp skizzierten Beispielen finden sich weiterführende Links. An der Uni Bern wurde sogar ein «politischer Leitfaden» für «Wege in die Ernähungszukunft der Schweiz» entwickelt.

Das klingt interessant, ja ermutigend. Doch ein Interview mit zwei dort für Umweltfragen zuständigen Leuten des Schweizerischen Bauernverbandes dämpft die Hoffnung, dass ein tiefgreifender Umbau in diesem Bereich bald erfolgt. Bei den hinten ins Heft gefügten Beiträgen von Bundesämtern sind die Akzente klar auf «Anpassung an den Klimawandel» gesetzt; dass Bundesrat Rösti mit Bild als Referent an der entsprechenden Fachtagung präsentiert wird, trägt zur Ernüchterung bei. Auch bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit findet sich zur «notwendigen Transformation von Ernährungssystemen» primär Technokratisches. Immerhin kommt mit einem Bericht zum Stand der juristischen Klage der «Klimaseniorinnen Schweiz» gegen das faktische Versagen des Staates noch etwas Bewegung von unten ins Spiel.

Start mit lebenswerteren Städten

Illusionslos zuversichtlich wirken die Beiträge der 140. Ausgabe von ‹umverkehRen›, die konsequent vom Globalen zum Lokalen führen. «Über eine Milliarde Klimaflüchtlinge?» – die Frage sticht im ersten Text ins Auge. Das gigantische Unrecht, dass die Hälfte der Menschheit unter den Folgen des Lebensstils einer überreichen Minderheit leidet, lässt sich nicht verdrängen. Politisch mottet die Angst schon jetzt verheerend, und einfach wird die «Gratwanderung zur Klimaneutralität» nicht. Sie ist «behaftet mit Schwierigkeiten und Risiken, aber ein lohnenswertes und unumgängliches Unterfangen». System Change bleibt kein Schlagwort. Selbst eine stabilere Wirtschaft, die den Kapitalismus ablösen muss, wird skizziert. Verzicht, auch Verbote werden nötig sein. Letztere würden dann akzeptiert, wenn sie plausibel begründet und mit Massnahmen auf allen Ebenen sowie konkreten Visionen verbunden sind. Kämen wir endlich voran, würde nicht nur Schlimmstes verhindert, sondern «allen ein erfüllteres Leben» ermöglicht.

Hinweise auf aktuelle Kämpfe des seit gut drei Jahrzehnten relativ radikal agierenden Umweltvereins folgen. Sie seien hier allen Noch-nicht-Mitgliedern ans Herz gelegt. Die noch vom alten, angeblich grüneren Parlament beschlossenen Autobahnbauten müssen gestoppt werden: Keine weiteren Investitionen in fossile Infrastrukturen! Und die lokalen «Stadtklima»-Initiativen machen Alternativen sichtbar. Auf dieser Ebene gab und gibt es Erfolge. Werden die Städte lebenswerter, strahlt das aus. Viel spricht dafür, sich in den nächsten Tagen mehr mit dem Geschehen in der näheren Umgebung zu befassen. Sollten auch aus Dubai positive Nachrichten kommen, umso besser.

Global. Politik für eine gerechte Welt. 4xjährlich. Auch digital abrufbar. alliancesud.ch
ProClim Flash. Schweizer Zeitschrift zu Klima und globalem Wandel. Akademie der Naturwissenschaften. 2xjährlich. proclim.ch
umverkehRen. Zeitschrift für eine zukunftsfähige Mobilität. 4-5xjährlich. umverkehr.ch

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