Faszination Mann

Ich bin fasziniert. Und ich schwöre, ich meine es nicht ironisch. Fasziniert ob dieser männlichen Fähigkeit, sich zu allem berufen zu fühlen. Ob diesem tief verankerten, tief verwurzelten, auch selbstverständlichen Gefühl der Omnikompetenz. (Ich weiss, es gibt bestimmt auch Frauen von der Sorte. Aber sie scheinen mir so dermassen in der Minderzahl, dass ich es nicht als einseitig betrachte, mich an dieser Stelle auf die Männer zu konzentrieren. Und ja, ich kenne Männer, die nicht so sind. Sie sind hier explizit nicht gemeint. Und ansonsten gönne man mir diese Verallgemeinerung). 

Männer sehen sich als Alleskönner. Und ich verstehe schon, dass, wenn man sich so sieht, man schnell auch das Gefühl einer gewissen Verpflichtung einer Gruppe oder gar der Gesellschaft gegenüber fühlt, Dinge tun zu müssen. Weil man es eben kann. Im Gegensatz zu anderen. Darum lässt es sich auch nicht delegieren, man muss selber ran. 

Filippo Leutenegger wurde am Mittwochabend, dem 21. November, zum Kantonalpräsidenten der FDP gewählt. Er befindet sich wenige Tage oder vielleicht auch nur Stunden vor seinem 71sten Geburtstag. Und er ist Stadtrat. Ich bin fasziniert ob diesem Ereignis. Und ich habe viele Fragen. Eine davon ist: Warum. 

Natürlich gibt es rechtlich nichts, was dagegenspricht. Das heisst kein Gesetz, keine Unvereinbarkeitsklausel oder Ähnliches, die einem Stadtratsmitglied verbieten, gleichzeitig auch Parteipräsident zu sein. Nur scheint mir in diesem Fall halt offensichtlich, dass das nur deshalb so ist, weil der Gesetzgeber oder die Gesetzgeberin schlicht nicht jede Idiotie vorhersehen kann. Nicht alles, was nicht explizit untersagt ist, ist im Umkehrschluss sinnvoll. Wer hätte denn jemals ernsthaft damit gerechnet, dass ein amtierender Stadtrat in Zürich gleichzeitig Präsident seiner Kantonalpartei werden möchte? So etwas kann man weder vorausdenken noch sich ausdenken. 

Er werde sich freilich ans Kollegialitätsprinzip halten, sollte sich die Stadt gegen den Kanton aussprechen, sagt Leutenegger treuherzig in einem Interview. Als ob es darum ginge. Künftig wissen wir jetzt einfach, dass der Kantonalpräsident der FDP exklusiv an Stadtratssitzungen teilnehmen kann. Derselbe Kantonalpräsident sitzt auch an allen Sitzungen mit kantonalen Regierungsvertreter:innen. Grosses demokratisches Kino, würde ich meinen, so ganz generell. 

Interessant ist auch die jetzt erstmals öffentlich gewordene, tatsächliche Arbeitsbelastung eines herkömmlichen Vorstehers eines Schul- und Sportdepartements. Zumal in der Schule politisch voll nichts los ist zurzeit. Da passt ein Präsidium mit um die 20 bis 30 Prozent Arbeitsbelastung (auch im Trio) problemlos noch rein. Auch weil Leutenegger weiss, dass er das kann, übrigens: «Ich habe die Kraft für die Doppelbelastung», lässt er uns wissen. Allen, die künftig für den Stadtrat kandidieren möchten, sei also an dieser Stelle versichert, dass sie den Papi- oder Mamitag locker beibehalten können (Eltern haben die Kraft für die Doppelbelastung). 

Manchmal personifizieren sich Politikverdrossenheit, demokratische Fassungslosigkeit und Grössenwahn, an diesem traurigen Novemberabend hiessen sie Leutenegger. 

Dass er von den Delegierten so überaus deutlich gewählt wurde, kann verschiedene Gründe haben. Er kandidierte als Team mit zwei weiteren, beide noch keine 40 Jahre alt. Er, Leutenegger, sei «der Silberrücken, der zwei Junge mitnimmt» (ich zitiere nur). Es kann also sein, dass die beiden Jüngeren vor den Delegierten alleine gar keine Chance gehabt hätten. Das würde ein etwas trostloses Bild auf die FDP insgesamt werfen. Es kann auch sein, dass Leutenegger die zwei braucht, um trotz seines hohen Alters und Nebenjob in der Exekutive gewählt zu werden. Das würde ein etwas trostloses Bild auf…ach, lassen wir das.

Warum macht er es also? Was ist in ihn gefahren? Die NZZ nennt ihn einen Zampano, und meint es irritierend positiv. Dabei ist ein Zampano einer, der durch übertriebenes, prahlerisches Gebaren beeindrucken will oder den Eindruck erweckt, Unmögliches möglich machen zu können. Sagt ein Wörterbuch. Ich bin und bleibe fasziniert. Sage ich.

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