Trophäennarrative

Die Referenzen von Sylvie Fleury (*1961) lassen sich auf die Trophäe eindampfen. Ob in Kommerz, Kunst oder Wissenschaft, es ist stets das Superlativ, das sie mit einer simpel erscheinenden Neuverortung einer Hinterfragung bis zur Entblössung ausliefert.

In der Modemetropole dreieinviertel Stunden südlich von Zürich umweht das Tragen von Pelz noch eine rein ästhetische Aura, kombiniert natürlich mit der Demonstration der pekuniären Potenz der Trägerin. In der Modemetropole vier Stunden westlich von Zürich lässt Madame sich die Einkäufe selbstverständlich tragen, weil die Bodenbeschaffenheit etwa einer Place Vendôme jedes elegante Schreiten in filigranen Schuhkostbarkeiten zur Stolperfalle macht. Die Welt, die Sylvie Fleury schnippisch aufs Korn nimmt, orientiert sich an Träumen im Luxussegment, und das meint gerade in jüngster Zeit die Eroberung des Weltalls mit. Die 1990er-Jahre, in denen sie parallel zu Pipilotti Rists sinnbildlichem Wutanfall der Selbstbefreiung durch ein lustvolles Zertrümmern von Autoscheiben mittels einer Metallrose höchstselbst mit halsbrecherischen Highheels eine akkurat drapierte Sammlung edelster Christbaumkugeln zum Implodieren gebracht hat, wirken dreissig Jahre später aus der Zeit gefallen. Ihre Appelle wurden seither subtiler, der Fokus indes blieb grösstenteils derselbe.

Jede Frau ist schön

Eine befreundete Fashion-Designerin unternahm, lange vor dem Aufkommen des Modebegriffs der Body Positivity, den Versuch, das Alter ihrer Fotomodelle jenem ihrer primären Kundschaft anzupassen und musste feststellen, dass fünfzigjährige Frauen ihre Kleider sehr viel lieber an dreissigjährigen Modellen präsentiert sehen wollten als an ihresgleichen. Finanziell wurde diese Saison zur Durststrecke. Gerade weil Sylvie Fleury die Frau selbst in ihrem Selbstverständnis alias Narrativ teilweise sehr direkt infrage stellt oder eben düpiert, erwuchs und erwächst ihr immer wieder Kritik, ihre Inszenierungen würden dem feministischen Emanzipationsbestreben entgegenwirken. Die Alltagsrealität indes stellt stoisch fest, dass gerade in der Oberflächenaufhübschungsindustrie die Kundschaft von Verheissungen getriggert wird, die dem eigenen Selbstverständnis als schöner Frau zuwiderläuft. Die jährlichen Milliardenumsätze sprechen Bände. Mittels ihrer Interventionen unternimmt Sylvie Fleury den Versuch, die vielen ineinandergreifenden Fragenkomplexe eines spezifischen Zusammenhanges von einer Eindeutigkeit ihrer Verortbarkeit zu befreien. Sie tippt also bewusst Reizthemen an, die sie mit Vorliebe in eine reizüberflutende Knallbuntheit verpackt, in der Hoffnung, die damit ausgelösten Gedankengänge würden den ganz grossen Auslauf nutzen und sich über eine Dualität von schön/schrecklich, gut/schlecht etc. hinausbewegen. Im schlimmsten Fall wäre eine Selbsthinterfragung die Folge.

Sterbenslangweilige Perfektion

Ihre jüngeren Arbeiten widmen sich zusehends der bildenden Kunst, deren geldwertige Vorbilder sie sich aneignet, um sie zu entfremden, wie dies auch Modelabels immer wieder tun. Und sie erweitert ihr Repertoire um die schriftliche Verbreitung der Suggestion, eine irgendwie geartete, also auch durchwegs fremdbestimmte Perfektion wäre auf Teufel komm raus im Entferntesten etwas Erstrebenswertes. Wo sie doch gerade via den Hochglanzabklatsch ihrer skulpturalen Werke ihr Publikum nachgerade mit einer Erfahrbarkeit anschreit, wie sterbenslangweilig ebendiese Glattheit im Endeffekt ist. Kaum hat ein Gedankengang die diversen Aspekte einer ihrer raumfüllenden Arbeiten erfasst, versinkt das Interesse daran ins Bodenlose. Zweimal dieselbe Erkenntnis führt nicht zur Verdoppelung von Einsicht, sondern erwirkt allein ein Déjà-vu, also Gähnen. Interessant zu beobachten wirds werden, wohin Sylvie Fleury ihren Fokus künftig lenken wird. Jetzt, da ihre Werke selbst für sich stehend zu Trophäen mutiert sind, die von teils rein nach den Regeln von Wagniskapital spielenden Galerien feilgeboten werden. Ob sie ihre eigene Arbeit mit derselben akkuraten Schärfe zu sezieren weiss und wohin eine solch gesteigerte Selbstinfragestellung womöglich führt, dürfte hingegen noch für ausreichend Stoff für Denksport und dessen Übersetzung in Form sorgen. «Shoplifters from Venus» ist als Retrospektive der vergangenen dreissig Jahre konzipiert, und diese zeugt von einer bisher ausgeprägten Befähigung Sylvie Fleurys, sich innerhalb einer gleichbleibend kritischen Weltsicht neu zu erfinden.

Sylvie Fleury: «Shoplifters from Venus», bis 20.8., Kunst Museum Winterthur beim Stadthaus, Winterthur. Katalog in Arbeit.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.