Kümmern oder Bekümmern?

Warum haben die Leute eigentlich Kinder, wenn sie sich nicht um sie kümmern wollen? Das ist eines der Hauptargumente, das man so hört, wenn es um familienexterne Kinderbetreuung geht. Vermutlich von denselben Leuten, die sich andernorts darüber auslassen, dass heutige Kinder überbetreut, überbehütet und verwöhnt seien. Und da gab es noch diesen älteren Herrn, der mir mal an einem Podium zum Vaterschaftsurlaub gesagt hat, dass seine Mutter sechs Kinder grossgezogen und nie gejammert habe, nicht so wie die heutigen Frauen. Was die Mutter dazu meint, ist unbekannt.

Diese und andere Kommentare zeigen, dass für viele Leute Kinderbetreuung immer noch als Privatsache gilt. Die man selber regeln muss und für die man selber aufkommen soll. Denn schliesslich, so Ständerat Hannes Germann (SVP), ist Mutterschaft im Gegensatz zum Militärdienst freiwillig, wie er in einer Debatte zu einer Motion, die den Erwerbsersatz im Mutterschaftsurlaub dem Erwerbsersatz beim Militärdienst gleichstellen wollte, ausführte. Nun ist es selbstverständlich freiwillig, Kinder zu haben. Und man könnte durchaus auch eine Reihe von Problemen lösen, wenn niemand mehr Kinder haben würde, nur vermute ich mal, dass das doch nicht ganz die Idee von Hannes Germann ist. 

Im Frühling diesen Jahres gab es eine aufgeregte Teilzeitdebatte in Medien und Politik. Die Schweizerinnen und Schweizer würden weniger arbeiten, die durchschnittliche Arbeitszeit pro Person ist auf 36 Stunden gesunken. Wie wir an dieser Stelle schon berichtet haben, liegt das daran, dass die Arbeit anders verteilt wird. Die Erwerbsquote von Frauen ist gestiegen und sie haben im Schnitt ihre Pensen erhöht. Was von der gleichen Seite, die moniert, dass sich Vollzeitarbeit nicht mehr richtig lohnt, ja durchaus auch erwünscht ist. Nur für die Rahmenbedingungen will man nicht sorgen. In der eleganteren Variante von «Kinder sind Privatsache» wird die familienexterne Betreuung nicht mehr infrage gestellt. Nur die Finanzierung will man nicht übernehmen. So schreibt etwa der Bundesrat in seiner Antwort auf eine Interpellation von Andri Silberschmidt (FDP): «Hohe Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung können die Arbeitsanreize schmälern.» Das vom Nationalrat verabschiedete Gesetz für eine Beteiligung des Bundes bei der Kita-Finanzierung und der Senkung der Elternbeiträge lehnt der Bundesrat allerdings ab. Das sollen die Kantone machen. Es ist zu befürchten, dass die Vorlage im Ständerat scheitern oder im besten Fall sub­stan­ziell abgespeckt wird, sodass der Effekt der Erhöhung der Erwerbsanreize sich auch nicht einstellen wird. Worauf man dann sagen kann, man habe schon immer gesagt, dass es nichts bringt. Tatsächlich hat hier vielleicht Mitte-Ständerätin Andrea Gmür einen Punkt, die einmal sagte, dass es schon lange Gratis-Kitas gäbe, wenn die Männer für die Kinderbetreuung zuständig wären.

Für Mütter ist es schon lange nicht mehr einfach eine Frage der freien Wahl, ob sie arbeiten gehen oder nicht. Für jene mit geringem Einkommen war es das sowieso nie. Die Familien und die Mütter selbst sind nämlich auf das Einkommen angewiesen. Selbst jene, von denen man früher sagte, dass sie «nicht arbeiten gehen müssen». Denn jene wenigen Privilegien, die Frauen in einem patriarchalen Versorgersystem noch hatten, werden jetzt sukzessive im Namen der Gleichstellung abgeschafft. Das Rentenalter wurde erhöht, die Unterhaltszahlungen nach der Scheidung gesenkt. Und jetzt sollen auch die Witwenrenten gekürzt werden. Sprich: Eine nicht erwerbstätige Frau setzt sich im Fall einer Trennung oder eines Todesfalls des Mannes einem grossen Armutsrisiko aus. Tatsächlich ist die Altersarmut schon heute weiblich, insbesondere davon betroffen sind geschiedene und verwitwete Frauen. 

Ich halte die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen nach wie vor für eine zentrale Voraussetzung für die Gleichstellung. Dabei geht es nicht darum, dass man immer Vollzeit arbeiten muss und Auszeiten oder Unterbrüche nicht auch legitim sein können. Das Leben verläuft nun einmal nicht immer nach Plan. Aber die finanzielle Unabhängigkeit, und sei es auch nur die potenzielle, garantiert auch Freiheit. In einer Studie von Sotomo gab jede fünfte Frau an, dass eine Trennung aus finanziellen Gründen nicht möglich sei. Freiheit sieht anders aus. Und so zeigt sich auch hier: Ohne materielle Sicherheit ist Freiheit nicht möglich. Für diese Freiheit braucht es also die richtigen Bedingungen. Zum Beispiel eine adäquate Kinderbetreuung. Sind die grundlegenden Voraussetzungen für die Gleichstellung nicht geschaffen, sind all jene vermeintlich gleichstellungspolitischen Postulate wie die Angleichung des Rentenalters oder die Kürzung der Witwenrente eben nicht Gleichstellung, sondern letztlich Patriarchat ohne Galanterie. Was wohl durchaus einigen Herren vorschweben mag.

Wie ‹Watson› berichtet, liegt die Schweiz bei den Kosten für die externe Kinderbetreuung an der Spitze aller europäischen OECD-Länder. Bei einem durchschnittlichen Einkommen geht bei Vollzeit arbeitenden Paaren mit einem Kind über ein Viertel des Haushaltseinkommens für die Fremdbetreuung drauf. Damit ist die Kinderbetreuung nach Mieten und Krankenkassenprämien der drittgrösste Posten im Haushaltsbudget. Eine Investition in die Kinderbetreuung und auch in die Löhne und Arbeitsbedingungen des Betreuungspersonals, wie es die in der letzten Woche eingereichte Kita-Initiative der SP verlangt, würde neben der Entlastung der Eltern auch mehr Respekt und Anerkennung bedeuten für einen typischen unterbezahlten Frauenberuf. Und wäre damit auch ein praktischer Beitrag für Lohngleichheit.

Das Absurdeste an der Frage, warum man dann Kinder hat, wenn man sich nicht um die Kinder kümmern will, scheint mir aber die Vorstellung, dass es unbedingt das Beste für die Kinder wäre, wenn sich die Eltern – oder eher nur ein Elternteil – ausschliesslich um die Kinder kümmern würden. Es geht dabei auch nicht nur darum, dass eine frühe Förderung auch pädagogische Vorteile hat. Sondern darum, dass auch die besten Eltern allein einem Kind nicht alles geben können. Und dass es für ein Kind eine Bereicherung ist, andere Welten und Realitäten zu entdecken, andere Bezugspersonen kennen zu lernen. Und vor allem auch Zeit mit anderen Kindern zu verbringen. 

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