Tratschtanten / Diogenes

Zum Einstieg ein Persönlichkeitstest! Wenn Sie eine der folgenden Erfahrungen teilen, sind Sie wahrscheinlich eine Frau: 

a) Sie nehmen an einer Sitzung teil, deren Beginn durch allgemeines Schwatzen verzögert wird. Ein Kollege steht auf und meint, wenn die Tratschtanten jetzt auch noch still wären, könnte man anfangen. b) Nach längerem Zuhören melden Sie per Handzeichen einen Redebeitrag an, aber Ihre Kollegen übersehen Sie und sprechen bedächtig weiter. c) Der Sitzungsleiter schaut mehrfach demonstrativ auf die Uhr, während Sie sprechen. d) Sie haben Recht und legen schriftliche Belege vor, Ihr Kontrahent spricht jedoch dreimal so lang und setzt sich schliesslich durch. e) Wenn Sie versuchen, sich nicht ständig unterbrechen zu lassen, werden sie gemassregelt, sie liessen andere nicht ausreden. f) Man wirft Ihnen aggressive oder emotionale Rede vor. g) Ihr Beitrag wird überhört, bis ihn ein Kollege als seine Idee ausgibt. h) Sie mögen keine Zoten, weil Sie verklemmt sind. i) Egal, was sie wo tun, ein Mann erklärt Ihnen ungefragt die Welt.

 

Das aktuelle Heft der vpod-«Bildungspolitik» prangert solche nicht rational erklärbaren Hierarchisierungen als Mansplaining an. Das ist erfrischend unerhört. Viel zu lange haben Frauen den Fehler bei sich gesucht, sich mangelndes Durchsetzungsvermögen, Geschwätzigkeit, fehlende Ratio oder eine Opferhaltung einreden lassen. Hier wird das Mansplaining als Teil einer anerzogenen «toxischen Männlichkeit» thematisiert, die Frauen und Männer gleichermassen überfordert.

 

Andere Sorgen hat das Magazin des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbandes: Macht unser Schulsystem die Buben zu Bildungsverlierern, oder warum sonst brauchen sie doppelt so viel sonderpädagogische Unterstützung wie die Mädchen? So fragte es im Jubelmonat des Frauenstreiks. Und vermutet, dass der Bogen mit der Mädchenförderung nun wohl überspannt wurde. Die verweiblichte Bildungslandschaft werde dem männlichen Aktionsdrang zu wenig gerecht und stutze mit ihrem Bravheitsterror den jungen Güggeli zu sehr die Flügel, worauf sie verkümmerten. Zwar befindet man auch, Knaben hätten offenbar öfters psychische Beeinträchtigungen als Mädchen, was ihnen dienliches Lernverhalten erschwere. Der krude Biologismus, eine männliche Unterlegenheit könnte auf einer physiologischen Ursache gründen, liegt den AutorInnen aber fern. Sie verwerfen auch die simplizistische Annahme, Mädchen könnten es gleich gut oder besser, wenn man sie nur lässt, oder stereotyp weibliches Verhalten sei gar zielführender als stereotyp männliches. 

 

Nein, Bubenpädagogen und Margrit Stamm schlussfolgern einhellig, dass es jetzt dringend Lehrmittel braucht, die sich eingehender mit der Knabenseele befassen, und jungengerechtere Unterrichtsweisen, nämlich mit mehr Bewegung. Ich hege da so meine Zweifel. Vor meinem geistigen Auge erscheint unweigerlich Rodins Denker: Wie er – muskulös und alles – dasitzt, den Ellbogen aufs Knie und die Faust an die Stirn legt (und nicht etwa rumspringt und in die Luft boxt), während er denkt. Auch Walther von der Vogelweide studierte beim Stillsitzen daran herum, «wes man zer welte sollte leben». Natürlich gab es auch Diogenes, den «Aktionsphilosophen», und sein Weg immerhin steht doch jedem Knaben offen, der auf gesellschaftliche Konventionen pfeift, öffentlich masturbieren will und ein abenteuerliches Outdoor-Leben anstrebt.

 

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