Stadtklima und Uferschutz

Ja, aber anders: Der Zürcher Gemeinderat spricht sich gegen die beiden Stadtklima-Initiativen und gegen die Uferschutz-Initiative aus, nimmt aber die jeweiligen Gegenvorschläge an.

Die grösste Überraschung an der Gemeinderatssitzung vom Mittwochabend war für einmal nicht in eine Fraktions- oder persönliche Erklärung verpackt – sie bestand darin, dass es weder Fraktions- noch persönliche Erklärungen gab. Dies, obwohl am Mittwochnachmittag mehrere Parteien auf die Mitteilung des Stadtrats reagiert hatten, dass die Stadt in Witikon der Swisscanto-Anlagestiftung für 211 Millionen Franken 30 000 m2 Land samt dem darauf geplanten Projekt für eine Wohnüberbauung abkaufen konnte. Die Swisscanto wollte dort ursprünglich 370 Wohnungen bauen. Sie war aber auf das Parlament angewiesen, das eine Umzonung hätte bewilligen sollen. Die rot-grüne Mehrheit verlangte dafür einen Anteil an gemeinnützigem Wohnraum, doch die Anlagestiftung wollte dies offensichtlich nicht. Resultat: Swisscanto lässt es bleiben, und in Witikon entstehen gemeinnützige Wohnungen – deren Anteil liegt dort zurzeit bei gerade mal neun Prozent. In ihrer Medienmitteilung schreibt die FDP von einem «eklatanten Machtmissbrauch der rotgrünen Stadtrats- und Gemeinderatsmehrheit». Die Grünliberalen titeln, «dreist, dreister, Stadt Zürich». Die AL hingegen sieht eine «Chance für Witikon», und für die Grünen nimmt mit dem Kauf «eine leidige Geschichte eine überraschende und sehr gute Wendung». Auch die SP «begrüsst den Kauf sehr». Zusammengefasst: Dass Extrawürste extra kosten, ist normal – aber geht es nach den Bürgerlichen, soll die Stadt Privaten, die über die Bau- und Zonenordnung hinaus bauen wollen, all ihre Wünsche gratis erfüllen. Rot-Grün hingegen denkt an die Mehrheit, die an der Urne für das Drittelsziel gestimmt hat: Wie dreist ist das denn…

Stadtklima-Initiativen

Die zwei Stadtklima-Initiativen hatte der Verein umverkehR gemeinsam mit Partnerorganisationen in zehn Schweizer Städten lanciert. Die beiden Zürcher Initiativen – die Gute-Luft-Initiative und die Zukunfts-Initiative – wurden am 7. September 2021 eingereicht. Die Gute-Luft-Initiative verlangt «wirksame Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor den negativen Auswirkungen der Klimaerwärmung, konkret unter anderem die Umwandlung von Strassenflächen in Flächen für Bäume und Grünflächen, wie Kommissionspräsident Andreas Egli (FDP) ausführte. Nach Inkrafttreten sollen deshalb während zehn Jahren jährlich mindestens 0,5 Prozent der gesamten Strassenfläche im Referenzjahr 2021 umgewandelt werden, was 462 000 m2 entspricht. Der Stadtrat unterstütze das Vorhaben in der Stossrichtung, sagte Egli, doch «bei der aktuellen Bauleistung sind die Ziele nicht erreichbar». Die Leistung zu erhöhen, würde einen höheren CO2-Ausstoss und mehr Baustellen bedeuten, ja gar den «Zusammenbruch des Verkehrs inklusive öV». Deshalb sehe der Gegenvorschlag des Stadtrats die Umwandlung von 40 000 m2 innert zehn Jahren vor. Diesen Gegenvorschlag hat die Kommission jedoch noch überarbeitet. Resultat: Der Gegenvorschlag von SP, Grünen, GLP und AL kommt auf 145 000 m2 umwandelbare Fläche.

Anna Graff (SP) sagte, die vier Fraktionen hätten zusammen mit der Stadtverwaltung «umfassende Berechnungen» angestellt. Zu den Strassen-Neubauprojekkten gemäss stadträtlichem Gegenvorschlag im Umfang von 36 000 m2 zählen sie 3333 m2 des Programms 1 «Stadtgrün auf Strassen» dazu, ausserdem Grünflächen ohne Bauprojekt und ausserhalb dieses Projekts von ebenfalls 3333 m2. Dazu kommen 2000 Bäume à 40 m2 gleich 80 000 m2, die Umsetzung von Richtplaneinträgen (10 000 m2) sowie Aufenthaltsstrassen und Quartierblöcke mit Bauprojekt (8333 m2) und ohne Bauprojekt (7500 m2) – macht 148 500 m2, abgerundet 145 000 m2.

Die Zukunfts-Initiative stellte Carla Reinhard (GLP) vor: Sie verlangt, dass während zehn Jahren jährlich mindestens 0,5 Prozent der Strassenfläche in Flächen für den Fuss- und Veloverkehr sowie für Fläche mit Bevorzugung des öV umgewandelt werden. Auch hier finde der Stadtrat die Stossrichtung gut, doch sei die Umwandlung der geforderten Fläche in der geforderten Zeit «unrealistisch». Deshalb sieht der stadträtliche Gegenvorschlag die Umwandlung von 106 000 m2 statt der geforderten 462 000 m2 vor, wobei 60 000 m2 mit Express- und 100 000 m2 mit regulären Strassenbauprojekten umgesetzt werden sollen. Auch diesen Gegenvorschlag hat die Gemeinderatsmehrheit überarbeitet. Anna Graff zählte auf: Die Strassen-Neubauprojekte gemäss stadträtlichem Gegenvorschlag umfassen 100 000 m2, Flächen aus Strassen-Expressprojekten zur Optimierung für den Velo- und Fussverkehr 30 000 m2. Die «autofreie Ausführung von 50 km Velovorzugsrouten gemäss Gemeindeordnung» bringt weitere 250 000 m2. Aufenthaltsstrassen und Quartierblöcke mit Bauprojekt (12 500 m2) und solche ohne Bauprojekt (75 000 m2) kommen noch dazu – macht 467 500 m2, abgerundet 462 000 m2.

Derek Richter (SVP) fand diese Rechnung «total unrealistisch» und erklärte, es gehe nicht an, dass nur auf Flächen fürs Auto verzichtet werde: «Die einzelnen Verkehrsträger gegeneinander auszuspielen ist das Schlechteste, was man machen kann.» Zudem müssten dafür Hunderte Parkplätze aufgehoben werden. Für Michael Schmid (AL) hingegen gibt es in Sachen Strassen «nichts Frustrierenderes, als wenn sich nach monatelangem Baulärm das gleiche Bild zeigt wie vorher – nur Asphalt und Parkplätze». Auch Markus Knauss (Grüne) wies darauf hin, dass es vom Strassenbauprojekt bis zum fertigen Resultat zehn, fünfzehn Jahre dauern könne. Das müsse schneller und flexibler möglich sein. Carla Reinhard betonte, der motorisierte Individualverkehr nehme «überproportional viel Raum» ein. Diesen Raum gelte es nun umzuwidmen und zukunftsgerichtet zu planen. Schliesslich kamen beide gemeinderätlichen Gegenvorschläge mit je 75 gegen 38 Stimmen (von SVP, FDP und Mitte/EVP) durch. Die Vorlage geht nun noch an die Redaktionskommission. In seiner Medienmitteilung vom Mittwoch hat der Verein umverkehR bekannt gegeben, dass das Initiativkomitee die Initiativen zurückzuziehe, wenn die gemeinderätlichen Gegenvorschläge angenommen würden.

Auch die Uferschutz-Initiative stand noch zur Debatte: Sie verlangt, dass entlang der See- und Limmatufer keine Hochhäuser gebaut werden dürfen. Gemäss in der Kommisson verschärftem stadträtlichem Gegenvorschlag soll jedoch mit den Ufern aller städtischen Gewässer ein «sorgsamer Umfang» gepflegt werden, wie Kommissonssprecher Jürg Rauser (Grüne) ausführte. Zudem soll die «Zugänglichkeit» ebenso gesichert sein wie die «visuelle Durchlässigkeit und die Begrenzung der Verschattung und Versiegelung». Dies ganz einfach, weil nicht nur Hochhäuser imstande sein können, die Ufer zu verschandeln, sondern beispielsweise auch ein langer Riegel, der ‹nur› 25 Meter hoch ist. Gegen die Stimmen von SVP, FDP und Mitte/EVP kam der Gegenvorschlag durch.

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