Inselbegabung

Ohne Forschungsdrang könnten wir weder rollen noch fliegen, also behandelt «Stein sein» eine Vorwärts­bewegung.

Nur weil es einen Anschein kompletter Bescheuertheit erweckt, einem Stein das Sprechen beibringen zu wollen, muss das noch lange nicht bedeuten, dass die Bemühung a) ein nutzloses Begehren ist, b) unbedingt zum Scheitern verurteilt ist und c) nicht ein Nebenprodukt zutage fördert, das die Welt revolutioniert. Alles schon dagewesen. Die Naturwissenschaften lassen sich bekanntlich von Wahrscheinlichkeitsberechnungen nicht in ihrem Forschungsdrang bremsen. Und dieser, so zeigen die hier zusammengefassten Kurzgeschichten von Annie Dillard, zeigt seine individuelle Form der Ausprägung bereits in Kindesjahren und hat je nach weiterem Verlauf das Potenzial, zu einer ausgewachsenen Inselbegabung heranzureifen. Vivianne Mösli, Chantal Dubs und Dominik Blumer sind in «Stein sein» quasi bereits ein organisch integrierter Teil ihres Labors, ihrer Sammlung, ihrer Untersuchung. Weil jede gefundene Antwort fünf weitere Fragen zur Folge hat, gelangt jeder Forschergeist irgendwann an den Scheidepunkt, entweder a) im Kleinklein einer Spezialisierung, bis ins allergeringste Detail hinein Antworten auf alle Fragen zu finden oder b) den Fokus in sein Gegenteil zu verkehren und nach dem Umfassenden, dem grossen Ganzen, der Weltenformel per se zu suchen. Wobei sich weder das Vorgehen noch das Resultat zwingend als das jeweilige Gegenteil des anderen herausstellen müssen. Im dramaturgischen Arrangement von Manuel Bürgin beschleicht einen zusehends sogar eine der Grundannahme erneut zuwiderlaufende Vermutung, es handelte sich in jedem Fall und sowieso letztlich um dasselbe. Während die drei werkeln, wuseln, mäandern und musizieren entsteht mehr als bloss ein komisches Moment. Wohingegen eine grundlegende Verhöhnung einer dergestaltig ernsthaften Bemühung nicht erkennbar wird. Was als Belustigung empfunden werden kann, ist in einem übertragenen Sinne am ehesten vergleichbar mit einem Verlegenheitslacher, der wiederum zur Hauptsache für das erreichte Ende der Fahnenstange der eigenen Vorstellungskraft steht. Was uns in der Konsequenz als einzige durch und durch konditionierten Wesen vorführt, während das auf der Bühne handelnde Team vollkommen unbeirrt weiter daran arbeitet, die ganze Chose Universum etcetera für uns aus dem Schlam(-massel) zu ziehen oder es zumindest genügend begreiflich aufzuarbeiten, um dieses bisschen Ich in der ganzen Verlorenheit so zu verorten, dass eine zufriedenstellende Genügsamkeit einkehren kann. Insofern ist «Stein sein» ein Glücksgenerator bei der Arbeit, weil Glück entsteht, wenn man liebt, was man tut. 

«Stein sein», bis 24.3., Keller­theater, Winterthur.

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