Smartphonezombies

Ohne Bewegtbild findet weder ein Kinderlied noch eine Menschheitsrettung Beachtung. «Lieder die du sehen musst» von Riklin & Schaub ist bewährt trefflich unbequem.

Dem Auftaktscherz wächst zwar langsam ein Bart und drei Nummern stammen aus früheren Programmen, aber dafür passen sie dramaturgisch prima in den erneuten, optisch aufgehübschten Anlauf von Roman Riklin und Daniel Schaub, einen Zugang zur sich zunehmend unverständlicher gebärdenden Realität zu legen. Bedingt durch ihre gesteigerte Popularität erwächst nicht nur dem Dschungel der Digitalisierung eine schier unermessliche Herausforderung, auch die sich parallel dazu verhaltende Bereitschaft ihres Livepublikums, sie für all ihr Tun zu feiern und mitzusingen, führt aus Künstlerperspektive über kurz oder lang zur Sinnfrage – brauchts uns eigentlich noch? Diese Antwort ist schnell gefunden. Länger benötigte nur der Versuch, ihre hintersinnig-verschroben erscheinenden Ermahnungen aus dem Hinterkopf zu bekommen. Ihr lieblicher Kinderreim «Zehn kleine Smartphonezombies» mit der makaber heiteren Bildentsprechung von Mónica Santana wirkt auf Anhieb irrsinnig übertrieben. Bis einem wieder in den Sinn kommt, dass fernöstliche Grossstädte begonnen haben, die Fussgängersi­gnalisation in den Boden zu verlegen, weil der Blick weg vom Smartphone verbreitet als ein zu grosser Effort angenommen wird. Die zeitgenössische Reaktion auf jedwede Kritik, das affektierte Beleidigtsein, kontern sie mit einem «Mimimi»-Song, der niemanden davon ausnimmt, sich mit etwas Distanz nochmals damit beschäftigen zu müssen. Vergleichbar nahe an individuelle Schmerzgrenzen begeben sie sich mit ihrem «Fake-News»-Song, wozu sie unter vielem anderen auch «Gott hat die Erde und den Himmel erschaffen» zählen. Sie sind sich ihrer eigens geschaffenen Bredouille sehr wohl schmerzlich bewusst. Eine mögliche Exit-Strategie, via eine Kooperation in den Showbizolymp durchzustarten, scheitert an der Weigerung der angefragten Komiker:innen, die sie sich wiederum aneignen und eine ohrwurmverdächtige Nummer daraus schustern. Der zweite Anlauf zur Selbstrettung – filmisch animiert durch Marc Schippert – meint zeitgleich die Eigenbauchbepinselung wie auch eine Verballhornung der Überhöhung des Weltenretters von Ian Fleming. Dieses Showelement treibt einem die Tränen in die Augen, nur nicht aus Rührung. Wenn sie selber nicht bald von den Bakterien auf dem Touchscreen ihrer Telefone, wovor sie humoristisch warnen, flachgelegt werden, müssen sie wohl oder übel weitere Allerweltsbetrachtungen vertonen. Daran, dass Bedarf besteht, sind sie selber schuld.

«Lieder die du sehen musst», 9.11., Casinotheater, Winterthur.

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