Schutzraum

Nicolas Philibert zeigt den Alltag einer psychiatrischen Tageseinrichtung in Paris.

Es sind Typen, denen man, Hand aufs Herz, auf dem Dorfplatz oder im öffentlichen Verkehr sehr wohl kürzer oder länger zuhören, bei Gelegenheit dann aber doch auch erleichtert den Rücken kehren würde. Der Vorteil eines Kinosaals, der keine weiteren äusseren Einflüsse zulässt, manifestiert sich während den beiden Stunden «Sur l’Adamant» wieder einmal deutlich. Denn die potenziell als Gefahr der heillosen Überforderung wahrgenommene Vereinnahmung eines realen Gesprächsgegenübers besteht hier nicht. Insofern ist dies ein Film über einen Schutzraum, der zugleich als Schutzraum für die zaghafte Annäherung an die darin auftretenden Persönlichkeiten dient. Denn je nach Tagesform sind Aussagen von Protagonist:innen mal tendenziell wahnhaft, um später in eine recht treffliche poetische Umschreibung des menschlichen Daseins zu münden. Nicolas Philibert führt die Personen weder vor noch überhöht er ihre speziellen psychischen Anlagen zu etwas allein Liebenswertem. Es gibt Passagen, die bleiben intellektuell nicht fassbar. Dafür sind Fachpersonen an Bord des Hausbootes auf der Seine und das Korrektiv aller anderen Anwesenden. Denn hier wird alles im Kollektiv entschieden. Alle nach ihren Bedürfnissen befragt und alle dürfen ausreden. Es scheint, als habe hier niemand den Anspruch, alles vollumfänglich im Griff zu haben und deshalb irgend etwas besser zu wissen, also eine Art Deutungshoheit zu reklamieren. Konflikte in einem eskalierenden Sinn kommen hier keine vor, wohingegen sie sich im (Arbeits-)Alltag als durchaus vorkommend vorstellen lassen. Die Patient:innen musizieren, malen, planen die Finanzen, führen ein Café, organisieren ein Filmfestival und besorgen – gemäss Homepage – noch zahllose weitere Tätigkeiten von einer Radiostation über eine Zeitung bis hin zum therapeutischen Gesprächskreis. Es ist augenscheinlich, dass hier der Vorbildcharakter einer öffentlichen sozialen Einrichtung gefeiert wird. 

«Sur l’Adamant» spielt im Kino Houdini.

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