Amore über der Limmat

Nach dreimonatiger Sanierung ist der Mühlesteg wieder zurück in Zürich – und mit ihm die ersten Liebesschlösser.

Eine Handvoll Schlösser – von frechen Verliebten durch die Absperrung hindurch montiert – hängen schon am Mühlesteg, bevor Stadträtin und Tiefbauvorsteherin Simone Brander am Freitag das rote Band durchschneidet. Von ihnen abgesehen wirkt die Brücke am Limmatquai aber ziemlich kahl: Weg ist das farbenfrohe Durcheinander aus Messing- und Stahlschlössern, das bis im Sommer ihr Geländer geschmückt hat, der Maschendraht unbestellt wie eine löchrige Leinwand. Den ersten offiziellen Pinselstrich auf dieser Leinwand macht Brander gleich selbst: Ihr Vorhängeschloss, eine Liebeserklärung an Zürich, trägt das blau-weisse Stadtwappen auf dem silbernen Körper. Bald gesellen sich weitere Schlösser dazu – in Herzform und mit eingravierten Namen –, auf dem Steg herrscht reger Verkehr. Unter dem Fussvolk ist auch ein älteres Paar, das in der Mitte der Brücke ihr Liebesbekenntnis aufhängt. Der Bügel ist verrostet, die eingeritzten Initialen wegen der Verwitterung kaum noch lesbar. «Unser Schloss haben wir vor knapp zehn Jahren an der exakt selben Stelle angebracht», erzählt die Frau. Den Schlüssel habe sie glücklicherweise aufbewahrt und nicht traditionsgemäss in die Limmat geworfen. Schliesslich lande dort mit all den Velos schon genug Altmetall. 

Nur wenige Schlösser haben die Sanierung des Mühlestegs so unbeschadet überstanden. Mitte August konnten Paare ihre Schlösser noch von Tiefbaumitarbeiter:innen fachgerecht – also per Bolzenschneider – abmontieren lassen, dann sperrte die Stadt die Brücke. Das Angebot hätten rund 30 Personen genutzt, heisst es auf Anfrage beim Tiefbauamt, der grösste Teil der Schlösser sei unabgeholt geblieben. Wie viele von ihnen im Recyclingcenter gelandet sind, weiss das Tiefbauamt nicht genau – es dürfte sich aber um eine beachtliche Menge gehandelt haben: 2014 mussten beispielsweise in Paris über 45 Tonnen Vorhängeschlösser entsorgt werden, nachdem das Geländer des Pont des Arts vor lauter Liebe kollabierte. Dasselbe Schicksal widerfuhr einem Laternenpfahl auf dem historischen Ponte Milvio in Rom im Jahr 2006. 

Florentinische Student:innentradition

In Italien wird übrigens auch der Ursprung des Brauchs vermutet, genauer bei den Absolvent:innen der Sanitätsakademie San Giorgio in Florenz, die nach dem Ende der Ausbildung die Vorhängeschlösser ihrer Umkleideschränke an einer Brückenlaterne an der Ponte Vecchio befestigten. Von den Studierenden schwappte der Brauch zu den Verliebten, die mit dem Anbringen ihrer «Lucchetti d’Amore», dem Schwurspruch «per sempre» und dem Versenken der Schlüssel im Tiber, dem Po oder dem Arno die Unzerbrechlichkeit ihrer Liebe garantieren wollten. Der Bestseller-Roman «Tre metri sopra il cielo» von Federico Moccia aus dem Jahr 1992, in dem sich die zwei Protagonist:innen auf dieselbe Art und Weise die ewige Liebe schwören, verschuf dem Brauch Popularität über die Landesgrenzen hinweg und schliesslich, 2012, bis nach Zürich. Da er der Unterhaltsequipe des ­Mühlestegs aber nicht bekannt war, entfernte sie die ersten dort angebrachten «Lucchetti» wieder. Als die Bedeutung der vermeintlich mysteriösen Schlösser geklärt war, verfügte die damalige Stadträtin Ruth Genner, man solle die Schlösser hängen lassen.

Weniger Holz, mehr Beton

Der Grund für die Sanierung des Mühlestegs im Sommer war allerdings ein anderer: Eine Erneuerung des Rostschutzes war fällig, ausserdem wurden neue Gitter und Handläufe eingebaut, die Beleuchtung verbessert und die in die Jahre gekommenen Holzbohlen durch robustere Betonbohlen ersetzt. Dafür wurde die Brücke Ende August dreigeteilt, per Kran aus der Limmat gehoben und ins Werk nach Emmen verfrachtet. 

Drei Monate, 2,85 Millionen Franken und einen weiteren spektakulären Kran-Einsatz später ist der Mühlesteg wieder zurück am angestammten Platz. Noch sind mehr als genug Plätze zum Verewigen der Liebe frei. Wie viele Schlösser der Steg verträgt, konnte das Tiefbauamt bis Redaktionsschluss nicht beziffern. Allerdings sei die massgebende Stelle nicht die Brücke selbst, sondern die Festigkeit des Drahtgewebes, an der die Schlösser hängen – zusammenkrachen wird der Mühlesteg also nicht. Trotzdem dürften die metallenen Symbole der Liebe nicht «per sempre» an der Brücke hängen: Die Stadt behält sich vor, sie entfernen zu lassen, sollte das Geländer Schaden nehmen oder die nächste Sanierung fällig sein. 

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