Scheues Rehkitz

Aus der Zeit, als allein im Wald am umfassendsten Trost und Schutz gefunden werden konnte, stapft Phil Hayes in «Invited Ghosts» Orientierung suchend zurück in die sogenannte Zivilisation.

 

Schnee, Nebel, Geäst, Windgeräusche, Wolfsgeheul im Dämmerlicht und von irgendwoher eine Stimme – das Bühnensetting von Sina Knecht mit dem Licht von Jen Rosenblit erinnert an Film. Es verleiht der inhaltlichen Introspektion etwas Vorsichtiges, Zartes, Ungefähres. Und verstärkt damit die inhaltliche Introspektion eines absichtlich Ausgewilderten auf der Spurensuche nach einem Zurück. Es war die Zeitgleichheit eines Zuviel und eines Zuwenig, das ihn den Rückzug antreten liess. Aus Selbstschutz. Glücklicherweise zeigen die Zeichen aktuell wieder in Richtung Möglichkeit einer Eigensozialisation, eines Austausches, eines eventuell infrage kommenden Schmiedens neuer Pläne. «Invited Ghosts» umfasst Fragen einer Stunde-Null-Erfahrung. Wenn überhaupt zurück, in welches Bewusstsein? Finden die gekappten Enden von freundschaftlichen Verbindungen wieder zueinander und ist das in jedem Fall auch wünschenswert? Ist die unterdessen entwickelte Verschrobenheit überhaupt noch gesellschaftstauglich? Am Piano kitzelt Gessina Zinni alias Taimashoe sphärische Klänge aus den Saiten, dem Klangholz und den Pedalen. Manche Anschläge sind abrupt, bis zur Feindseligkeit unterkühlt metallen, um kurz darauf in eine freudig groovende Lebensfeier hinüber zu wechseln, was das emotionale Wechselbad des Textes in eine weit über die sprachliche Verständigung hinaus direkt vermittelt. Phil Hayes versucht, sich zu wappnen. Er verlässt die Tarnung, indem er sich Warnfarben umhängt. Ringt am Telefon um entschuldigende Worte, reiht Gedichte alias Songtexte gleich Wortkaskaden aneinander in der Hoffnung, damit eine Separation von Sinn von Unsinn herbeiführen zu können. Das Fragezeichen als dominierende Interpunktion bleibt genau wie der Fleischerhaken im Geäst bis fast zuletzt über allem schwebend hängen. Weniger als Damoklesschwert als vielmehr als symbolisches Offenhalten eines finalen Rückzuges. Die Verunsicherung ist kolossal, der Antrieb für die Resozialisierung gross, allein die früheren Begleiter Urvertrauen und Selbstsicherheit stehen seit der Isolation auf tönernen Füssen. Zwar erinnert er sich noch ihrer Standhaftigkeit, kann ihrer aber nicht gewiss sein. Er erinnert an ein scheues Rehkitz während dessen ersten Gehversuchen. Neugierig auf die Welt und durch seinen natürlichen Fluchtinstinkt ständig auf der Hut. Ein sinnlich intensiver Balanceakt.

 

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