Rechnung, Rente, «Renovate»

Auf dem Programm des Zürcher Gemeinderats standen die Jahresrechnung 2022 und der Geschäftsbericht der Asyl-Organisation Zürich, aber auch ein Pilotprojekt für kommunale Zuschüsse, die dafür sorgen sollen, dass AHV-Rentner:innen nicht aus finanziellen Gründen frühzeitig in ein Heim müssen.

Zu Beginn der Sitzung des Zürcher Gemeinderats vom Mittwochabend verlas Tanja Maag (AL) eine Erklärung ihrer Fraktion zum Polizeieinsatz am feministischen Streiktag (siehe auch Seite 10 dieser Ausgabe), genauer um die Reaktion der Polizei auf die Besetzung des Paradeplatzes am Mittag des 14. Junis. Die Polizei habe «äusserst rabiat» reagiert. Die AL fordere «einerseits eine unabhängige Strafuntersuchung gegen die beteiligten Polizist:innen, andererseits muss die Führung der Stadtpolizei zur Rechenschaft gezogen werden». Zudem forderte die AL «eine Suspendierung der Einsatzleitung und des Kommandos der Stadtpolizei, bis die Vorfälle aufgearbeitet sind». Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart reagierte nicht auf die Aufforderung von sowohl Yasmine Bourgeois (FDP) als auch Samuel Balsiger (SVP), zum Vorfall Stellung zu nehmen. Das ärgerte die Bürgerlichen. Eine ausführliche Stellungnahme ist jedoch bereits bestellt – AL, SP und Grüne reichten am Mittwoch eine entsprechende dringliche schriftliche Anfrage ein.

Steuern senken?

Der Geschäftsbericht 2022 der Asylorganisation Zürich (AOZ) und die Genehmingung der Jahresrechnung 2022 behandelte der Rat gemeinsam. Kommissionssprecherin Sanija Ameti (GLP) sprach von einem «herausfordernden Jahr» für die AOZ, einerseits wegen der vielen Menschen, die aus der Ukraine hierhin flüchteten, andererseits wegen der rekordhohen Zahl unbegleiteter Minderjähriger (MNA). Die AOZ befinde sich in einer «umfassenden Transformationsphase». Vor einem Jahr hatte sie zum gleichen Thema angemerkt, es mangle dem Bericht an (Selbst-)Kritik, er sei «mehr eine Imagebroschüre» (vgl. P.S. vom 24. Juni 2022). Dieses Mal sprach Sanija Ameti von einer «wesentlichen Verbesserung gegenüber dem letzten Mal». Mit 105 gegen 14 Stimmen (der SVP) genehmigte der Rat den Geschäftsbericht 2022 der AOZ. 

Dass die Jahresrechnung 2022 viel besser abschloss als budgetiert, ist keine News (vgl. P.S. vom 24. März), dass die Bürgerlichen Steuersenkungen fordern, auch nicht. Der Präsident der Rechnungsprüfungskommission (RPK), Florian Utz (SP), führte aus, gemäss Budget 2022 sei ein Defizit von 192,1 Millionen Franken vorgesehen gewesen: «Unter Berücksichtigung der Nachtragskredite von 91,7 Millionen Franken sowie der Globalbudgetergänzungen von 33,2 Millionen Franken ist das Ergebnis 2022 um 614,1 Millionen Franken besser ausgefallen.» Als Gründe dafür nannte er den Steuerertrag der natürlichen Personen, der um 104,8 Millionen über Budget lag, sowie die um 55,6 Millionen Franken höheren Steuern der juristischen Personen. Ebenfalls eingeschenkt haben die Grundstückgewinnsteuern mit einem Plus von 101,2 Millionen Franken. Der Selbstfinanzierungsgrad beträgt 79,2 Prozent. Positiv – wenn auch wohl ‹nur› aus finanzieller Sicht – wirkte sich zudem aus, dass im Jahr 2022 durchschnittlich 843,5 Stellen nicht besetzt waren. Das Eigenkapital der Stadt Zürich konnte auf 2,114 Milliarden Franken erhöht werden. Trotzdem blieben «Unsicherheiten», sagte Florian Utz mit Verweis auf die Übernahme der CS durch die UBS. Der Investitionsbedarf sei «anhaltend hoch», beispielsweise um das Netto-Null-Ziel oder das Drittelsziel beim gemeinnützigen Wohnraum zu erreichen.

Gegen die Genehmigung der Jahresrechnung 2022 stellte sich, auch das keine Überraschung, wie immer die SVP, für die Johann Widmer unter anderem ausführte, viele Stellen in der Stadtverwaltung könnte man einfach streichen. Für die Mitte-/EVP-Fraktion befand Markus Haselbach (Mitte), eine «moderate Steuersenkung für 2024» wäre «durchaus realistisch». Cathrine Pauli (FDP) schimpfte mit den Linken, die nicht akzeptieren könnten, dass die Stadt auch von der Wirtschaft und vom Immobilienhandel – Stichwort Grundstückgewinnsteuer – lebe. Zudem zeigte sie sich «schwer enttäuscht» darüber, dass es keine Steuersenkung gebe. Felix Moser (Grüne) erinnerte sie daran, das sei grad nicht das Thema: «Den Steuerfuss bestimmen wir im Dezember.» Und die Grundstückgewinnsteuer sei «gut für die Stadtkasse, aber schlecht im Hinblick auf bezahlbaren Wohnraum». Sven Sobernheim (GLP) hingegen befand, zwei Milliarden Franken Eigenkapital zu horten, statt die Steuern zu senken, sei keine gute Idee. Florian Blättler (SP) entgegnete ihm, dieses Geld werde nicht gehortet, sondern sei investiert, beispielsweise in Schulhäuser. Und Walter Angst (AL) erinnerte Cathrine Pauli daran, dass die Stadt die Grundstückgewinnsteuer nur einmal einnehme – die Mieter:innen aber zahlten immer. Schliesslich hiess die Ratsmehrheit die Jahresrechnung der Stadt, der AOZ sowie jene der Kongresshausstiftung, der Stiftung Wohnungen für kinderreiche Familien, der Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich, der PWG und von Einfach Wohnen gut.

Zuhause statt im Heim

Auf eine Motion von Marion Schmid und Sofia Karakostas (beide SP) sowie von elf Mitunterzeichner:innen geht die Vorlage zurück, die den Erlass einer «Verordnung über die Erprobung von Betreuungs- und Hilfsmittelzuschüssen für AHV-Rentnerinnen und -Rentner mit Zusatzleistungen» verlangt. Diese Zuschüsse sollen bezwecken, dass diese Menschen trotz Betreuungs- und Hilfsbedarf weiter zu Hause wohnen und verfrühte Heimeintritte vermieden werden können, wie Kommissionssprecher Ruedi Schneider (SP) ausführte. In der Debatte zeigte sich, dass man sich über die Modalitäten uneins war: Josef Widler (Die Mitte) forderte unter anderem ein Maximum von 500 Franken pro Monat statt der veranschlagten 800 Franken. Doch bei allen sechs Änderungsanträgen setzte sich die links-grüne Mehrheit durch. Die Vorlage geht nun an die Redaktionskommission.

Dafür, dass die Sitzung erst um halb elf Uhr zuende war, sorgte die SVP mit drei Postulaten zu «Strassenblockaden der Klima-Chaoten», zu einer «verursachergerechten Verrechnung der Kosten für Strassenblockaden» und zu einer «konsequenten Ahndung der Straftatbestände und der Störung des öffentlichen Verkehrs, die im Rahmen von Renovate Switzerland und Critical Mass begangen werden». Dazu nur soviel: Wenn die SVP weiterhin so viele Postulate einreicht – und wenn sich jedes Mal so viele Ratsmitglieder dadurch zu eigenen Voten provozieren lassen wie am Mittwoch –, dann muss der Rat bald jeden Samstag nachsitzen. Rein theoretisch wäre es zwar möglich, solche Vorstösse, die offensichtlich keine Mehrheit finden, einfach unkommentiert (oder natürlich auch nach ‹normal kurzer› Debatte …) abzulehnen. Aber «Parlament» kommt nun mal von «parlare»…

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