«Proletarische Tendenzkunst»

Kriege sind etwas für Helden und Kunst feiert die Sieger. Käthe Kollwitz (1867–1945) durchbrach diese scheinbare Logik und richtete ihren Blick auf die Unterdrückten, die Zivilgesellschaft, das intime Leiden. «Stellung beziehen» im Kunsthaus Zürich vermittelt ihre akribische Suche nach dem Wesentlichen.

Kohle, Tusche, Radierung, Lithographie, Holzdruck – jedes dieser Verfahren gehorcht eigenen Gesetzmässigkeiten, was die Betonung der Wirkung anbelangt. Jonas Beyer und Hannelore Fischer hängen für die Verdeutlichung von Kollwitz’ Suche nach dem eindringlichsten Ausdruck bei zahlreichen Themen diverse Stadien ihrer Formsuche als Serien nebeneinander. Das nicht so genannte Ziel einer ikonischen Lesbarkeit durch das scheinbare Paradox der Erlangung einer grösstmöglichen Symbolkraft durch die maximale Vereinfachung verleiht ihren Werken eine zeitlose Universalität. In diesem Ansinnen blieb sie als Künstlerin natürlich nicht allein. Aussergewöhnlich, und den Katalogessays gemäss mehrfach zum deutlichen Missfallen des deutschen Kaiserpaares und noch viel ausgeprägter während der nationalsozialistischen Diktaktur, war ihre inhaltliche Beschäftigung mit dem künstlerischen Reiz des Lebens des Proletariats, was sie rückblickend als nicht ursächlich aus sozialen Gründen, sondern allein der Schönheit wegen beschrieb. Richard Hamann kanzelte Kollwitz’ Kunst in seinem Standardwerk zu Kunstgeschichte von 1933 mit der lapidaren Zuschreibung «proletarische Tendenzkunst» ab und unterstellte ihr eine rückwärtsgewandte Sentimentalität, anstatt sich der «vorausweisenden Sachlichkeit» zu verschreiben. Gemäss Hannelore Fischers Einführung «lässt sich ihr Oeuvre keiner der grossen künstlerischen Strömungen des 20. Jahrhunderts zuordnen».

Freigeistige Kämpfernatur

Ihre sozialen Wurzeln in einer freikirchlichen Gemeinde, in der «die unbedingte Gewissensfreiheit des Einzelnen ebenso entscheidend sind wie die freie, sittlich-religiöse Selbstbestimmung» (Fischer), ihre Heirat mit dem sozialdemokratischen Arzt Karl Kollwitz, der in Berlin praktizierte und die zeitgenössischen Debatten über die Aufgaben der Kunst – Max Klinger nannte die Malerei zuständig für die Schönheit und die Zeichnung für die «Kritik mit dem Griffel» – lassen unter Berücksichtigung der Zeitläufte die zunehmende Politisierung von Käthe Kollwitz im Rückblick als eine logische Entwicklung erscheinen. Die Realität dürfte weit komplexer gewesen sein. Ihre kunstfertige Meisterschaft wird im Katalog inklusive ihrer Studien, Stipendien, Ernennungen und Auszeichnungen als weitum anerkannt beschrieben und lässt sich anhand der Exponate eindringlich überprüfen. Allein die Umstände waren disparat. Die Kriegsbegeisterung der Jugend, die sich wie einer ihrer Söhne freiwillig meldeten und im Kampfe fielen, stand als merklich euphorische Grundstimmung einem zu Tausenden erlittenen Elend des zu erfahrenden Todes eigener Kinder gegenüber. Dieser von aussen nur erahnbare Schmerz und die künstlerische Form- und Technikfindung damit bildet in der Ausstellung die grösste Serie und ist vermittelt ohne katholisch-mystisch überhöhenden Heiligenhintergrund zu jeder Zeit einen Stich ins Herz. Dergestalt auf den Punkt gebracht, ist die Furcht einer Obrigkeit vor einer wehrzersetzenden Wirkung solcher Darstellungen nur zu gut vorstellbar. 

Kritik ist subversiv

Bereits die ersten Serien, mit denen Käthe Kollwitz berühmt wurde, hatten zwar historisch-literarische Vorbilder, aber schon der «Weberaufstand» (Gerhard Hauptmann) oder «Bauernkrieg» (Wilhelm Zimmermann) zeigten Szenen der Auflehnung gegen die Misere, die ein Gros der Bevölkerung betraf. Ihr Ruf, so scheint es, veränderte sich aber erst posthum von der streitbaren Vorkämpferin zur nachgerade hellsichtigen Pionierin. Den Sprung ins Heute und die nochmalige Abstraktion unternimmt die Ausstellung mit raumgreifenden Interventionen von Mona Hatoum (*1948), die ihrerseits sehr viel stärker auf den Intellekt zielen, darin aber nicht minder die universelle Lesbarkeit im Sinn haben. Die drei Metalltürme «Burj I bis III» etwa sollen gemäss Jacqueline Burckhardt eine Anlehnung an das über Beirut thronende, seit dem libanesischen Bürgerkrieg kriegsversehrte Hotel Holiday-Inn haben, könnte aus einer anderen Perspektive aber gerade so gut auf dem Schrottplatz entsorgte, ausgeschossene Stalinorgeln meinen. Ein Unwohlsein bis nahe einer Bedrückung erhascht einen auch in Hatoums Werken recht unmittelbar, wohingegen die nachgerade physische Emotionalität von Käthe Kollwitz einen weitaus heftiger trifft. Die Wirkmacht von Käthe Kollwitz’ Werk durchdringt einen emotional fast wie Musik, der man sich auch nicht aktiv entziehen kann.

«Stellung beziehen – Kätze Kollwitz. Mit Interventionen von Mona Hatoum», bis 12.11., Kunsthaus Zürich. Katalog bei Hirmer.

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