Eine Stadt für Autos – oder für alle?
Der Zürcher Gemeinderat hat sich für Sofortmassnahmen für einen sichereren Schulweg am Escher-Wyss-Platz ausgesprochen – gegen die Stimmen der SVP. Überwiesen wurde auch ein Vorstoss zur Verhinderung von digitaler Gewalt.
An der Sitzung des Zürcher Gemeinderats vom Mittwochabend verlangten Markus Knauss (Grüne) und Carla Reinhard (GLP) mit ihrem dringlichen Postulat die «Verbesserung der Verkehrssituation rund um den Escher-Wyss-Platz für Schulkinder und weitere Verkehrsteilnehmende mit rasch umsetzbaren Massnahmen». Hintergrund des Vorstosses ist ein tragisches Ereignis: Im Dezember 2022 wurde dort ein Knabe, der auf dem Weg in den Chindsgi war, mutmasslich von einem Auto oder Lastwagen überfahren (P.S. berichtete). Die Ermittlungen zum Unfallhergang sind noch nicht abgeschlossen.
Markus Knauss erklärte, auf einstigen Industriearealen werde vermehrt gewohnt, so auch in der Nähe des Escher-Wyss-Platzes: Dieser sei heute ein Quartier-, wenn nicht gar ein Stadtteilzentrum und müsse entsprechend gestaltet werden. Zwar gebe es einen Schulwegplan, doch der Escher-Wyss-Platz sei für alle «schwierig» und insbesondere für Fussgänger:innen und Velofahrer:innen «sehr gefährlich». Unterdessen sei die Verwaltung «ein bisschen aus ihrer Lethargie erwacht», es gebe «immerhin eine Vorstudie», doch bis der Platz fertig umgestaltet sei, dauere es. Deshalb verlangten er und Carla Reinhard Sofortmassnahmen: Das könne beispielsweise ein Lotsendienst sein wie am Albisriederplatz, sagte Knauss, aber auch Tempo 30 – «und vielleicht sollten wir mutig sein und einen Versuch mit einem Spurabbau wagen», stellte er in den Raum.
Widerspruch von der rechten Ratsseite war ihm damit sicher: Stephan Iten (SVP) erklärte, dass Knauss, «der sowieso in der ganzen Stadt Tempo 30 möchte», aus diesem «tragischen Fall ein Politikum» mache und «mittels Salamitaktik» Tempo 30 fordere, sei «pietätlos». Dies umso mehr, als man immer noch nicht wisse, wie es zu dem Unfall gekommen sei. Dass er mit Tempo 30 nicht passiert wäre, sei jedenfalls «an den Haaren herbeigezogen». Zudem sei der Bub «nicht auf der richtigen Route» unterwegs gewesen, und überhaupt: «Wer war zuerst – die Strasse oder das Schulhaus?» Diese Schuldzuweisung gehe gar nicht, protestierte Tanja Maag (AL), die Umgebung dort müsste so oder so sicher sein. Und Carla Reinhard wollte sich den Vorwurf nicht gefallen lassen, den Unfall zu instrumentalisieren: «Ohne Druck gibt es keine Veränderung», hielt sie fest. Eltern hätten sich schon viel früher Sorgen gemacht wegen der gefährlichen Situation. Alles zu lassen, wie es sei, nur damit das Auto stets Priorität habe – das könne es nicht sein.
Stefan Urech (SVP) entgegnete ihr, sein Schulweg habe auch über den Escher-Wyss-Platz geführt, und es sei dort «nicht einfach». Aber was einem richtig den Puls hochtreibe, sei nicht die Überquerung der Strasse, sondern der Platz selbst, wo das Nebeneinander von vier Tramlinien, Velos, E-Scootern, Trottinetts etc. für Probleme sorge.
Andreas Egli (FDP) sagte, nach einem solchen Unfall müsse der Stadtrat die Sicherheit anschauen. Dabei könne er zum Schluss kommen, dass es Lotsen und Tempo 30 brauche, oder dass die Schulwegführung geändert werden müsse, oder dass man möglicherweise die Unterführung wieder öffnen müsse – was es sein werde, könne er auch nicht vorwegnehmen.
Sven Sobernheim (GLP) fasste sich gewohnt kurz: «Was war zuerst – Menschen, die zur Schule gehen, oder Autos?» Die Antwort sei einfach … Das wiederum fand Stephan Iten «ein bisschen billig»: Es brauche mehr Schulhäuser, weil mehr Menschen nach Zürich zögen, kurz: Die Masseneinwanderung ist mal wieder an allem schuld.
Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart betonte, dieser «komplexe Verkehrsknoten» brauche dringend eine Verbesserung. Dem Stadtrat sei auch klar, dass dort die zeitliche Koordination von Strassen- und Wohnungsbau nicht gestimmt habe. Seit dem Unfall bestehe ein enger Austausch mit dem Quartier, und es sei eine Arbeitsgruppe gebildet worden.
Bereits sei ein zweiter Fussgängerstreifen vor dem Schulhaus Heinrichstrasse markiert und bei der Tramhaltestelle an der Limmatstrasse eine «Füsschenmarkierung» angebracht worden, die den Kindern zeige, wo sie warten müssten. Tempo 30 sei angedacht, und im Winter starte die Mitwirkung der Bevölkerung für das neue Projekt, doch es werde erst nach der neuen Siedlung beim Tramdepot Hard fertig. Deshalb stehe als Notlösung ein Lotsendienst zur Diskussion. Der Rat überwies das Postulat mit 103:13 Stimmen, dagegen war nur die Autopartei … äh, die SVP, natürlich.
Mit ihrem Postulat forderten Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne) und Alan David Sangines (SP, nicht mehr im Rat) sowie vier Mitunterzeichner:innen ein Massnahmenpaket zur Verhinderung von digitaler Gewalt und zur Unterstützung von Betroffenen. Dass solche Gewalt ein Problem sei und etwas dagegen unternommen werden müsse, fanden zwar die meisten Redner:innen, nur Derek Richter witterte mal wieder «linke Vetterliwirtschaft» und einen «links-grünen Sumpf». Die GLP habe Stimmfreigabe beschlossen, sagte Sven Sobernheim: Wir hätten zwar ein Problem mit digitaler Gewalt, aber innerhalb seiner Fraktion sei man sich uneins, ob es eine städtische Aufgabe sei, dagegen vorzugehen. Für die FDP ist es das nicht, sie sagte deshalb Nein. Mit 75:42 Stimmen kam das Postulat durch.