Mit der Kettensäge in den Ständerat?

Das Leben der Bauern ist hart. Nicht die harte Arbeit, der geringe Verdienst, die mangelnden Ferien. Nein, es sind die vielen Formulare, mit denen Landwirt:innen am meisten zu kämpfen haben. Jedenfalls geht es Martin Hübscher so, Fraktionschef der SVP, Landwirt und neu gewählter Nationalrat. Zum Glück gibt es Gregor Rutz. Der Ständeratskandidat sorgt für praktische Abhilfe: Mithilfe einer Kettensäge macht er aus dem Büro von Martin Hübscher Kleinholz. Das ist – etwas verkürzt – der Inhalt eines Wahlvideos des Zürcher Bauernverbands für Gregor Rutz. Das Video schafft es vermutlich locker in die Top Fünf der Wahlvideos mit der meisten unfreiwilligen Komik. Fairerweise muss man sagen, dass Wahlkampfvideos sehr häufig damit operieren. Aber bei mir bleiben da ein paar Fragen offen: Was hilft Zersägen von Büromöbeln gegen Bürokratie? Warum glaubt der stets fein gekleidete Gregor Rutz, man nehme ihm die Arbeiterlatzhose ab? Aber ich bin auch nicht die Zielgruppe. Das Vorbild für das Antibürokratie-Kettensägen-Massaker könnte der libertäre argentinische Populist Javier Milei sein, der ebenfalls gerne mit der Kettensäge antritt. Macht aus dem Staat Sperrholzsalat sozusagen.   

Rutz kandidiert für den zweiten Wahlgang des Ständerats. Die freisinnige Regine Sauter hat ihre Kandidatur zurückgezogen. Hans-Jakob Boesch, abtretender Präsident der FDP Kanton Zürich macht dafür die Wirtschaftsverbände verantwortlich, wie er in einem Interview mit dem ‹Tages-Anzeiger› ausführte: «Die Wirtschaftsverbände sind am Montag nach dem ersten Wahlgang in die Verhandlungen eingestiegen mit der Aussage, sie unterstützten nur SVP-Kandidat Gregor Rutz, weil sie seine Chancen als höher erachten.» Boesch ist der Ansicht, dass Sauter die besseren Chancen gehabt hätte. Wenn Rutz nicht gewählt wird, «tragen die im Forum Zürich vereinten Wirtschaftsverbände die Verantwortung dafür.» Warum die Zürcher Wirtschaftsverbände lieber einen Gegner der Bilateralen Verträge hat als die ehemalige Direktorin der Handelskammer erschliesst sich mir auch nicht. Es muss die Kettensäge sein. 

Im Forum Zürich vertreten ist unter anderem der Gewerbeverband der Stadt Zürich, deren Präsidentin Nicole Barandun auch noch Co-Präsidentin der Mitte Kanton Zürich und ebenfalls neu gewählte Nationalrätin ist. Die Mitte Zürich beschloss auf Antrag des Co-Präsidiums eine Stimmfreigabe. Das ist doch halbwegs erstaunlich, da Tiana Angelina Moser als Kandidatin der Grünliberalen inhaltlich der Mitte nahesteht. Sie begründet die Nichtpositionierung wie folgt: «Wir pflegen in wirtschaftlichen Fragen seit vielen Jahren eine gute Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Ratsseite, in Fragen des Umweltschutzes und einer offenen Gesellschaft stimmen wir auch oft mit den Anliegen der Grünliberalen Partei überein. Leider hat sich der zweite Wahlgang sehr schnell von einer Personenwahl zu einem Lagerwahlkampf entwickelt. Angesichts dieser Entwicklung verzichtet die Mitte Kanton Zürich auf eine Empfehlung im 2. Wahlgang und beschliesst Stimmfreigabe. Die Mitte ist die relevante Stimme im Zentrum der Politik. Sie lässt sich daher getreu ihrer Haltung nicht auf polarisierende Lagerkämpfe zwischen Links und Rechts ein, sondern wählt den starken Weg der Mitte.» Der starke Weg ist also die Nichtpositionierung. Auf Freude stösst sie dabei bei niemanden. Boesch kritisiert sie denn auch im ‹Tages-Anzeiger›: «Die Mitte betreibt Rosinenpickerei. Für die Unterstützung ihrer wieder kandidierenden Regierungsrätin Silvia Steiner waren die FDP und die SVP gut genug. Jetzt weigert sich die Mitte, den Kandidaten der SVP und der FDP zu unterstützen.» 

Der grüne Kandidat Daniel Leupi hat sich aus dem Ständeratsrennen zurückgezogen. Dabei platzierte er im ‹Tages-Anzeiger› noch einen Seitenhieb an die SP: «Die Grünen wären hinter mir gestanden. Die SP hat aber klar signalisiert, dass sie auf die GLP-Kandidatin setzt.» Diese hatte offenbar den Grünen klargemacht, dass sie die Chancen, dass Tiana Moser gegen Gregor Rutz gewinnt, als grösser erachtet. Nun ist das mit der Frage des Potenzials immer so eine Sache. 2007 lag Chantal Galladé, damals noch SP-Ständeratskandidatin, nach dem ersten Wahlgang vor der Grünliberalen Verena Diener. Nach grossem öffentlichem Druck zog sie – eher widerwillig – ihre Kandidatur zurück. Verena Diener schlug sodann Ueli Maurer im zweiten Wahlgang und zog in den Ständerat ein. Es ist nicht unmöglich, dass es Chantal Galladé auch geschafft hätte. Nur lag eben Daniel Leupi nicht vor Moser, sondern hinter ihr zurück. Vor vier Jahren hatte es noch anders ausgesehen: Da hatte Marionna Schlatter das bessere Resultat als Tiana Moser erzielt. Das Resultat von Leupi ist daher nicht sonderlich gut, zumal er eine engagierte Kampagne führte und in seinem Komitee auch auf überparteilichen Support zählen konnte. Das kann daran liegen, dass bereits im ersten Wahlgang einige linke Wähler:innen für Moser anstelle von Leupi votiert hatten. Es kann aber auch sein, dass Zürcher Stadträte ausserhalb der Stadt Zürich nicht auf so viel Gegenliebe stossen. Auch Sepp Estermann, der ehemalige Stadtpräsident, schaffte es 2003 nicht, für die SP einen Ständeratssitz zu erobern. Dies obwohl die SP im gleichen Jahr in den Nationalratswahlen ein gutes Resultat erzielte. Die SP hat am vergangenen Donnerstag einstimmig die Unterstützung von Tiana Moser beschlossen. Damit erhielt die Grünliberale ironischerweise mehr Stimmen als die Nomination von Daniel Jositsch als Bundesratskandidat, der auf Widerstand von der Juso stiess. 

Damit hat sich die Ausgangslage einigermassen geklärt. Tiana Moser wird unterstützt von SP, Grünen, GLP, EVP und der Jungen Mitte. Gregor Rutz erhält die Unterstützung von SVP und FDP sowie von den Wirtschaftsverbänden. Die FDP-Frauen haben Stimmfreigabe beschlossen. Das wird aber nicht von allen freisinnigen Frauen goutiert. FDP-Kantonsrätin Linda Camenisch will nun ein bürgerliches Frauenkomitee für Gregor Rutz gründen. Diesem hat sich auch Mitte-Kantonsrätin und Neo-Nationalrätin Yvonne Bürgin angeschlossen. Womit auch ziemlich klar ist, wo sich die neue Zürcher Mitte-Delegation im Nationalrat positioniert. Auf jeden Fall nicht in der politischen Mitte. Eine Kommunikationspanne produzierte noch der Wirtschaftsverband Swissmem, der auf der Plattform LinkedIn zuerst Tiana Moser zur Wahl empfahl, aber später wieder zurückruderte. Warum nicht mindestens ein Teil der Wirtschaft Moser unterstützt, zumal die Beziehungen zur Europäischen Union für den Wirtschaftsstandort Zürich einigermassen elementar ist, verstehe ich auch nicht. Aber eben: Vielleicht ist dort die Zielgruppe des Kettensägen-Videos zu finden. Hauptsache den Staat zersägen. Mehr will man offenbar nicht.

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