Salamitaktik und Sonderdividenden
In Reaktion auf den letzte Woche verkündeten Stellenabbau in den Redaktionen der ‹TX Group› (P.S. berichtete) hat die Belegschaft am Dienstagmittag vor dem Hauptgebäude des Mutterkonzerns lautstark protestiert.
Ein beachtlicher Menschenauflauf hatte sich am Dienstag, kurz vor Mittag, am Stauffacher formiert – darunter viele Angestellte verschiedener TX-Publikationen, vor allem wohl von den am direktesten Betroffenen bei ‹20 Minuten›, aber auch Vertreter:innen der Gewerkschaft Syndicom sowie des Berufsverbands der Medienschaffenden Impressum. Sie protestierten gegen den Stellenabbau beim Medienkonzern, der vor allem die Gratispublikation ‹20 Minuten›, noch härter ihr französischsprachiges Pendant ‹20 Minutes› trifft. 80 Stellen sollen gestrichen werden. In einem Offenen Brief fordert die Personalkommission der Zürcher Redaktionen von TX-Verwaltungsratspräsident Pietro Supino und den anderen Verantwortlichen einen «Verzicht auf weitere Einsparungen bis 2025».
Management by Salamitaktik
Nach der Ansprache der Organisator:innen des Protests gab man das Mikrofon für TX-Angestellte frei, die etwas zu sagen hatten. Als erstes liess der Tamedia-Bundeshausredaktor Markus Häfliger seinem Ärger und vor allem aber seinen Sorgen freien Lauf: Er erlebe während seiner Zeit bei Tamedia nun die vierte Abbaurunde mit. Dabei seien das nur die offiziellen Runden – dazwischen hingegen geschehe ein kalter Stellenabbau. Vakanzen würden nicht ersetzt, Pensionierungen ebenso. Jeden Monat gebe es eine neue Geschichte. Das sei «Management by Salamitaktik». Nur: «Die Salami wird nicht offen geschnitten, sondern im Kämmerli, wo’s niemand sieht.» Das Novum hingegen sei, dass jetzt zum ersten Mal zugegeben werde, dass es die nächsten Jahre so weitergeht. Das führe zu monatelanger Unsicherheit bei der Belegschaft. Wenn jemandem mit 60 Jahren und Familie einfach gekündigt werde – wie es gerade in der Woche zuvor wieder passiert sei – schade das dem Arbeitsklima in jedem Unternehmen. In den Redaktionen habe sich eine negative Grundstimmung breitgemacht – was tödlich sei.
Syndicom-Vizepräsidentin Stephanie Vorarburg gab sich derweil kämpferisch. Es sei ein starker Protest. Und sie freute sich, drücke die Belegschaft ihre Wut, ihre Enttäuschung und ihren Ärger so stark aus: «Ich bin mir dessen bewusst, dass es einen gewissen Mut braucht, hier rauszukommen und zusammenzustehen.» Umso mehr freue es sie, dass so viele diesen Mut aufgebracht hätten.
Den Aktionären der hochprofitablen ‹TX Group› soll derweil wieder einmal eine Sonderdividende ausgeschüttet werden: 45 Millionen Franken. Genauso wie letztes Jahr. Und genauso wie wohl auch nächstes Jahr. Die klarsten Worte dazu hatte wieder der Tamedia-Bundeshausredaktor: «Ein Unternehmen, das so viel Geld rausnimmt und gleichzeitig so stark beim Personal kürzt, hat irgendwie die Balance verloren.»
Ganz am Rande: Dass man im ‹Tagesanzeiger› vom Montag derweil die Profitgier in den Chefposten der Pharmabranche kritisch beäugt, wirkt plötzlich etwas gar zynisch. Und dass im ‹20 Minuten›-Artikel vom Dienstag über die Protestkundgebung kein Wort von den Dividenden geschrieben wird, mindestens ironisch.
Automation und Dividenden
Die Kürzung der Stellen soll laut ‹20 Minuten›-Mitteilung von letzter Woche, als der Abbau öffentlich verkündet wurde, das inhaltliche Angebot nicht verringern. Wer fängt das also auf? Die 20 Minuten-Gruppe will zum Beispiel auf «neue technologische Möglichkeiten» setzen. Interessant dabei ist ein Blick in den Blog des «Head of Newsroom Automation» bei ‹Tamedia›, Timo Grossenbacher. Darin – das hat zwar nicht direkt mit dem Abbau zu tun – legt er dar, was bei Tamedia redaktionell bereits automatisiert werden konnte. Darunter zum Beispiel 20 000 Inhalte. Zwar sind das nicht die grossen Recherchen, sondern personalisierte Informationen zum Beispiel zu Wahlresultaten in Gemeinden – dennoch ist es bemerkenswert, wie die ‹TX Group› auf neue technologische Möglichkeiten reagiert: Nicht mit Entlastung, die dadurch der Belegschaft zugute kommen könnte, die sowieso schon unter Dauerstress stehe, nicht mit mehr Zeit für qualitativ hochwertige Inhalte, sondern mit Überlegungen, wie man das redaktionelle Angebot dank neuer Technologie beibehält – und ebenso wohl auch die Sonderdividende. Oder kurz also, wie man sparen kann. Das trotz der tiefschwarzen Zahlen des Mutterschiffs.
Dass das nicht nur schade, sondern auch eine existenzielle Bedrohung für Qualitätsjournalismus ist, erkennt man auch bei der ‹20 Minuten›-Belegschaft. Und man appelliert an die Schweizer Bevölkerung: «Euer Journalismus stirbt. Er stirbt scheibenweise, nur hat das die Bevölkerung noch nicht bemerkt.» Und gleichzeitig überleben lediglich diejenigen mit finanzstarkem Geldgeber oder vielleicht jene mit besonders treuen Leser:innen. Man wisse, dass Sparmassnahmen nötig sind – aber nicht wieviel. Der Plan sei intransparent, und ebenso, ob es einen Plan übers Sparen hinaus gebe. Das Fazit: Die Angestellten zahlen, für das Management ändert sich nichts.