Mehr Solarenergie oder noch mehr Bremsmanöver?

Der Bundesrat hat am Mittwoch die Vernehmlassung zu einem Verordnungspaket zur Vorlage für eine sichere Stromversorgung eröffnet. Die SVP profiliert sich derweil als Verhindererin der Energiewende, und die Grünen wollen im Juni eine Solarinitiative starten.

«Wir brauchen Nägel mit Köpfen in der Klimapolitik», schrieb der Co-Präsident der Grünen Kanton Zürich, Simon Meyer, letzte Woche in seinen Grünen Gedanken im P.S.: Längst sei in der Bevölkerung angekommen, dass die Klimaerhitzung gefährlich sei für uns Menschen: «Auch mehrheitlich anerkannt wird, dass der grösste Treiber der Klimaerhitzung die fossilen Energieträger (Kohle, Erdöl, Erdgas) sind.» Nun brauche es gute Lösungen – und deshalb fordern die Grünen eine «Solarbaupflicht auf Neubauten und erheblichen Umbauten auf geeignete Dächer, Fassaden und Infrastruktur». Das wollen sie mittels ihrer Solarinitiative tun, einer eidgenössischen Volksinitiative, die sie Mitte Juni starten werden.

Einen Schritt vor, zwei zurück …

Warum sind solche Forderungen eigentlich noch nötig, wo sich doch bereits am 21. Mai 2017 58,2 Prozent der Abstimmenden für die Energiewende und gegen den Bau neuer AKW ausgesprochen haben? Die Frage hätte man schon damals stellen können, wie ein Blick ins 2013 erschienene Buch von Hanspeter Guggenbühl mit dem Titel «Energiewende. Und wie sie gelingen kann» zeigt.

In der Einleitung denkt Guggenbühl darüber nach, wie die Lücke gestopft werden solle, «die der langfristige Ausstieg aus der Atomenergie und die Reduktion des Öl- und Gasverbrauchs aufreisst». Die Antwort liefere der Bundesrat in seiner Energiestrategie 2050, und die Vorlage dazu habe der Bundesrat im Herbst 2012 in die Vernehmlassung gegeben, hält Guggenbühl fest und beschreibt, worüber damals gestritten wurde. Und siehe da – über ein Jahrzehnt später tönt die Passage topaktuell: «Die Atomlobby lehnt das Verbot von neuen Atomkraftwerken ab. Die Öllobby bekämpft höhere CO2-Abgaben. Die Umweltallianz fordert hundert Prozent erneuerbare Elektrizität. Die Lobbys der Solar- und Wind- und Wasserkraft wünschen mehr Subventionen. Naturschützer wehren sich gegen Kleinwasserkraftwerke, die der Natur noch mehr Wasser abgraben. Landschaftsschützer laufen Sturm gegen Windparks. Die Industrie fordert billigen Strom. Die Stromwirtschaft fürchtet um ihre Profite. Der Wirtschaftsverband Economie­suisse lehnt die Strategie rundweg ab und malt den Untergang der Schweizer Wirtschaft an die Wand. Auch SVP und Teile der FDP machen auf Totalopposition.»

Und so ging es seither weiter: Das mit der Abstimmung vom 21. Mai 2017 beschlossene Energiegesetz samt AKW-Neubauverbot trat zwar per 1. Januar 2018 in Kraft. Atomlobby, SVP und weitere Bürgerliche hatten es vor jener Abstimmung vehement bekämpft, und ihre Niederlage haben sie auch knapp sieben Jahre später nicht verdaut: Auf das im eidgenössischen Parlament mit viel Mühe erarbeitete und im Herbst 2023 verabschiedete «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien», den sogenannten Mantelerlass (P.S. berichtete), folgte das Referendum. Offiziell ergriffen hat es zwar nicht die SVP, aber es wäre eine ziemliche Überraschung, wenn sie es nicht unterstützen würde. Am 9. Juni stimmen wir deshalb ab – für den Urnengang wird das Geschäft «Vorlage für eine sichere Stromversorgung» heissen, wie auf der Webseite des Bundes (www.admin.ch) nachzulesen ist.

Vernehmlassung gestartet

In seiner Medienmitteilung vom Mittwoch hat der Bundesrat den Start der Vernehmlassung zum Verordnungspaket verkündet, das mit der Vorlage für eine sichere Stromversorgung mit erneuer­baren Energien zusammenhängt. Weiter findet sich dort die Erklärung dafür, weshalb die Vernehmlassung bereits vor dem Abstimmungstermin gestartet wurde: «Falls die Vorlage angenommen wird, soll sie auf den 1. Januar 2025 in Kraft gesetzt werden. Dazu muss die Vernehmlassung zu den Umsetzungsverordnungen bereits vor der Volksabstimmung durchgeführt werden. Die Vernehmlassung dauert vom 21. Februar bis zum 28. Mai 2024.» Und weiter: «Im Falle einer Annahme des Referendums würden die Arbeiten an den Verordnungen eingestellt und die Gesetze und Verordnungen unverändert belassen.» Oder anders gesagt: Vielleicht geht es ab 2025 endlich vorwärts. Oder die bürgerliche Verzögerungstaktik und das unermüdliche Geschrei nach neuen AKW gehen mit unverminderter Lautstärke weiter.

«Lieber wärmer als kälter»?

Ganz aus der Luft gegriffen sind Befürchungen, dass letzteres eintreten könnte, nicht. In der ‹NZZ am Sonntag› vom 18. Februar wurde der praktisch bereits zum neuen SVP-Präsidenten gewählte, da als einziger Kandidat antretende Nationalrat Marcel Dettling interviewt. Er sagt unter anderem, es sei ihm lieber, wenn es wärmer werde als kälter, denn für die Bauern sei die Klimaerwärmung nicht schlecht. Die in seiner Heimat Oberiberg (SZ) geplante grosse Solaranlage lehnt er ab. Bereits im Parlament hat er Nein gestimmt zum Mantelerlass, und unter ihm wird die SVP das Referendum unterstützen. Im selben Interview wird erwähnt, dass Dettling die Volksinitiative «Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)» unterstützt. Diese Initiative, die letzte Woche eingereicht wurde, will das AKW-Neubauverbot aufheben. Speziell am Initiativtext ist, dass darin Begriffe wie «AKW» oder «Kernkraft» überhaupt nicht vorkommen. Auf der Webseite blackout-stoppen.ch heisst es ganz unverfänglich, «um die Versorgung mit Strom auch im Winter sicherzustellen, darf es keine Technologie- und Bewillungsverbote geben.»

Dazu nur soviel: Wie auf der Webseite der schweizerischen Stromnetzbetreiberin Swissgrid (swissgrid.ch) erklärt, werden die Begriffe «Strommangellage» und «Blackout» zwar umgangssprachlich häufig wie Synonyme verwendet, haben aber unterschiedliche Bedeutungen. «Im Gegensatz zur Stromangellage ist bei einem Blackout in der Regel genügend Energie vorhanden, um die Nachfrage zu decken. Eine Verkettung unglücklicher Umstände führt aber dazu, dass die Energie nicht mehr vom Kraftwerk zu den Konsumentinnen und Konsumenten transportiert werden kann. Wenn zum Beispiel ein Naturereignis zum Ausfall von Netzelementen führt, kann dies eine Überlastung anderer Elemente zur Folge haben, die sich dann automatisch abschalten.» Die Initiant:innen wollen mit dem «Blackout» also eine Verkettung unglücklicher Umstände stoppen, die zu einer automatischen Abschaltung führen kann, obwohl eigentlich genügend Strom vorhanden wäre. – Wann kommt wohl die Initiative, die verlangt, dass die Restwassermengen künftig automatisch – und selbstverständlich frei von «Technologieverboten» – wieder nach oben in die Stauseen fliessen sollen?

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.