Lukullisch

Wenn Essen der Sex des Alters ist, ist dessen Zubereitung die orgiastische Zugabe.

Pro-Tipp: Nicht hungrig in diesen Film, denn Tràn Anh Hùng zelebriert in «Pot-au-feu» während zweier Stunden die sinnliche Hingabe der Verwandlung von Pflanzen und Tieren in raffiniert opulente Mahle. Der Aufwand dafür ist in einer Schlossküche im ausgehenden 19. Jahrhundert so kolossal, wie die einzelnen Kreationen allein ein Höchstmass an sensorisch ausgewogenen wie zugleich überraschenden Geschmacksexplosionen im Sinn haben. Den Schlossherrn Dodin (Benoît Magimel) und die Kochvirtuosin Eugénie (Juliette Binoche) verbindet über diese überaus sinnlich anregende Arbeit hinaus auch eine körperliche und emotionale Anziehung, die indes als erlebte Freude in beiderseitiger Innigkeit nicht an jene des Kocherlebnisses inklusive vollends darauf fokussiertem Verzehr heranreicht. Die Magd Violette (Galatea Bellugi) bringt mit Pauline (Bonnie Chagneau-Revoire) eine Freundin mit in die Küche, die über ein ausnehmend ausgefeiltes Sensorium ihres Geschmacks- und Geruchssinns verfügt, dass Dodin sie unbedingt in die Lehre nehmen möchte, was deren Eltern indes für noch viel zu verfrüht halten. Die Enttäuschung darüber, eine solch herausragende Begabung nicht weiter fördern zu können, erscheint Dodin als grösstmögliches Drama. Allerdings nur bis Eugénie ernsthaft erkrankt und die Ärzte ihr eine nur geringfügige Aussicht auf Genesung attestieren. Eine Herrenrunde nobelster Herkunft und angesehenster Berufe bilden mit Dodin eine Expertenrunde des gepflegten Tafelns, die auch von ausserhalb um ihr Verdikt erbeten werden. Die Genüsse erlesener Speisen und Getränke bestimmen nicht nur das Tagwerk, sondern auch die Konversation, alles dreht sich um die Raffinesse des Speisens. Verblüffend ist, wie es Tràn Anh Hùng gelingt, an sich profane Handgriffe und Blicke in Töpfe und Öfen in eine optische Orgie zu verwandeln, die einem regelrecht das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt.

«Pot-au-feu – La Passion de Dodin Bouffant» spielt in den Kinos Le Paris, Piccadilly. 

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