«Männer sind richtige Angsthasen»

Das Männerbild ist im Umbruch. Das spüren auch Timo Jost und Christoph Gosteli. Im Podcast «Wurst-Käse-Salat» reflektieren sie ihre eigene Männlichkeit, besprechen das Phänomen «Bromance» oder teilen Erfahrungen, die sie bei ihrer Arbeit im Zürcher Mannebüro machen. Isabel Brun hat sie zum Gespräch getroffen.

Was hat ein Gericht wie Wurst-Käse-Salat mit Männlichkeit zu tun?

Timo Jost: Für mich steht es sinnbildlich für den traditionellen Blick auf Männer, man gibt ungesunde Zutaten wie Wurst und Käse zusammen in eine Schüssel, mischt Sauce darunter und bezeichnet es als Salat. 

Christoph Gosteli: Es ist absurd. Männer sterben früher, weil sie Wurst-Käse-Salat essen. Im übertragenen Sinne natürlich. Aber was wir damit sagen wollen: Toxische Männlichkeit macht krank. 

Deshalb braucht es einen weiteren Podcast von zwei weissen, männlich gelesenen Personen?

C. G.: Nein, eigentlich braucht es ihn nicht. 

T. J.: Wir haben uns lange Gedanken dazu gemacht, ob wir das wirklich machen wollen. Aber wir glauben, der Inhalt legitimiert das Produkt. Wenn wir im Podcast über Bitcoins oder Autos reden würden, wäre es etwas anderes. Wir wollen nicht Stereotypen reproduzieren, sondern diese kritisch hinterfragen.

Ist das der Grund, weshalb Sie über lackierte Fingernägel sprechen?

C. G.: Alles, was wir im Podcast besprechen, beschäftigt uns auf einer professionellen sowie persönlichen Ebene. So war es auch beim Thema Nagellack. Im Rahmen eines Workshops im Mannebüro malten alle ihre Fingernägel an – auch ich. Nach wenigen Stunden fühlte ich jedoch ein Unbehagen und entfernte die Farbe wieder.

Warum?

C. G.: Wenn ich meine Nägel lackiere, dann mache ich das noch im Sinne einer Provokation und/oder aus Solidarität. Dadurch komme ich gar nicht bis zum Punkt, herausfinden zu können, ob es mir an mir ästhetisch gefällt oder nicht. 

T. J.: Dabei wäre die Praxis an sich ja nicht an ein biologisches Geschlecht gebunden, sondern wurde von der Gesellschaft einfach weiblich gelesenen Personen zugeschrieben. Wir wollen unseren Teil dazu beitragen, dass dieses Skript überschrieben wird. 

Und davon profitieren auch die Männer?

T. J.: Es scheint zynisch, aber auch die Männer selbst leiden unter toxischer Männlichkeit. In unserem Berufsalltag erleben wir immer wieder, dass Männer in Gesprächen mit uns unter Tränen davon erzählen, wie belastend es sei, gegen aussen stark zu sein, während sie eigentlich komplett überfordert sind mit ihrer Situation. Das ist nicht nur tragisch für die Männer, sondern für die gesamte Gesellschaft, weil die ständige Hilflosigkeit in Aggressionen auf andere enden kann. Es ist deshalb wichtig, dass man auch die Sorgen der Männer ernst nimmt.

Als Frau fällt es mir zugegeben etwas schwer, Männer als Opfer im Diskurs zu sehen. 

C. G.: Ich glaube, das geht auch vielen Männern so. Doch es ist entscheidend, anzuerkennen, dass wir in einer Gleichzeitigkeit leben: Männer sind Täter und Opfer zugleich. Sie unterwerfen sich der Männlichkeit und erlangen im Gegenzug mehr Macht. Wobei man dabei ‹die Männer› mit einem intersektionalen Blick betrachten sollte. Es ist ja nicht eine homogene Gruppe.

T. J.: Der Geschlechterforscher und Leiter von Männer.ch, Markus Theunert, sagte vor Kurzem in einem Interview, dass ein Mann Insasse und Wärter einer Gefängniszelle gleichzeitig sei. Ein starkes Bild, wie ich finde, obwohl der Vergleich auch ein wenig hinkt. 

Inwiefern?

T. J.: Weil daraus nicht ersichtlich wird, wer genau in der Zelle sitzt. Es sind ja nicht nur die Männer. Die ganze Gesellschaft leidet unter dem Patriarchat.

Wenn Sie sagen, dass Männer ebenfalls da­runter leiden, weshalb weigern sich noch immer so viele, sich mit ihrer Männlichkeit auseinanderzusetzen?

C. G.: Dahinter stecken wohl mehrere Faktoren. Zum einen haben viele Männer Angst, dadurch ihre Privilegien zu verlieren, zum anderen fehlt vielen wohl noch ein dringender Grund. In den meisten Lebensbereichen ist es auch heute nicht nötig, dass sich Männer für Feminismus einsetzen müssen, weil unser System Männer bevorzugt. Besonders gut sichtbar wird das, wenn Kinder ins Spiel kommen. 

T. J.: Die Familiengründung verstärkt das traditionelle Rollenbild und somit auch die toxische Männlichkeit.

Haben Sie ein Beispiel?

C. G: Bei der Frage nach der Kinderbetreuung respektive Teilzeitarbeit sieht man das sehr deutlich. Zwar gibt es mittlerweile Väter, die weniger arbeiten und mehr Zeit mit ihrem Nachwuchs verbringen wollen, aber wenn sie auf den kleinsten Widerstand stossen, die Flinte wieder ins Korn werfen. Nach dem Motto: «Ich habe es probiert, aber mein Chef lässt mich nicht.» Mit der Konsequenz, dass sich Frauen, inter, nonbinär, trans und agender Personen – kurz Finta-Personen – anpassen müssen. Damit machen es sich Männer viel zu einfach. 

Die grosse Frage lautet also: Wie schaffen wir es, dass Männer anfangen, sich selbst zu reflektieren?

T. J.: Eine wichtige Lösung findet sich in der Sozialisierung von männlich gelesenen Personen. Denn um zu hinterfragen, welchen Einfluss sein eigenes Handeln hat, muss man die Fähigkeit besitzen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Man muss die Perspektive wechseln können. Weil jedoch viele Männer in ihrer frühen Kindheit wenig Mitgefühl erfahren haben, fällt ihnen das schwer. Das kommt nicht von ungefähr: Fällt ein Mädchen um, reagieren Erziehungsberechtigte Studien zufolge mit mehr Empathie, als wenn ein Junge umfällt und weint. Solche Erlebnisse bilden den Grundstein, wie ein Individuum später im Leben mit Gefühlen umgeht. 

Und Sie wurden als Kinder mit einer Extraportion Liebe und Mitgefühl behandelt – oder weshalb schaffen Sie es, Ihre Männlichkeit zu reflektieren und andere Männer schaffen es nicht?

C. G.: Mir hat sicher geholfen, dass ich in einem Umfeld gross geworden bin, in dem man über Emotionen gesprochen und Konflikte offen ausgetragen hat. Das war sicher ein Privileg. Aber viele Einsichten kamen erst über die Jahre hinweg, durch Gespräche mit weiblich gelesenen Personen. Es ist ein Prozess, bei dem du viel zuhören musst. Du wachst nicht eines Morgens auf und kannst es: Du lernst es, bis du stirbst. 

T. J.: Ich würde nicht abschliessend sagen, dass ich das kann. Aber ich habe sicher gelernt, mutiger zu sein. Vielen Männern fehlt der Mut.

Dabei wäre das ein sehr männliches Attribut. 

T. J.: Das stimmt. Aber geht es darum, Gefühle oder Bedürfnisse zu kommunizieren, sich für Minderheiten einzusetzen oder belästigendes Verhalten zu benennen, sind Männer richtige Angsthasen. Das frustriert mich manchmal sehr, weil es Türen verschlossen hält, die uns weiterbringen könnten.

Wie wichtig schätzen Sie dabei die Rolle von Finta-Personen ein?

C. G.: Ich finde es höchst problematisch, an dieser Stelle wieder Finta-Personen in die Verantwortung zu ziehen. Neben dem ständigen Ringen um Gleichberechtigung sollen sie nun auch noch uns Männern erklären, was sexistisch ist und was nicht? Das ist doch Quatsch. In der Regel sind es Männer, die übergriffig sind – und die meisten von ihnen wissen, dass das nicht in Ordnung ist. Für sein eigenes Handeln Verantwortung zu übernehmen, wäre das Mindeste. 

T. J.: Was helfen kann ist, wenn Finta-Personen sich bei klaren Abmachungen radikal aus der Verantwortung nehmen. Damit Männer lernen, mitzudenken. Das ist besonders in der ‹Traditionsfalle› Familiengründung wichtig. 

Weil der Mental Load sonst bei den Müttern landet?

T. J.: Genau. Sobald Kinder da sind, nimmt das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern zu. Zum einen aufgrund der strukturellen Begebenheiten, zum anderen, weil wir mit einem gewissen Rollenverständnis sozialisiert wurden. Nicht in diese Rollen zurückzufallen, ist schwierig, für Mütter wie für Väter. 

C. G.: Das will ich gar nicht dementieren. Und trotzdem ist es mir wichtig, noch einmal zu betonen, dass es Frauen geschafft haben, sich trotz der widrigsten Umstände politisch zu organisieren und eine feministische Bewegung aufrechtzuerhalten. Deshalb regt es mich auf, wenn man beim sogenannten Papi-Tag von einer sozialen Errungenschaft spricht. Das ist er nämlich nicht.

Für einige wäre ein Papi-Tag schon zu viel des Guten. Frauenhasser wie Andrew Tate haben gerade in den Sozialen Medien Hochkonjunktur. Gleichzeitig fangen Männer an, Röcke zu tragen. Wen wollen Sie mit Ihrem Podcast ansprechen?

T. J.: Sie nennen zwei Extreme. Es ist aber nicht schwarz-weiss, sondern es gibt ganz viele Graustufen dazwischen. Wir versuchen deshalb immer verschiedene Flughöhen aus, damit möglichst viele Männer an unseren Gedankengängen teilhaben können. Eine Zielgruppe im engeren Sinn wollen wir deshalb gar nicht definieren. Was man vielleicht sagen kann ist, dass unsere Themen tendenziell für Zuhörer spannend sind, die sich bereits mit ihrer eigenen Männlichkeit beschäftigen oder zumindest interessiert daran wären, das vermehrt zu tun.

Dreht man sich so nicht im Kreis? Eigentlich wäre es doch wichtig, jene Männer anzusprechen, die noch nicht mit der Thematik vertraut sind.

C. G.: Für mich fühlt es sich nicht an, als ob wir uns im Kreis drehen. Im Gegenteil: Ich sehe viel Potenzial in diesem Bereich. Weil es immer mehr Männer gibt, die langsam aber sicher einsehen, dass das Patriarchat auch für sie Nachteile bringt. Diese Entwicklung spüren wir auch in den Beratungen, die wir im Mannebüro machen. Zudem finde ich die Begegnungen mit Männern, die ein ganz anderes Verständnis von Gleichstellung haben als wir, sehr bereichernd. Sofern man sich mit Respekt begegnet, lässt sich über vieles diskutieren.

T. J.: Wir alle sind Menschen mit Bedürfnissen, sind unterschiedlich sozialisiert worden und haben verschiedene Lebensrealitäten. Ich glaube, damit wir als Gesellschaft wachsen können, ist es wichtig, dass wir miteinander ins Gespräch kommen und versuchen zu verstehen, weshalb wir sind, wie wir sind. Entscheidend ist, dass wir Haltung zeigen – und nicht vergessen, welche Prinzipien wir haben.

Sprich, keinen Wurst-Käse-Salat mehr essen?

T. J: Zumindest würde ich mir wünschen, dass mehr Männer den Mut finden, um mit dem gängigen Männlichkeitsskript zu brechen. Das wäre für alle gesünder – auch für die Männer selbst.

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